Marc-el und Jens-el verirrten sich im Wald...
Marc Erler ist heilfroh, dass er diesen Job bekommen hat: Nachdem er mit seiner eigenen Firma einen gnadenlosen Schiffbruch erlitten hat, bekommt er die große Chance in der renommierten Anwaltskanzlei, in der sein Bruder Jens bereits beschäftigt ist, einen Neustart hinzulegen. Aber bald schon legt sich die große Freude. Vieles scheint hier nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Das zeigt sich insbesondere in der "Teambuilding-Maßnahme“, an der die ganze Belegschaft teilnehmen muss. Vier Nächte sollen alle im Wald verbringen. Schnell stellt sich bei verschiedenen Challenges heraus, dass der Teamgedanke für diese Kanzlei ein Fremdwort ist. Aber es kommt noch schlimmer: Schon nach der ersten Nacht bricht sein Bruder mental zusammen und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Marc kann sich das nicht erklären und beginnt nach den Ursachen zu suchen. Bald muss er aber feststellen: Sein Bruder wird abgeschirmt und in der Firma häufen sich die Vorzeichen dafür, dass hier sehr vieles im Argen liegt.
Zu viele Nebenschauplätze
Ben Escher erzählt in seinem neuen Roman die Geschichte der beiden Brüder Marc und Jens, die von einer grausamen Kindheit gebeutelt, nun in kriminelle Verstrickungen rund um ihre Firma verwickelt werden. Leider konnte sich der Autor hier nicht auf eine klare Linie festlegen. So bleiben seine Charaktere blass und nicht richtig greifbar. Immer wieder werden dunkle Verstrickungen aus ihrer Kindheit angedeutet und schnell wird auch der Eindruck erzeugt, dass Jens laut Darstellung einer charismatischen aber nicht sonderlich sensiblen Psychologin scheinbar ein Psychopath ist. Woran sich diese Beobachtung festmacht, bleibt allerdings - wie so Einiges - im Dunkeln.
Ein besonderer Fokus wird generell auf die Psychiatrie und die Behandlung ihrer Patienten gerichtet. Hier wird allerdings schon fast Unglaubliches erzählt. Jens - bisher als braver, vollkommen normaler Bürger und Steuerzahler präsentiert - verschwindet in die Psychiatrie, wird fixiert und von seinen nächsten Verwandten ferngehalten. Wenn man Herrn Escher glaubt, dann reicht schon der durch nichts belegte, reine Verdacht, es mit einem Psychopathen zu tun zu haben und - hoppla - schon verschwindet der in einer geschlossenen Einrichtung! Natürlich wird hier nichts über einen richterlichen Beschluss oder die Notwendigkeit von bewiesener Eigen- oder Fremdgefährdung berichtet. Was hier präsentiert wird, das ist weitgehend schon haarsträubend.
Verworrene Familiengeschichten und widerborstige Teddybären
Überzeugen konnte mich auch die im Nebenstrang erzählte Familiengeschichte nicht. Offensichtlich entspann sich zwischen den Eltern der Protagonisten heftige Gefechte um das Sorgerecht und beide kämpften erbittert darum, die Liebe ihrer Söhne zu erlangen. Eine wichtige Rolle spielt dann auch ein besonderer Teddybär, den einer der Helden geschenkt bekam und von dem oft und gerne gesprochen wird. Dieser besondere Meister Petz ist offensichtlich in der Lage, aufzutauchen oder zu verschwinden ,so wie es ihm gerade passt und selten hat mich ein literarisches Spielzeug so sehr genervt wie dieser Teddy.
Auch das angekündigte Motiv der Aufenthalte im dunklen Wald mit seinen vielen gruseligen Möglichkeiten bleibt hier außen vor. Erzählt wird von haarsträubenden Challenges, deren Ausgang im realen Leben vermutlich zum sofortigen Abbruch der Maßnahme geführt hätten und die allenfalls in ihrer dilettantischen Durchführung eine Gänsehaut erschaffen. Mehrheitlich spielt die Handlung allerdings im halbwegs warmen, gut beleuchteten Büro, wobei ich mich allerdings regelmäßig fragte, mit welcher Berechtigung der Held hier überhaupt noch ein- und ausgeht und wer hier überhaupt - zumindest gelegentlich oder zumindest ein bisschen - zu arbeiten scheint.
Fazit
Von dem gruseligen Aufenthalt im finsteren Wald bleibt nur eine halbgare Geschichte über die Abenteuer zweier Brüder im Büro und die eigenartige Bewältigung ihrer Vergangenheit. Wer bis zur Auflösung durchhält, wird mit einer belanglosen Lösung belohnt und fragt sich, ob er nicht besser einen Waldspaziergang gemacht hätte.
Ben Escher, Lübbe
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