Poison Artist

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Juni 2022
  • 1
Poison Artist
Poison Artist
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Michael Drewniok
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2022

Faszination der Liebe und des Schmerzes

Caleb Maddox arbeitet in San Francisco als Toxikologe und gilt als Kapazität seines Fachgebiets. Gern macht sich sein alter Freund Henry dies zunutze. Er leitet das lokale Leichenschauhaus, wo jene landen, die möglicherweise einem Verbrechen oder einem Unfall zum Opfer fielen. Maddox ist berühmt dafür, kleinste Spuren exotischer Gifte nachweisen zu können. Das macht ihn aktuell besonders wichtig: Seit einiger Zeit fischt man männliche Leichen aus der Bucht von San Francisco. Die Polizei ist aufmerksam geworden - und sie fragt sich, wieso Henry und sein Team an den untersuchten Körpern keine Spuren sichern konnte.

Erst Maddox kann das Geheimnis lüften. Die toten Männer wurden u. a. mit einem Medikament traktiert, das ihre Schmerzempfindlichkeit verstärkte, dann grausam gefoltert und schließlich umgebracht. Der Fall interessiert Maddox, aber er ist abgelenkt. Gerade hat ihn seine Ehefrau im Streit verlassen. Auf einem seiner Streifzüge durch die örtlichen Bars ist Maddox an die mysteriöse Emmeline geraten, die sich weigert, ihm ihre Identität zu offenbaren. Der einsame Mann verfällt ihr schnell und schmachtet nach einem Wiedersehen.

Dummerweise gerät Maddox ins Visier von Inspektor Kennon, der die endlich aufgedeckten Giftmorde aufklären soll, denn eines der Opfer hielt sich in jener Bar auf, in der Maddox und Emmeline sich erstmals trafen. Kennon misstraut ihm offensichtlich - und er kennt Maddox, der in seiner Jugend für einige Wochen spurlos verschwunden ist. Sein Fall wurde nie gelöst, und auch dieses Mal muss Maddox feststellen, in ein Geschehen geraten zu sein, das ihn in Lebensgefahr bringt …

Der Mann, der zu viel/zu wenig wusste

Vor zwanzig Jahren wäre auf dem Cover das einst werbewirksame Stichwort „Hitchcock“ gefallen. Damals hätte man diese Anspielung verstanden, denn Alfred Hitchcock (1899-1980) war berühmt für seine Filme, in denen er ganz normale Zeitgenossen ebenso tückisch wie spannend aus ihren geregelten Alltagsleben riss, um sie in eine endlose Kette verstörender Ereignisse zu verwickeln, die entweder auf einem Irrtum, Gedächtnisverlust oder Wahnsinn basierten. Erst im Finale lüftete sich das Rätsel, aber die Auflösung brachte nicht selten den endgültigen Untergang.

Hitchcock und seine Filme geraten mehr und mehr in Vergessenheit. So ist der Lauf der Dinge, was Jonathan Moore in die Schreibhand spielt, weil er dem übermächtigen Vater jener „suspense“, die alle Werte und Sicherheiten in Frage stellt, keinen Tribut zollen muss, sondern so tun kann, als sei Caleb Maddox‘ Tanz auf der Rasierklinge auf seinem Mist gewachsen. Darüber hinaus äußern Stephen King (Cover vorn) und Lee Child (Cover hinten) lobende Worte über diesen Roman, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten; zumindest King kennt und schätzt Hitchcock, weshalb sich besagte Hymnen wieder einmal als gut honorierte und sicherlich nicht von King oder Lee formulierte Plump-Werbung erweisen.

Obwohl „Poison Artist“ gut geschrieben ist, wollen sich die behaupteten Qualitäten jedenfalls nur bedingt einstellen. Oft ist im Rahmen einer Geschichte der Weg wichtiger als das Erreichen des Ziels. Das lässt sich hier jedoch nicht als Entschuldigung dafür werten, dass selbst thrillerunerfahrene Leser schon vor Erreichen der Buchmitte wissen, welche Richtung dieses Garn einschlagen wird. Was ein geschickter Verfasser als zusätzliche Täuschung genutzt hätte, leitet hier die somit überraschungsarme Auflösung ein, die sich darauf beschränkt, diverse Erinnerungslücken bzw. donk!-hirnbedingte Gedächtnisfälschungen aufzudröseln.

Lektionen in Biochemie

„Poison Artist“ leidet unter einem Plot, der zwar zwei Aspekte derselben Geschichte behandelt, diese aber zu lange bzw. allzu auffällig voneinander trennt, was freilich in der Rückschau womöglich die bessere Entscheidung ist, weil die Erklärung so simpel und enttäuschend ausfällt.

Da haben wir also den genialen Toxikologen Maddox, der uns über viele Seiten an seiner Arbeit teilhaben lässt. Hier ist „Poison Artist“ ein „science thriller“, der mit biochemischem und medizinischem Wissen nie geizt und ein zwar umständliches, aber plausibel wirkendes Serienmorden begründet. Weil Freund Henry zwar das Leichenschauhaus führt, aber offenkundig ein fauler Sack und Depp ist, übernimmt Maddox die Ermittlungsarbeit, obwohl er schon früh unter Tatverdacht gerät.

Leider bleibt Inspektor Kennon eine viel zu abwesende sowie nie ‚gefährlich‘ wirkende Figur. Da Moore Andeutungen in Gewissheiten verwandelt und dabei Raffinesse vermissen lässt, wird Kennon nie wie wohl geplant zur unermüdlich im Indiziensumpf gründelnden Nemesis, sondern bleibt vage und nebensächlich.

Liebeswahn von Vorgestern

Für eher mystische Spannung soll Maddox‘ seltsame Beziehung zur ebensolchen Emmeline sorgen. Allerdings ist diese Figur ein Bündel altbackener Klischees, weshalb die Frage auftaucht, wieso ein intelligenter Mann wie Maddox auf diese krude Absinth-Fee hereinfällt, selbst wenn ihn das Ende seiner Ehe und ein allzu forderndes Forschungsprojekt aus dem Gleis geworfen haben sollte.

Die Verschränkung aus Wirklichkeit und Wahn läuft schwerfällig mit der schon beklagten Offensichtlichkeit ab. Moore schafft es nicht, seine Leser ebenso begriffsstutzig zu halten wie seine Figuren. Wenn der Irrsinn endgültig triumphiert, verlagert sich das Geschehen in eine Art Zwischendimension, in der sich die Polizei so dämlich wie die „Keystone Cops“ verhält. Nur auf diese Weise wird der ‚schockierende‘ Finaleffekt möglich, der eine ebenso tragische wie dramatische Fortsetzung des in Gang gesetzten Amoklaufs startet.

Das ist schade, denn Moore kann wie schon gesagt durchaus unterhaltsam schreiben. Positiv anzumerken ist auch der Verzicht auf jene heute so beliebten Folterporno-Sequenzen, die das Thema eigentlich vorgibt. Dennoch ersetzt Atmosphäre keine stringente Handlung, und gelungene Einzelkomponenten müssen sich zu einer plausiblen Gesamtheit fügen. In diesen Punkten schwächelt „Poison Artist“ nachdrücklich.

Fazit

Nur bedingt will sich die Mischung aus Science-Thriller und Noir-Liebesdrama zu einer Gesamtgeschichte formen. Gelungene Passagen mischen sich mit Klischees, die im Finale in den Vordergrund drängen: viel erzählerischer Ehrgeiz, aber kein überzeugendes Ergebnis.

Poison Artist

Jonathan Moore, Suhrkamp

Poison Artist

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