Überzeugendes, mitreißendes Krimi-Debüt
Mittlerweile sind es sechs Monate her, dass Zeh von der Nordseeinsel Föhr zurück nach Berlin kam, um als Kommissar beim LKA zu arbeiten. Doch statt eines Neuanfangs steht er nun vor den Trümmern seines Lebens: Seine große Liebe Nancy hat er verloren und die Leute, die auf ihn zählen, enttäuscht er immer wieder.
Eines Nachts wird er von seiner Kollegin Jasmin zu einem Verkehrsunfall nach Spandau gerufen. Eigentlich kein Fall für Zeh, wären da nicht der grauenhafte Anblick, der sich ihm unter der Plane eines umgekippten Kleintransportes bietet: neun Leichen, die bereits vor dem Unfall tot waren, mindestens ein Schwerverletzter, der verschwunden ist, keine brauchbaren Zeugen und jede Menge offene Fragen. Und Zeh? Der trauert zunächst weiter um seine vergangene Liebe, statt sich um das Schicksal der Toten zu kümmern. Nicht zuletzt widern ihn auch die Machtgefüge der Polizeidirektion an. Eigentlich will er nur seine Ruhe. Doch dann trifft er auf einen jungen Deutsch-Türken, der ihn an sich selbst erinnert - und an die Gewissheit: Nichts zu unternehmen, ist bereits ein Verbrechen.
Debütroman eines gebürtigen Berliners
Autor Caspar Otto Bartek, Jahrgang 1979, ist in der Bundeshauptstadt geboren und aufgewachsen. Er kennt sich entsprechend aus in den Vierteln seiner Jugend. Heute lebt er mit seiner Familie in Schleswig-Holstein an der Ostseeküste und ist Leiter einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung.
„Cushing“ ist sein Debütroman, der tief in die Berliner Subkulturen einführt, die er seit seiner Jugend kennt und die ihn nie losgelassen haben.
Weg in die Vergangenheit
Der Berliner Hauptkommissar Zeh steht sich selber im Weg: Seine große Liebe ist nicht mehr da, er schläft zu wenig, ist fahrig, aufbrausend und eigentlich nur mit sich selbst beschäftigt. Dies bringt ihm nicht nur den Ärger seines Vorgesetzten ein; auch sein Team merkt, dass er nicht mehr der Alte ist, sich verändert hat. Nur den Grund kennt keiner. Auch den Leser lässt Bartek lange im Dunkeln, um ihn später die Wahrheit regelrecht ins Gesicht zu schreien.
Der Fall um die entdeckten Leichen ist mehr als kompliziert. Erste Spuren führen Zeh direkt in seinen eigenen Kiez, zurück in seine eigene Jugend und zu den Boxklubs, zu den Rivalitäten zwischen Kurden, Türken und Deutschen, zu einer Lebensart, die er selbst abgelegt zu haben glaubt. Er muss aber feststellen, dass er seine Vergangenheit nicht so einfach hinter sich lassen kann.
Die jungen Wilden
Autor Caspar Otto Bartek überzeugt mit einem starken, heterogenen und noch recht jungen Ermittlerteam. Neben der intelligenten, sehr strukturierten Jasmin, mit 29 Jahren die Jüngste im Team und Verhörspezialistin, gehört unter anderem Firat, den Zeh auf Föhr kennenlernte und der gemeinsam mit ihm nach Berlin zog, zum Kern der Truppe. Firat ist das, was Zeh einen „echten Typen“ nennt: authentisch, einfühlsam, zu allem bereit. Dahingegen ist Zehs 37-jähriger Kollege Mark ein Frauenheld, gleichzeitig aber sein engster Vertrauter, auch wenn er ein äußerst egozentrischer, gleichwohl scharfsinniger Charakter ist. Ihm mangelt es aber etwas an sozialer Kompetenz. Nicht zuletzt gehört Hazim zum Berliner Ermittlerteam. Neben diversen Kampfsportarten, die er betreibt, ist er ein Fachmann für Informatik und der IT-Experte der Abteilung.
Authentisch und mitreißend
Der Schreibstil des Autors ist gleichzeitig die besondere Stärke, auch wenn hier noch kleinere Schwächen besonders zu Beginn deutlich werden. Dass Bartek gebürtiger Berliner ist und sich besten in der Bundeshaupthauptstadt auskennt, merkt man leider in seiner Detailverliebtheit was Straßen- und Ortsbezeichnungen oder das Aussehen ganzer Straßenzüge betrifft. Dies ermüdet nicht nur mit der Zeit, sondern bremst auch das Erzähltempo etwas aus. Insgesamt dauert es, bis sich der Autor „warmgeschrieben“ hat. Was dann aber folgt, hat hohe Klasse. Wenn Bartek in den Kosmos der Kieze abtaucht und seine Figuren - mal türkisch, mal berlinerisch, aber stets direkt, vulgär und ohne Filter - sprechen lässt, wirkt die Atmosphäre greifbar und äußerst authentisch. Hier prallen Gewalten aufeinander und die Grenzen zwischen Clans, Kriminellen und Ermittlern - besonders bei Zeh - verschwimmen teilweise. Erst wenn sich der Kommissar wieder auf seinen Beruf und seine Aufgabe besinnt, lösen sich diese Grautöne wieder auf. Nicht zuletzt beeindruckt Bartek auch mit einem cleveren, vielschichtigen Plot und einer spannenden Auflösung des Falls, der es wirklich in sich hat.
Fazit
Ein starkes Krimi-Debüt, das trotz kleinerer Schwächen insgesamt mehr als zu überzeugen weiß. Die Darstellung des jungen, wilden Ermittlerteams und der hohe Grad an Authentizität, der besonders durch die lebensechte Sprache erzielt wird, grenzen den Roman wohltuend vom Krimi-Einerlei ab. Caspar Otto Bartek ist ein Namen, den sich Krimi-Fans merken sollten.
Caspar Otto Bartek, ihleo
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