Was verborgen ist

Isabelle Drakes Sohn verschwand vor einem Jahr nachts aus dem Kinderbett. Seitdem findet die Protagonistin keinen Schlaf mehr. Ihre Ehe mit dem Kindesvater Ben ist am Ende. Die Polizei hat bisher keine Spur gefunden und zählt, wie viele andere, Isabelle zum Kreis der Verdächtigen.

Stacy Willinghams zweites Buch „Was verborgen ist“ erinnert ein wenig an „Finstere Orte“ von Gillian Flynn. Auch hier geht es um eine unzuverlässige Erzählerin, die durch True Crime Treffen tingelt, in der Hoffnung, neue Hinweise zur Aufklärung ihres persönlichen Falls zu erhalten. Auch hier sind die Erinnerungen der Protagonistin lückenhaft und zweifelhaft.

Im Sumpf der Lügen und Geheimnisse

„Was verborgen ist“ wird auf mehreren Zeitebenen erzählt. In „Jetzt“ gibt Isabelle einem True Crime Podcaster Interviews. Dabei erinnert sie sich auch an die jüngste Vergangenheit zurück, wie sie ihren Ehemann kennengelernt hat. Das geschieht alles aus der Erzählperspektive von Isabelle. In „Damals“ werden ihre Kindheitserlebnisse in dritter Person wiedergegeben. Auch damals fand ein schreckliches Ereignis statt, an das sich Isabelle erst langsam wieder erinnert.

„Was verborgen ist“ handelt von Geheimnissen. Alle Figuren in diesem Thriller verheimlichen etwas – vor anderen und vor sich selbst. Als Allegorie steht der Sumpf für das Unheimliche und Verborgene. Er ist in „Was verborgen ist“ fast ein eigener Charakter und zieht sich atmosphärisch durch alle Zeitebenen des Thrillers.

Jetzt atme ich den Geruch des Sumpfs ein. Schon ein einziger Hauch versetzt mich zurück nach Hause. Erinnert mich an die Luft dort. …  Es ist der Gestank der Fäulnis; der flüssige Kuss von Leben und Tod.

Eine unzuverlässige Erzählerin

Undurchsichtig und bodenlos wie ein Sumpf sind auch die Erinnerungen der Heldin. Als Kind war sie Schlafwandlerin. Jetzt leidet sie unter extremer Schlaflosigkeit. Dadurch wird ihre Wahrnehmung und ihre Erinnerung fragmentiert. Das macht die Hauptperson zu einer sehr unzuverlässigen Erzählerin. Im Laufe der Handlung deutet sie die Ereignisse immer wieder neu um und daraus ergibt sich jeweils eine neue Geschichte.

Manchmal handeln die Geschichten, die wir erschaffen, von uns selbst. Manchmal von anderen Menschen. Doch solange wir an sie glauben – so lange wir andere davon überzeugen können, an sie zu glauben –, behalten sie ihre Macht. Und bleiben wahr.

Im Irrgarten der falschen Erinnerungen und Deutungen

Die Spannung nimmt erst im letzten Drittel an Fahrt auf. Vorher legt die Autorin richtige und falsche Spuren aus und verwirrt damit geschickt die Ich-Erzählerin und die Leserinnen und Leser. Wie sie am Ende alle Stränge zusammenführt und auflöst, erscheint psychologisch glaubwürdig. In den „Damals“-Kapiteln erschafft Stacy Willinghams poetische Sprache eine unheilschwangere Atmosphäre, die an Gothic Thriller erinnert.

Fazit

„Was verborgen ist“ ist sowohl ein Familiendrama als auch ein Thriller. Das Buch erzählt von den tragischen Folgen, die das Verschweigen von Familiengeheimnissen hat. Die Spannung steht weniger im Vordergrund als das psychologische Portrait einer zutiefst verunsicherten Frau und Mutter.