Das Logbuch der „Waratah“
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1971
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Fliegender Holländer killt drei Generationen
Die in Südafrika heimische Familie Fairlie wird in der dritten Generation heimgesucht. Erstes Opfer wurde Douglas, Offizier an Bord der „Waratah“: Der Passagierdampfer verschwand 1909 auf der Fahrt nach Kapstadt im Südatlantik mit mehr als 200 Menschen an Bord, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. 58 Jahre später ging die Passagiermaschine von Flugkapitän Bruce Fairlie, Douglas‘ Sohn, in genau jener Region verloren, in der das Wrack der „Waratah“ vermutet wird.
Vier Jahre später will Ian, Bruces Sohn, das Rätsel lüften. Nach ausgiebiger Recherche meint er den Ort, an dem Großvater und Vater verschollen sind, eingekreist zu haben. Ian macht eigentümliche Witterungs- und Strömungsverhältnisse für die beiden Katastrophen verantwortlich: Unter bestimmten Wetterbedingungen kann hier ein Sturm Wellenberge von außergewöhnlicher Höhe auftürmen, die alles unter sich begraben. Ian kennt sich aus, ist er doch Kapitän des Wetterschiffes „Walvis Bay“ und soll genau solche Phänomene auf hoher See beobachten.
Deshalb folgt er mit der „Walvis Bay“ dem Kurs der „Waratah“ als sich ein besonders heftiger Sturm anbahnt. Das Schiff wird dabei schwer beschädigt, mehrere Besatzungsmitglieder werden verletzt, und Ian droht sein Seemannspatent zu verlieren; für ihn nebensächlich, da der Sturm seinen Bruder Alistair, einen Kampfpiloten der südafrikanischen Luftwaffe, verschlungen hat - ebenfalls dort, wo Vater und Großvater verschwanden! Nun gibt es kein Zurück mehr. In Begleitung der geheimnisvollen Tafline und des treuen Freundes Jubela macht sich Ian mit der Rennyacht „Touleier“ auf in den Südatlantik. Nur sie glauben, was er an Bord der „Walvis Bay“ auf dem Höhepunkt des Orkans gesehen haben will: die Umrisse eines uralten Segelschiffes, das gegen den Wind durch die kochenden Wogen steuerte ...
Katastrophen-Rätsel ohne Erklärung
Die Geschichte der Seefahrt ist reich an seltsamen Ereignissen, die niemals geklärt werden konnten und zu dankbaren Objekten mehr oder weniger fruchtbarer Spekulationen mutierten. „Marie Celeste“, „Titanic“, „Cyclops“: drei aus einem Reigen kaum, spät, oder nie gelöster Rätsel - und die „Waratah“, ein großer Dampfer, der tatsächlich in einer Winternacht des Jahres 1909 mit Mann und Maus im Meer versank. Bis auf den heutigen Tag ist ungeklärt, was damals geschah.
Dem Schriftsteller Geoffrey Ernest Jenkins, geboren 1920 im südafrikanischen Port Elizabeth - andere Quellen nennen Pretoria -, gestorben 2001 ebendort, konnte 1971 die Ungewissheit nur recht sein. Wie seine früheren Romane sollte auch sein neuestes Werk in Südafrika spielen. Dort lebte und arbeitet Jenkins, dort kannte er sich aus. Die „Waratah“ war vor der südafrikanischen Küste verschwunden; ideale Ausgangsbedingungen also, aus denen der Autor kein spektakuläres oder in die Literaturgeschichte eingehendes, aber solides und fesselndes Abenteuergarn spinnt. Für das „Waratah“-Rätsel findet Jenkins eine schlüssige Lösung, die auf bestimmten meteorologischen Phänomenen im Bereich der berühmt-berüchtigten „Brüllenden Vierziger“ fußt.
Erwartungsgemäß hat Jenkins damit nur bedingt Anklang gefunden: Spezialisten entwerfen Theorien, die sich exponentiell vermehren, wenn sich weitere Fachleute einmischen. Aktuell neigt eine knappe Mehrheit zur Ansicht, ein „Kaventsmann“ habe die „Waratah“ in ihr nasses Grab befördert; eine jener Monsterwellen, die noch nicht lange, aber nun definitiv wissenschaftlich untermauerte Realität geworden sind. Eine unheilvolle Dynamik aus Sturmwind und Strömung lässt sie scheinbar urplötzlich auf dreißig oder mehr Meter anwachsen. Selbst große und moderne Schiffe können bei der Begegnung mit einer solchen Grusel-Woge große Schäden erleiden. Es ist durchaus realistisch, dass eine Monsterwelle ein Schiff binnen Sekunden und endgültig in die Tiefe drückt.
Leicht wackliger Story-Rahmen
Jenkins hat sich sichtlich in die Materie eingearbeitet. Als Journalist weiß er die komplexe Materie der Meteorologie so aufzuarbeiten, dass der wetterunkundige Leser nicht nur begreift, sondern sich sogar dabei ertappt, die Informationen als interessant zur Kenntnis zu nehmen. Das nautische Umfeld sorgt für den passenden Rahmen: Jenkins gelingen stimmungsvolle Bilder vom Alltag auf See, der durch Stürme besonderen Kalibers jederzeit in eine Krise umschlagen kann.
Das Kap der Guten Hoffnung ist trotz des freundlichen Namens ein gefährlicher Ort. Tatsächlich kündet dieser Name primär von der Zuversicht jener Seeleute, die es einst mit Segelkraft umrunden wollten. Meist hatten sie Pech, denn die Topografie der afrikanischen Südspitze sorgt für Luftturbulenzen, die das Meer buchstäblich in Aufruhr versetzen. Gewaltige Strömungen fördern auch ohne Monsterwellen Meeresbewegungen, die selbst heute Schiffe in Bedrängnis geraten lassen oder auf weit ins Meer hinausragende Klippen werfen. Vor der Küste pflastern Wracks aus vielen Jahrhunderten den Meeresboden; sie bilden einen Friedhof, den Jenkins oft mit bedrohlichem Unterton ins Spiel bringt.
Weniger gelungen ist dagegen sein Einfall, gleich drei Mitglieder der Familie Fairlie präzise auf derselben Stecknadel im feuchten Heuhaufen ihr Ende finden zu lassen. Hier strapaziert er die Gesetze der Wahrscheinlichkeit ebenso wie die Geduld des Lesers ein wenig zu heftig. Dasselbe gilt für das sorgfältig vorbereitete, aber dann allzu knapp abgehandelte Finale, dem außerdem ein finaler Knalleffekt aufgesetzt wird, der einfach übertrieben ist, aber glücklicherweise mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun hat.
Familie im Pech plus eine geheimnisvolle Frau
Die Figurenzeichnung ist schlicht, jedoch meist gelungen. Ian Fairlie wirkt als gleichermaßen gebeutelter wie besessener Seefahrer überzeugend. Glücklicherweise ist er die Hauptperson und nicht die somnambule Tafline, die als geheimnisumwitterte Schöne und „love interest“ aufgebaut wird, ohne jemals echtes Profil zu gewinnen: Jenkins selbst scheint sich wenig für sie zu interessieren und Tafline nur eingeführt zu haben, um eine weibliche Hauptfigur vorweisen zu können. Zwiespältig erscheint im Rückblick die reale Geschichte Südafrikas die Figur des Jubela, der den edlen Schwarzen und Blutsbruder Ians in einem Land zur Hochzeit der Apartheit mimen muss, die mit keinem Wort erwähnt wird..
Natürlich darf man nicht zu viel erwarten von einem Abenteuerroman, der primär spannende Unterhaltung bieten soll. In diesem Rahmen kann „Das Logbuch …“ bestehen. Während Geoffrey Jenkins und sein Werk in Deutschland längst vergessen sind, genießt der Autor im angelsächsischen Sprachraum als Erzähler schneller und actionbetonter, aber sauber recherchierter und gut geplotteter Geschichten einen ausgezeichneten Ruf. „Das Logbuch ...“ ist sogar ein internationaler Klassiker des Genres, der immer wieder aufgelegt wird und u. a. Clive Cussler, den geistigen Vater des ‚Unterwasser-007‘ Dirk Pitt (z. B. „Hebt die Titanic!“) formal wie inhaltlich stark beeinflusst hat. (Cussler finanzierte mehrere Expeditionen auf der Suche nach dem Wrack der „Waratah“.)
Anmerkung: Die Reihe „Abenteuer-Taschenbücher“ war der Versuch des Goldmann-Verlags, ein Publikum zu interessieren, das jenseits etablierter Genres wie Krimi und Science-Fiction Abenteuergeschichten schätzte. Wie „Abenteuer“ zu definieren ist, sorgte verlagsintern freilich für Unsicherheit. Die Reihe präsentierte letztlich hauptsächlich Westernromane um harte Kerls mit rauchenden Colts, zwischen denen die wenigen modernen und durchaus interessanten Geschichten um Reisen in entlegene Weltwinkel, Schatzsuchen oder brennende Ölbohrinseln untergingen, weshalb es mit den „Abenteuer-Taschenbüchern“ bald wieder vorbei war.
Fazit
Autor Jenkins versucht unter Berücksichtigung historischer Fakten die Klärung eines Schiffbruchs, der bis heute ungeklärt blieb. Die ausgezeichnet recherchierte und spannend erzählte Geschichte hakt dort, wo der Verfasser ihr eine „love story“ aufpfropfen will; dennoch überaus lesenswert.
Geoffrey Jenkins, Goldmann
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