Im Süden nichts Neues
„Die heiteren Spiele“ – so nannte sich die Olympiade, die 1972 in München stattfand. In Deutschland wurden diese Spiele zuletzt unter der brutalen Herrschaft des Dritten Reichs im Jahr 1936 ausgetragen und jetzt endlich sahen die Veranstalter die Möglichkeit, unseren Staat in einem neuen, weltoffenen, freundlichen Licht zu präsentieren. Mit vielem hatten sie gerechnet, mit vielen wundervollen Momenten – nicht aber mit einer Geiselnahme, nicht mit Schüssen, Blut und Toten. Petra Mattfeldt erzählt in ihrem Roman „München 72“ die Geschichte einiger Akteure deren Leben von diesen Ereignissen berührt wurden und deren Leben durch diese Geschehnisse teilweise eine völlig neue Wendung nahm.
Verwirrende Vermischung von realen und fiktiven Personen
Wer an die Geiselnahme der israelischen Olympia-Equipe denkt, der denkt vor allem an die körnigen Schwarzweiß-Aufnahmen der Geiselnehmer. Sie standen mit Strumpfmasken mit grob geschnittenen Löchern für die Augen auf dem Balkon und allein bei diesem Anblick lief es einem kalt über den Rücken. Acht Palästinenser drangen im September 1972 in das olympische Dorf ein, nahmen elf israelische Sportler als menschliches Faustpfand, eine Nation stand händeringend daneben und wusste sich nicht zu helfen und zum Schluss waren alle Geiseln tot.
Petra Mattfeld taucht mit ihrem neuen Roman in diese Geschichte ein. Sie erzählt – wie es der Klappentext formuliert – von fünf fiktiven Personen, die auf realen Personen beruhen, die Erlebnisse rund um die Entführung. Ehrlich gesagt, ich hatte bereits mit dieser Konstellation meine Schwierigkeiten. Wenn ein Autor eine reale Person verwendet und deren Emotionen und Reaktionen beschreibt, frage ich mich immer, woher ein Autor gewusst haben will, was der andere tatsächlich gedacht, gemacht, gelebt hat. Hat er daneben gestanden, war er der beste Freund, kann er auf ein Tagebuch zurückgreifen oder auf Briefe? Hier kommt noch erschwerend dazu, dass es viele Personen tatsächlich im richtigen Leben gegeben hat, andere aber offenbar erfunden sind. So gehört die Bogenschützin Angelika Nowak aus dem Sportlerteam der DDR zu den erfundenen Personen. Sie freundet sich mit dem jungen israelischen Ringer Roman Gagarin an. Ihn gab es nicht – vermutlich ist er aber dem jungen Ringer Mark Slawin nachempfunden. Der fiktive Roman Gagarin gehört aber laut Roman zu den realen elf Geiseln und muss miterleben, wie sein Teamkollege Mosche Weinberg, den es auch wirklich gab, zu Beginn der Geiselnahme erschossen wird.
Dazu auch noch ein Ost-West-Konflikt
Generell wird der Figur der Angelika Nowak ein großer Teil des Romans eingeräumt. Hier hat die Autorin noch einen Nebenstrang über eine geplante Republikflucht eingebaut. Grundsätzlich mag auch dieser Punkt interessant sein, andererseits bin ich sicher, dass allein ein Bericht über die Geiselnahme und deren schreckliches Ende gereicht hätte, um die hier vorliegenden 320 Seiten zu füllen. So aber erfährt der Leser vieles über Angelika, die sich anfangs ganz naiv und erstaunt über die Beobachtung ihres Trainers gibt und in der alsbald die Idee reift, den Aufenthalt in München zu nutzen, um nicht mehr in die DDR zurückzukehren. Dieser Bereich wird für meinen Geschmack breit ausgewalzt und widmet sich für mein Dafürhalten dann auch noch haarsträubenden Fragen – so zum Beispiel der, ob eine Frau, die aus der DDR flüchtet einen Reisepass haben muss. Mich irritierte auch, dass Angelika als ein recht naiver und einfach gezeichneter Charakter angelegt ist, der aber plötzlich dann doch ganz genau weiß, dass Telefonate in der DDR in vielen Fällen abgehört wurden.
Auch die Geiselnehmer waren doch nur Menschen…?
Was mich an Mattfeldts Roman allerdings wirklich störte, waren einige fiktive Handlungen der Palästinenser, die aber aufgrund der historischen Ereignisse so wirken, als hätten sie tatsächlich so stattgefunden. So lässt sie ihre Geiselnehmer ihren verstörten und misshandelten Geiseln in einer Szene etwas zu trinken geben, solle doch niemand sagen „dass sie ebenso unmenschlich seien, wie ihre Feinde“. Vielleicht hat diese Szene so stattgefunden. Vielleicht haben sich tatsächlich kleine Akte der Menschlichkeit ereignet. Fakt ist aber, dass die Geiselnehmer den angeschossenen Josef Romano über mehrere Stunden langsam verbluten ließen und ihm jede ärztliche Hilfe verweigerten. Fakt ist auch, dass Anki Spitzer die Ehefrau des ermordeten André Spitzer berichtete, dass sie das Appartement nach dem alles vorbei war betreten habe und dass Blut bis zur Decke gespritzt sei und den Geiseln offensichtlich verweigert wurde, auch nur die Toilette zu besuchen. Unklar ist immerhin, ob die israelischen Sportler gefoltert wurden. Vor diesen Punkten kleine Gesten einer wie auch immer gearteten Menschlichkeit zu konstruieren erscheint mir als unglaubhaft – und das ist vorsichtig formuliert.
Die Fehler machen nur die anderen…
Petra Mattfeldt beschreibt klar, wie es zu der Katastrophe kam oder kommen musste. Sehr deutlich wird die Schuld den handelnden Planern, Politikern und Sicherheitsträgern zugewiesen. Dass sich diese möglicherweise in einem Konflikt befanden, sollte Deutschland doch als unmilitärisch, ohne strenge Ordnungshüter und tolerant empfunden werden, wird nicht dargestellt. Dennoch - natürlich wurden haarsträubende Entscheidungen getroffen und mögliche Hilfestellungen verworfen. Bei diesen ganzen Darstellungen und den sehr ausführlichen Vorwürfen hätte ich mir allerdings auch gewünscht, dass vielleicht ein paar Worte zu den Medien und Fernsehteams gesagt worden wären, waren die Szenen der – sicherlich stümperhaften – „geheimen“ Befreiungsversuche bei gleichzeitiger Live-Übertragung im Fernsehen auch für sie kein Ruhmesblatt. Manchmal fragte ich mich hier, ob Petra Mattfeld, die auch als Reporterin für die Bild und den Spiegel unterwegs war, hier mal wieder an das alte Sprichwort mit den Krähen und den Augen dachte.
Fazit
Pünktlich zum fünfzigsten Jahrestag des Attentats von München veröffentlicht Petra Mattfeldt einen Roman über die damaligen Ereignisse und über Menschen, die möglicherweise so hätten involviert sein können oder von denen es einige auch waren. Wer noch nie von der Münchener Geiselnahme gehört hat, der findet den Roman sicher spannend und interessant – wer sich ein bisschen mit der Materie befasst hat, der erfährt hier wohl nicht viel Neues.
Petra Mattfeldt, Blanvalet
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