Was ich euch verschweige
- Hoffmann und Campe
- Erschienen: August 2022
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Schwieriges Thema in konstruiertem Plot
DCI Jonah Sheens ist gerade mit seiner kleinen Tochter im Park, als ihm eine blutüberströmte Jugendliche entgegen stolpert. Sie, Keely, sei unverletzt, doch ihre Schwester Nina sei verschwunden und brauche Hilfe. Die Befragung von Keely gestaltet sich schwierig, denn sie blockt alle Fragen nach Nina ab, sie will den Ablauf selbst bestimmen. Erst wenn ihre und Ninas Geschichte erzählt sei, werde sie mehr Informationen über Ninas Verbleib preisgeben. Sheens und seinem Team scheint die Zeit davon zu laufen, denn Keely hat wirklich keine Eile.
Vierter Fall für DCI Jonah Sheens
Die britische Erfolgsautorin Gytha Lodge hat bereits drei Thriller mit DCI Jonah Sheens und seinem Team der Kriminalpolizei von Southampton geschrieben, die alle in sehr kurzem Abstand zur englischen Ausgabe auch in Deutschland veröffentlicht wurden. So auch mit dem vorliegenden vierten Band, der im April 2022 im englischen Original herauskam. Mit dem Debüt „Bis ihr sie findet“ eroberte Lodge die Bestsellerlisten und auch die Nachfolger waren internationale Erfolge. Dennoch braucht man sie nicht unbedingt gelesen zu haben, um in „Was ich euch verschweige“ einzusteigen. „Das Opfer“, „Die Verdächtigen“ und „Die Ermittler“ werden in kurzen Absätzen im Cover des Buches vorgestellt und der Fall steht sowieso für sich. Allerdings ist das teilweise etwas komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der Kriminalpolizei von Southampton nicht immer leicht nachzuvollziehen, die Vorstellung der einzelnen Charaktere unterbleibt völlig und auch die privaten Probleme von DCI Sheens muss man sich aus wenigen Hinweisen in die Vergangenheit zusammenreimen.
Was passierte wirklich in den Pflegefamilien?
Für Keely und ihre jüngere Schwester Nina begann nach dem Tod der Mutter ein Albtraum. Zuerst kamen die Kinder in ein Heim, dann in verschiedene Pflegefamilien. Im Heim wurden sie gemobbt; schon ihre erste Familie prangerten sie wegen emotionalen Missbrauchs an; der Vater in der zweiten Familie soll sie sogar sexuell missbraucht haben. Beide Vorwürfe wurden als haltlos von den Behörden zurückgewiesen. Schwierige Verhältnisse zu Betreuern und Sozialarbeitern verlängern die Liste der Beschuldigungen. Gyntha Lodge geht hier ein extrem schwieriges Thema an: Vermuteter Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ohne direkte Beweise. Wem kann man glauben? Haben die Übergriffe tatsächlich stattgefunden oder soll den Beschuldigten geschadet werden? Was Kinder durchmachen, wenn ihnen nicht geglaubt wird und die ganze Wucht dieser Nichtachtung auf sie einstürzt, vermag Lodge gut zu schildern. Gleichzeitig streut sie aber auch Zweifel bei der Leserschaft, indem sie Keely als sehr manipulativ und berechnend beschreibt. Eigentlich ein sehr packendes Thema, dazu angereichert mit interessanten Protagonisten, doch Lodge hat diese große Chance auf einen spannenden Thriller verspielt.
Der Plot windet sich zu Tode
Schon die Ausgangssituation erschient wenig realistisch: Eine Teenagerin erzählt tagelang seelenruhig ihre Lebensgeschichte obwohl ihre verschwundene Schwester angeblich Hilfe benötigt. Dabei hinterlässt sie in den Gesprächen versteckte Botschaften, die von den Ermittlern erst gefunden und entschlüsselt werden müssen, um dann zu einer Art Schnitzeljagd durch Southampten zu führen. Doch damit nicht genug, denn der Plot wartet gefühlt auf jeder einzelnen Seite mit immer neuen Wendungen auf, die nicht nur einen Einzelaspekt in gänzlich neuem Licht erscheinen lassen, sondern alles bisher Gelesene auf den Kopf stellen. Das mag ein oder zweimal noch funktionieren und zu einem Hoch an Spannung führen, wenn es aber zu einem festen Bestandteil eines sowieso schon schwachen Plots wird, hat man irgendwann die Nase voll und ist doch sehr versucht, nur noch den Schluss zu lesen, denn alles Vorhergehende erscheint ja redundant zu sein. Das Finale passt dann auch in diese Abfolge von neuen Situationen und schließt 445 Seiten eines mäßig spannenden Thrillers ab. Die einfache Sprache mit simplen Dialogen und ohne Esprit tut dann den Rest, um das Buch im unteren Mittelfeld der Thriller-Skala einzuordnen.
Fazit
„Was ich euch verschweige“ könnte zu einer Diskussion unter Thriller-Fans führen. Die Anhänger der Jonah-Sheens-Reihe dürften wieder einmal begeistert sein. Alle anderen könnten Probleme mit dem Plot haben, der zwar ein sehr interessantes Thema behandelt, aber durch seine Konstruktion und auch seine wenig fordernde Sprache hohe Anforderungen an die Geduld der Leserschaft stellt.
Gytha Lodge, Hoffmann und Campe
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