Wenig Thriller, viel kultureller Hintergrund
Hana Westermann ist Polizistin in Auckland und Mutter einer Tochter, die ihr das Leben auch nicht immer leicht macht. Ein mysteriöser Tipp per Handy bringt Hana zu einem komplizierten Fall, der sie mit den aktuellen Problemen der neuseeländischen Gesellschaft konfrontiert, die sie als Polizistin und Māori nur zu gut kennt. Doch wer hat den Hinweis gegeben, der zu einem Toten, erhängt in einem geheimen Raum führt? Hanas Ermittlungen führen weit in die Vergangenheit und bald auch zum ersten Serientäter in der Geschichte Neuseelands.
Endlich einmal Neuseeland
Es gibt jede Menge Thriller und Krimis aus allen möglichen Staaten dieser Erde, doch Neuseeland war in dieser Beziehung bislang eher ein weißer Fleck auf der Landkarte. Das hat Michael Bennett nun ein bisschen geändert. Eigentlich sehr erfolgreich in der Film- und Fernsehbranche unterwegs, hat er mit „6 Tote“ sein Debüt als Schriftsteller gegeben. Der indigene Autor verbindet in dem ersten Fall für Detective Senior Sergeant Hana Westerman einen rätselhaften Kriminalfall mit den gesellschaftlichen und kulturellen Problemen Neuseelands. Das hat durchaus Potential für einen packenden Thriller, doch der ist Bennett leider nicht gelungen.
Die Spannung bleibt auf der Strecke
Neuseeland befindet sich seit einiger Zeit im Wandel. Die indigene Bevölkerung wird sich ihres kulturellen Erbes immer mehr bewusst und fordert die Anerkennung und Gleichstellung. Die Traditionen und auch die Sprache der Māori sollen im Leben der Menschen in Aotearoa (Neuseeland) eine ganz selbstverständliche Rolle spielen und die Kolonialisierung mit allen ihren Problemen soll breit gefächert aufgearbeitet werden. Es ist nachvollziehbar, dass Ngāti Pikiao oder Ngāti Whakaue, wie Bennett auch heißt, das in seinen Thriller einbaut. Doch leider überlagert diese Problematik alles andere und es hat den Anschein, dass der eigentliche Kriminalfall nur als Träger für die gesellschaftlich-kulturellen Hintergründe dient. Immer wieder führt das Geschehen darauf zurück, Probleme werden in jede Szene eingebaut und nehmen damit einfach den Schwung aus der Geschichte. Der Plot zeigt zwar den tiefen Riss, der durch die neuseeländische Gesellschaft geht, doch wirkt er durch die Konzentration darauf zu plakativ und konstruiert. Da machen leider auch die Figuren keine Ausnahme.
Protagonisten tragen die Last der Probleme
Mit seinen Figuren bildet der Autor die Probleme der neuseeländischen Gesellschaft ab. Hana, die indigene Frau in einem von Männern dominierten Beruf ist gleichzeitig Mutter einer schwierigen Teenie-Tochter, die ihre Rolle als Kind von māori-europäischen Eltern in der Gesellschaft sucht. Addison provoziert wo sie nur kann und zeigt uns, dass Auckland alles andere ist, als das für Touristen angepriesene Paradies. Doch beide Figuren kratzen mit diesen Charakterisierungen nur an der Oberfläche, die ausschließlich die gesellschaftlichen Probleme widerspiegelt. Ihre individuelle Seite und ihr „Innenleben“ wird kaum gezeigt, obwohl Bennett sagt, dass er beschreiben will „was sie im Inneren bewegt“. Selbst der Täter surft auf dieser Welle und wird auf die Eigenschaft des Rächers reduziert. Da er zudem der Leserschaft relativ schnell präsentiert wird, kann er die Spannung in der Geschichte auch nicht mehr retten.
Der Stil bremst den Lesefluss
Der eigentlich flüssige Schreibstil wird durch immer wieder eingeschobene kurze Sätze, die wie Regieanweisungen wirken, ausgebremst. Verstärkt wird das noch durch einzelne Begriffe oder sogar ganze Sätze in der Sprache der Māori, die entweder in Klammern übersetzt werden oder mühsam im anhängenden Verzeichnis nachgesehen werden müssen. Es ist natürlich, dass auch die Te Reo Māori verwendet wird, doch lesefreundlich wird der Text dadurch nicht.
Fazit
Tiefe Einblicke in die Probleme der neuseeländischen Gesellschaft überlagern das Thriller-Geschehen. Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit nimmt die Spannung aus dem Plot und lässt ihn damit wohl nur für wenige interessant werden. Ein Debüt, dass sich als Serie fortsetzen soll, denn die englische Originalausgabe ist schon angekündigt. Bleibt zu hoffen, dass im nächsten Buch eine spannendere Thriller-Handlung im Mittelpunkt steht als es in „6 Tote“ der Fall ist. Hana Westermann hat auf jeden Fall eine zweite Chance verdient!
Michael Bennett, Heyne
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