Dinge, die wir brennen sahen
- Eichborn
- Erschienen: März 2023
- 3
Wenig spannend als Krimi, überzeugend als Coming of Age Roman
In der australischen Kleinstadt Durton wird die 12-jährige Esther vermisst. Während ein von außerhalb kommendes Polizistenduo ermittelt, wird Esthers Leiche gefunden. Die Suche nach dem Täter wirbelt viel Staub auf und bringt schmutzige Geheimnisse auf, die hinter der Fassade der scheinbar langweiligen Kleinstadt verborgen waren.
Die dunklen Geheimnisse der Erwachsenen
„Obwohl wir Kinder waren, wussten wir bereits, dass zwischen dem, was die Leute sagen, und dem, was sie damit meinen, oft ein himmelweiter Unterschied liegt. Erwachsene logen die ganze Zeit.“
Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Ronnie, der gleichaltrigen Freundin Esthers, von Esthers Mutter Constance, von der ermittelnden Polizistin Sarah und von Esthers Klassenkameraden Lewis. Innerhalb weniger Wochen ändert sich das Leben aller Beteiligten für immer. Für Lewis und Ronnie bedeutet es das Ende der Kindheit und der damit verbundenen Unschuld. Für die Bewohner Durtons bedeutet es das Ende der kleinstädtischen Idylle, die nie eine war. Die Gemeinschaft, in der jeder jeden zu kennen glaubt, besteht aus einsamen Menschen, die mit ihren Geheimnissen alleine bleiben. Statt Aussprachen gibt es Gerüchte. „Dinge, die wir brennen sahen“ ist von einer großen Melancholie durchzogen, weil das Schicksal aus Zufällen besteht, die in einer Kettenreaktion zu Unglücken führen und gute Menschen zu schlechten Handlungen verleitet. Das wiederum verändert die Leben vieler anderer Menschen unwiederbringlich.
Ungewöhnliches Stilmittel: Der „griechische Chor“
„Durton. Dirt Town. Schmutz und Schmerz, nur daran würden manche denken, wenn sie an unsere Stadt dachten. Aber wir erinnern uns an unsere Freunde, unsere Familien…Dort lebten wir, das war unsere Heimat.“
Hayley Scrivenor unterrichtet kreatives Schreiben und wendet in ihrem Erstling ein selten genutztes Stilmittel an: In erster Person Plural kommentiert ein „Wir“ wie der Chor in den griechischen Tragödien das Geschehen. In „Dinge, die wir brennen sahen“ sind es die namenlosen Kinder des Ortes, die in eingestreuten Kapiteln körper- und zeitlos über dem gerade Stattfindenden schweben und mit dem Wissen um die Zukunft das Geschehen kommentieren.
Das Debüt der Autorin überzeugt mit Atmosphäre. Beim Lesen den Ort spürt man fast die stickige Hitze und sieht die staubige Einöde der Landschaft vor sich. Auch die Bewohner werden sehr lebendig und bekommen jede und jeder eine eigene Stimme. Bis auf Andeutungen des „Wir“-Chores erfährt der Leser nicht mehr als die jeweiligen Erzähler. So bleibt eine gewisse Spannung bis zur Auflösung des Falles bestehen, auch wenn andere Ereignisse zeitweilig in den Mittelpunkt der Geschichte geraten.
Fazit
Hayley Scrivenors „Dinge, die wir brennen sahen“ wird diejenigen, die gerne klassische Krimis mit viel Spannung lesen, nicht begeistern. Scrivenor nimmt den Mordfall eher als Aufhänger, um einen Coming of Age Roman und eine Gesellschaftsstudie zu entwerfen, die – mit dieser Intention gelesen - in die Tiefe geht und sehr berührt.
Hayley Scrivenor, Eichborn
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