Moder

  • Pulp Master
  • Erschienen: Juni 2022
  • 1
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2022

Der Zorn des Profis über gefährliche Dilettanten

Seit einiger Zeit arbeitet Berufsdieb Wyatt exklusiv für Sam Kramer, der ihm lukrative Jobs vermittelt und dafür einen gewissen Prozentsatz des Beuteertrags kassiert. Die Geschäfte laufen gut, obwohl Kramer aufgrund eines anderen, leider aufgeflogenen Deals derzeit in der Haftanstalt Watervale einsitzt.

Absprachegemäß hält Wyatt Kramers Anteil versteckt. Dummerweise bekommen die beiden Ex-Soldaten Nick Lazar und Marty Welsh Wind von der Existenz des Geldes. Sie versuchen Wyatt zu finden, um es ihm abzupressen. Aufgrund der Vorsicht, die Wyatt an den Tag legt, bleibt der Erfolg aus, weshalb Lazar einen weiteren Kumpan ins Boot holt: Brad Salter sitzt ebenfalls in Watervale. Er soll sich an Kramer heranmachen und ihn aushorchen.

Noch ahnungslos bereitet Wyatt einen neuen Coup vor. Investor Jack Tremayne hat viel Geld seiner Kunden unterschlagen. Die Justiz ist ihm auf den Fersen, aber Tremayne hat vorgesorgt, viel Geld und einen falschen Pass versteckt, um außer Landes zu flüchten. Nicht grundlos sorgt sich Gattin Lynx um ihren Verbleib. Sie liebt Tremayne längst nicht mehr und betrügt ihn mit dessen Anwalt Will DeLacey. Gern würde das Paar sich Tremaynes Fluchtkasse bemächtigen.

Zu allem Überfluss ist Detective Sergeant Greg Muecke auf Wyatt aufmerksam geworden. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten setzt er sich hartnäckig auf dessen Spur. Irgendwann müssen die unterschiedlichen Teilnehmer dieses ‚Spiels‘ sich begegnen - als es geschieht, setzt dies eine Kaskade sich steigernder Gewalt nach sich, wobei auch Wyatt buchstäblich in die Schusslinie gerät …

Mal gewinnt, aber meist verliert man

Wyatt ist ein seltsamer und sicherlich statischer Charakter, der keine Entwicklung durchläuft. Es gibt faktisch nichts, das ihn em- oder sympathisch wirken lässt. Ein Privatleben führt er nicht. Als krimineller Profi meidet er gefährliche Situationen und hasst sinnlose Gewalt, was ihn jedoch nicht daran hindert zu töten, wenn dies aus seiner Sicht notwendig ist. Gefühle unterdrückt Wyatt, weil sie ihn irritieren und stören, während er unablässig die Welt und die Menschen um sich herum ‚scannt‘: Was ist verdächtig, wer benimmt sich allzu unauffällig und könnte ein Cop oder ein Konkurrent sein?

In der Summe gleicht Wyatt einer kühlen, gut geschmierten Maschine. Sein Vergnügen findet er im möglichst reibungslosen Ablauf eines Coups. Dass die Beute dabei nicht die Hauptrolle spielt, ist ein Beleg für doch vorhandene Emotionen. Sie bewegen sich jedoch außerhalb der üblichen Normen, die Wyatt verabscheut: Obwohl er sich eher mühsam über Wasser hält, braucht er die Freiheit, die ihm sein ‚Job‘ garantiert.

Der hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Vorbei sind die lukrativen, noch analogen Tage, als Wyatt es riskieren konnte, einen Banktransport zu überfallen. Viele Orte, an denen fette Beute wartet, muss Wyatt meiden, weil die modernen Alarmanlagen für ihn zu kompliziert geworden sind. Größere Fischzüge erfordern den Einsatz einer Bande - und Wyatt scheut das damit verbundene Risiko, sind doch die Leute, auf die man sich verlassen kann, rar geworden. Professionalität wurde durch Gewalt ersetzt, weshalb schon mancher zunächst gelungene Coup mörderisch schieflief.

Die neue Welt des globalen Plünderns

Beinahe könnte man Wyatt als Ehrenmann bezeichnen, bewegt er sich doch in einer Welt, die von Gaunern ganz anderen Kalibers bevölkert wird. Man spürt zudem wenig Mitleid mit Wyatts ‚Opfern‘, die in der Regel selbst Dreck am Stecken haben. So hat Jack Tremayne allzu leichtgläubige Investoren abgezogen, die oft ihre gesamten Ersparnisse verloren haben und ruiniert sind. Es schert ihn nicht, zumal er auch seine Frau und seine Freunde betrogen hat.

Diese verdienen ebenfalls kein Mitgefühl, denn sie sind eifrig damit beschäftigt einander über die Ohren zu hauen. Lynx Tremayne will ihren Geliebten gegen den Gatten ausspielen und dann beide zurücklassen. Alle sind sie auf der Suche nach dem ‚Notgroschen‘, den der schlaue Tremayne irgendwo gebunkert hat.

Faktisch ist Wyatt gut gerüstet, als er sich in diese Runde einklinkt. Doch ihm sitzen gleich mehrere Gegner im Nacken. Mit hinterlistigem Geschick baut Autor Disher die Figuren auf seinem Schachbrett auf. Dann stehen sie in der gewünschten Situation - und das Chaos bricht aus! Dieses Wort trifft die erstaunliche und für uns Leser erfreuliche Tatsache, dass die Handlung eben nicht die scheinbar eingeleitete Richtung nimmt. Stattdessen wirbelt Disher alles kräftig durcheinander und lässt die ohnehin nach oben weisende Spannungskurve weiter ansteigen.

Das Konzept des einfallsreichen Scheiterns

Wyatt ist kein sentimentaler Mensch. Deshalb bleibt er ruhig, als er das Dilemma erkennt, in das er geraten ist: „Er dachte über den Einfluss von Unvorhergesehenem nach. Dieser Job war geradezu gespickt damit. Kein Plan, wie gut durchdacht und ausgeführt, auch immer, überlebt, kreuzt er den Drang eines anderen.“ (S. 274) Fast philosophisch anerkennt Wyatt diese oft gemachte (bzw. erlittene) Erfahrung, seit ihn Garry Disher 1991 erstmals auf Raubzug gehen ließ.

Während die übrigen Hauptfiguren unkontrolliert oder gar panisch reagieren, disponiert Wyatt um. Kurzfristig mögen ihm die Dinge entgleiten - so muss er dem schlauen Muecke einmal würdelos durch den Sprung über einen Müllcontainer entkommen -, aber da er die Nerven behält, bleibt Wyatt ungeachtet aller Rückschläge Herr der Lage, bis ihm die Zügel doch aus der Hand gerissen werden: Auch in Wyatts Welt kommen Glück und Zufall manchmal zum Tragen.

Man muss Disher bewundern, dass er auch im neunten Band seiner Wyatt-Serie in keiner Weise nachgelassen hat. Sicherlich spielt die erfrischende Abwesenheit kuhfladenbreit ausgewalzter Zwischenmenschlichkeit eine Rolle; dabei bestreitet Disher keineswegs die Präsenz sogar positiver Gefühle; mühsam versucht sich Wyatt beispielsweise darüber klarzuwerden, ob Sam Kramer ein Freund ist. Doch Disher belässt es bei Andeutungen und kurzen Einschüben. Im Vordergrund steht der Plot, der konzentriert und mit stetig steigendem Tempo vorangetrieben wird. Hinzu kommen auf den Punkt gebrachte Beschreibungen australischer Landschaften und Orte, die ebenfalls niemals selbstzweckhaft gerinnen.

Fazit

Band 9 der Wyatt-Serie zeigt einen weiterhin unmoralischen ‚Helden‘, dem man dennoch die Daumen hält, weil er zwischen Strolchen und Schwächlingen beinahe sympathisch wirkt. Die rasante, dicht gesponnene und wendungsreiche Story sowie die klare (gut übersetzte) Sprache tragen zum außerdem schmalzfreien Lektürevergnügen bei. (Aber wieso dieser Titel: „Moder“?)

Moder

Garry Disher, Pulp Master

Moder

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