Den Wölfen zum Fraß
- Freies Geistesleben
- Erschienen: März 2022
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Realer Fall in sehr anspruchsvollem Roman umgesetzt
Patrick McGuinness ist Literaturwissenschaftler und Professor für Französisch und Vergleichende Literaturwissenschaften in Oxford. Neben fachspezifischen Schriften, verfasste er Lyrik und die beiden Romane „Die Abschaffung des Zufalls“ und „Den Wölfen zum Fraß“, in dem er den Fall seines eigenen Lehrers aufarbeitet, der unter dem Begriff „Yeates-Jefferies-Affäre“ bekannt wurde.
Ein ehemaliger Lehrer gerät in Verdacht
Michael Wolphram war Lehrer am elitären Chapelton-College, bevor er sich zur Ruhe setzte. Jetzt wird er des Mordes an der jungen Zalie Dyer verdächtigt. Die Medien stürzen sich auf den Fall, denn Wolphram ist das ideale Objekt um die Gier der Leser nach Sensationen zu befriedigen – exzentrisch, zurückgezogen, still und nicht leicht zu durchschauen. Ausgerechnet Ander, ein ehemaliger Schüler Wolphrams muss den Fall untersuchen, bei dem ein Nachweis der Schuld schwierig ist, denn es gibt keinen einzigen Beweis dafür. Anders als sein Kollege Garry ist Ander auch nicht davon überzeugt, dass sein ehemaliger Lehrer den Mord begangen hat.
Kein klassischer Krimi mit viel Sozialkritik
Anders als auf dem Cover angegeben, würde ich „Den Wölfen zum Fraß“ nicht als klassischen Krimi bezeichnen. Zwar ist der Mord Auslöser für das Geschehen, doch steht er nicht im uneingeschränkten Mittelpunkt. Viel mehr dreht sich alles um die Person des Verdächtigen, der aufgrund seines Hintergrundes und seines Lebensstils „den Wölfen zum Fraß“ vorgeworfen wird.
Die Medien, allen voran die Boulevardpresse, stürzen sich auf den Fall, stellen unhaltbare Behauptungen auf und beeinflussen dadurch die freie Meinungsbildung, bedienen damit aber auch die Sensationsgier der Leser. McGuinness brauchte das beschriebene Szenario nicht einmal zu entwerfen, denn der Fall seines ehemaligen Lehrers lief auf diese Art ab. Er zeigt mit dem Finger auf die Medien, denen teilweise die Neutralität abhandengekommen ist, und gleichzeitig auch auf die mediengesättigte Gesellschaft, die viel zu oft unkritisch mit Meldungen umgeht.
Auch das britische Schulsystem mit seinen elitären Privatschulen, die Mobbing und psychische Gewalt ermöglichen und gleichzeitig die ausgeprägte Klassengesellschaft am Leben erhalten, wird angeprangert; denn Ander hat alles das selbst erlebt und gleichzeitig den unkonventionellen Unterricht von Wolphram genossen.
Eine Lektüre mit Herausforderungen
Die Tatsache, dass es sich um eine True-Crime-Story handelt, nimmt der Geschichte die Spannung und das Ende überrascht nur noch aufgrund der Reaktion des beschuldigten ehemaligen Lehrers. Gerade in einem solchen Fall müssen die Figuren gut aufgebaut werden, ihre Zeichnung trägt das Geschehen. Das ist McGuinness nur bedingt gelungen. Er hat mit dem elitär aufgewachsenen Ander und dem sich sehr proletarisch gebärdenden Garry ein Team geschaffen, das die Gegensätze der britischen Gesellschaft symbolisiert -und das gleichzeitig auch für den ein oder anderen Lacher sorgt.
Dennoch wird man mit den beiden Protagonisten nicht richtig warm, obwohl Ander die Vorkommnisse aus seiner Sicht erzählt und man dadurch Einblick in sein Gefühlsleben und seine Gedankenwelt erhält. Doch gerade das führt zu einer unausgegorenen Figurenzeichnung bei Garry und vor allem bei Michael Wolphram, die beide nur durch die Sicht von Ander geschildert werden und deren Wesen damit zu einem großen Teil der Leserschaft verborgen bleibt.
Eine wahre Herausforderung sind die zeitlichen Sprünge in der Handlung und vor allem der sehr ausdrucksstarke und manchmal auch zu detailreiche Stil. Beides macht aus dem Roman eine anspruchsvolle Lektüre, die Zeit und Mitdenken erfordert, aber sich dadurch auch vom Mainstream absetzt.
Fazit
„Den Wölfen zum Fraß“ ist eindeutig kein gewöhnlicher Krimi, sondern viel mehr eine stilistisch hochqualitative Gesellschafts- und Medienkritik, die sich an einem tatsächlichen Fall orientiert.
Patrick McGuinness, Freies Geistesleben
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