Stumme Hölle
- Penguin
- Erschienen: September 2023
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Spannende Vergangenheitsbewältigung
Alex Pohl kam auf Umwegen zum Schreiben. Nachdem er im technischen Bereich gearbeitet hat, ist er nun seit 2011 ein erfolgreicher Autor und Co-Autor. Seine Werke umfassen Kriminalromane und Thriller, aber unter dem Pseudonym L.C. Frey auch Fantasy-Abenteuer und als Ina Staubing hat er sich sogar an einen Liebesroman gewagt. Für die Hanna Seiler-Milo Novic-Reihe lässt er das Ermittlerduo seit 2019 in seiner Heimatstadt Leipzig ermitteln. „Stumme Hölle“ ist nach „Eisige Tage“ und „Heißes Pflaster“ bereits der dritte Band, in dem er wieder ein aktuelles Thema aufgreift, das aber dieses Mal auch weit in die Vergangenheit zurück reicht.
Rätselhafte Verbrechen
In einem Wald bei Leipzig wird die Leiche eines Mannes gefunden. Der Tote ist von Wildschweinen grausam zugerichtet, doch für eine fehlende Hand können die Tiere nichts. Sie wurde dem Mann bei lebendigem Leib abgetrennt. Warum bringt jemand einen alten Mann um, der kaum Kontakte hatte? Dann passieren weitere Vorfälle, die Hanna Seiler und Milo Novic vor Herausforderungen stellen, denn lange ist ein Zusammenhang nicht ersichtlich. Ihre Ermittlungen führen sie 40 Jahre in die Vergangenheit zurück, als die DDR Kinderheime und Jugendhöfe betrieb. Sie kommen Verbrechen auf die Spur, die bis heute Auswirkungen haben.
Ein kontrastreiches Ermittlerduo
Man kann durchaus erst mit „Stumme Hölle“ in die Serie einsteigen, denn die, für das Verständnis nötigen Hintergrundinformationen werden gegeben. Um aber Hanna und Milo wirklich verstehen zu können, dürfte es besser sein, auch die beiden Vorgänger-Bände zu kennen. Das Ermittlerduo ergänzt sich bestens, aber beide schleppen ihre Vergangenheit mit sich herum. Hanna ist Witwe und alleinerziehend nachdem ihr Mann, selbst Polizist, vor Jahren angeblich Suizid begangen hat. Doch das kann Hanna kaum glauben und forscht im Verborgenen nach. Im Gegensatz zur faktenorientierten Ermittlerin, erscheint ihr Kollege Milo Novic manchmal etwas weltfremd, was er aber bei weitem nicht ist. Der hypersensible Synästhetiker nimmt äußere Reize mit mehr als einem Sinn wahr. Für ihn können z.B. Zahlen Farben haben und Geräusche einen Geschmack. Um diese Reizüberflutung im Zaum zu halten, lebt er in einer abgedunkelten Wohnung und schützt sich durch scheinbaren Rückzug während persönlicher Kontakte. Und auch er hat eine tragische Vergangenheit, die ihn manchmal fast in die Knie zwingt. Mit diesen beiden Figuren schickt Alex Pohl zwei starke Charaktere ins Rennen, die es allein schon schaffen, den Krimi interessant zu machen.
Verbrechen in der DDR
Durch Rückblicke mit Perspektivwechseln wird schnell klar, dass die Taten in der Gegenwart etwas mit einem sehr dunklen Kapitel der DDR-Vergangenheit zu tun haben müssen. Maria, Anna und Jürgen leben 1977 im Kinderheim „Otto Grothewohl“. Dort bekommen sie die ganze Härte des Staates zu spüren. Ihr Leben besteht aus Demütigung, Isolation und Gewalt. Aber erst langsam kristallisiert sich der Zusammenhang mit den gegenwärtigen Verbrechen heraus. Ist die Schilderung aus dem Kinderheim schon erschreckend, ist die Erkenntnis, dass die alten Seilschaften anscheinend heute noch funktionieren abstoßend. In diesem ganzen Pool aus ideologischem Hass, Korruption und Vergeltung ist Spannung vorprogrammiert. Und Pohl hält dieses Versprechen, auch wenn manchmal kleine Durchhänger vorkommen. Aber die Geschichte erscheint erschreckend realistisch genug um diese auszuhalten. Der dramatische Schluss ist dann auch sehr emotional – und das in mehr als einer Hinsicht. Gleichzeitig hat er auch den üblichen Cliffhanger, der Appetit auf mehr von Hanna Seiler und Milo Novic machen soll.
Warum dieses Tempus?
Alex Pohl hat sich für das Präsens als Erzähltempus entschieden. Das ist eher ungewöhnlich, da das Präteritum eigentlich Usus ist – erst das Erleben, dann das Erzählen. Manchmal wird das Argument gebraucht, dass eine Geschichte im Präsens packender ist, da man ja scheinbar direkt im Geschehen steht. Jedoch ist dieses Tempus sehr gewöhnungsbedürftig und im Fall des vorliegenden Krimis auch völlig unnötig, vielleicht sogar irreführend, denn beide Perspektiven, die der Kinder 1977 und die aktuelle, werden so erzählt. Die Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwindet so, was vielleicht aber auch gewollt ist. Denn Zeit scheint dem Autor überhaupt wichtig zu sein, wird jedes Kapitel doch mit einer genauen Zeit- und Ortsangabe betitelt.
Fazit
Ein weiterer packender Fall für das Leipziger Ermittlerduo. Erschreckend realistisch verbindet Alex Pohl Vergangenheit und Gegenwart und strickt daraus einen Krimi, den man gelesen haben sollte. Jedoch wäre es besser mit dem ersten Band der Serie zu starten, um Hanna Seiler und Milo Novic in ihren ganzen Facetten zu verstehen.
Alex Pohl, Penguin
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