Zwischen zwei Gegnern
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1958
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(Halbwegs) harter Privatschnüffler ermittelt in London
Nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe unternimmt der bislang in den USA tätige Bankräuber Arturo Vitale eine ‚Erholungsreise‘ nach Europa. In London bändelt er mit der hübschen Lili Hopkins an. Sie arbeitet als Dienstmädchen für den leidlich glitzernden Theater- und Filmstar Solany Mellett, die mit dem undurchsichtigen ‚Geschäftsmann‘ Clive Darmody verlobt ist.
Im bereits gemeinsam bewohnten Haus kommt es zu einem Mord: Diener Charles Taylor wird mit fünf Schüssen niedergestreckt. Im Garten trafen sich zeitgleich Arturo und Lili; ersterer macht sich angesichts seines Rufes umgehend aus dem Staub. Dabei glaubt selbst die sonst gern beschränkte oder wenigstens misstrauische Polizei nicht an Vitales Schuld: Der Fall Taylor ging an Inspektor „Gypsy“ Rawson von Scotland Yard, der für sein Ermittlungsgeschick bekannt ist.
Vitale bemüht sich dennoch lieber um weniger ‚offizielle‘ Hilfe. Er hält sich auch deshalb verborgen, weil die lokalen Schlagetots Phil und Nono Orsela mit lebensgefährlichen Absichten nach ihm fahnden. Also heuert Vitale einen Privatdetektiv an, der seine Unschuld beweisen soll.
Loreto „Chico“ Brett ist berufstypisch abgebrannt und chronisch neugierig, weshalb er den Auftrag annimmt - und kurz darauf für Clive Darmody in derselben Sache tätig wird: Seine Verlobte fürchtet sich und traut der Polizei nicht zu, den Fall zu lösen. Mit Wissen und Einverständnis von Scotland Yard - Inspektor Rawson ist fast ein Freund - beginnt Brett mit eigenen Ermittlungen. Da er die Gesetze ein wenig flexibler auslegen kann als die Polizei, stößt er bald auf interessante Fakten, die womöglich die Spur zum Mörder markieren - eine Tatsache, die auch diesem (oder dieser) zu Bretts Nachteil bewusst wird …
Fisch auf dem Trockenen bzw. Detektiv in London
Ein kleines, schlicht bzw. schäbig möbliertes Büro, in dem die Kundschaft sich rarmacht; eine hübsche, eigentlich überflüssige Sekretärin, die der schmucke Chef zu ihrem Leidwesen balzfrei in Ruhe lässt; ein Detektiv, der hartnäckig herumschnüffelt, dabei immer wieder auf die Nase (oder den Hinterkopf) bekommt, tüchtig raucht und trinkt sowie sich in markigen Einzeilern äußert. Da er außerdem „Chico“ genannt wird, nimmt man aufgrund dieser Infos erst einmal an, dass Loreto Brett in Kalifornien oder einer der Großstädte an der US-Ostküste aktiv ist.
Stattdessen entpuppt sich Brett als (nicht gerade waschechter) Brite, der den Strolchen in London hinterher ist. Diese Stadt ist zumindest in den 1950er Jahren kaum als Betätigungsfeld lupenreiner „hardboiled detectives“ berühmt. Die allzu deckungsgleiche Übernahme einschlägiger, dazu ad nauseam wiederholter Klischees sorgt denn auch für unfreiwillige Heiterkeit: „Als erstes mixte ich mir einen Whisky-Soda und zündete mir eine Zigarette an“ (S. 125). London ist trotzdem nicht New York oder Los Angeles - und Kevin O’Hara ganz sicher weder Dashiell Hammett noch Raymond Chandler.
Eigentlich ist er nicht einmal Kevin O’Hara, denn dieser Name ist nur Pseudonym für den Vielschreiber Marten Cumberland (1892-1972), der nicht nur, aber vor allem den Markt für Kriminalromane über mehr als vier Jahrzehnte so eifrig beschickte, dass dies verlagsseitig verdunkelt wurde, um die Frage nach dem Unterhaltungswert seiner fließbandähnlich auf den Markt geworfenen Werke gar nicht erst aufkommen zu lassen. Als „Kevin O’Hara‘ verfasste Cumberland zwischen 1951 und 1966 16 Romane um Chico Brett, von denen „Zwischen zwei Gegnern“ der vierte ist.
Was in den Kolonien funktioniert …
Literarische Qualität lässt sich O’Hara (wie er im Folgenden genannt wird) nicht vorwerfen. Sie war ohnehin nicht sein Ziel. Stattdessen gratulierte er sich zur Schöpfung einer leidlich originellen, aber vor allem serienkrimitauglichen Figur. Chico Brett strahlt einerseits einen Hauch von Exotik aus, geht aber gleichzeitig als ‚echter‘ Brite durch, der sich zwischen sämtlichen Gesellschaftsklassen unauffällig bewegen kann. Die Mutter kommt aus Argentinien, der Vater aus Irland, was im weiterhin latent rassistischen Nachkriegsengland offenbar so akzeptabel ist, dass es nicht unangenehm auffällt.
Ansonsten gibt sich Brett große Mühe, den US-Vorbildern in Auftreten und Sprache so nahe wie möglich zu kommen (und doch englisch zu bleiben): „Die ganze Straße wirkte so einsam wie der Hund eines Leuchtturmwärters.“ (S. 117). Was Autoren jenseits des Atlantiks wortkarg, aber doch eindringlich zu einer neuen Form des Krimis entwickelten, bleibt bei O’Hara eine Hülle, die er dem noch gar nicht modernen, sondern recht angestaubten englischen Krimi überstülpt; wohl deshalb importiert er für dieses Garn vorsichtshalber einige ‚echte‘ Gangster aus den Vereinigten Staaten, die sich weltmännisch fies verhalten, während der britische Gauner ganz Profi ist und sich sportlich in sein Schicksal fügt, wenn die Polizei ihn schnappt, dieser nichts nachträgt und sogar ‚singt‘, weil während eines Einbruchs ein netter Wachhund - shocking! - zu Tode kam.
Der Plot ist eine Mischung aus Whodunit und der Frage, was hier eigentlich vor sich geht. Viele Seiten füllt O’Hara mit Ermittlungsroutinen, in die er Sackgassen und ‚Überraschungen‘ mischt, die der Handlung auf dem Weg zur Auflösung keine echte Schubwirkung verleihen, sondern ‚spannende‘, jedoch oft belanglose Zwischenfälle generieren. Dazu gehört u. a. die Entführung einer (halbwegs) holden Maid durch Widerlinge, die nicht nur hässlich sind, sondern sich schon durch den verströmten Geruch nach Knoblauch als „Italiener“ outen und mit heutzutage unerfreulicher Deutlichkeit als grundsätzlich verdächtige, moralisch haltlose, ‚minderwertige‘ Ausländer dargestellt werden.
Das oberflächlich Beste zweier Welten
Für den deutschen Goldmann-Verlag war Marten Cumberland ein Glücksfall. Ende der 1950er Jahre ging der Nachschub an neu aufgelegten Edgar-Wallace-Werken aus. Gleichzeitig hatte die Stunde des tatsächlich modernen Kriminalromans, der ohne Lowtech-Geheimorganisationen, staubige Geheimgänge und krude Verkleidungen funktionierte, noch nicht geschlagen. Cumberland ging den nicht unbedingt goldenen, aber massentauglichen Zwischenweg.
Das angeblich (nachkriegsbedingt) ‚härter‘ gewordene Verbrechen - über das in diesem Roman geklagt wird - bleibt frei von „Noir“-Verstörung. Ungeachtet der behaupteten Spannung geht es emotional statisch zu. Die Figuren kommen aus dem bewährten Baukasten des nur populärkulturellen Kriminalromans: überspannte, moralisch fragwürdige Schauspielerinnen, zwielichtige ‚Ehrenmänner‘ (keine Gentlemen!), treuherzige Arbeiter und Bedienstete, exzentrische ‚Intellektuelle‘ u. a. Charaktere, die wir schon aus den klassischen Rätselkrimis à la Agatha Christie kennen.
Die lange Reihe der hierzulande veröffentlichten Cumberland- (bzw. O’Hara-) Krimis wundert nicht: Sie unterhalten ohne zu verstören, weil sie letztlich die tröstliche Botschaft vermitteln, dass die Polizei - hier quasi verstärkt durch Chico Brett, der zeitweilig wie ein zusätzlicher Ermittler von Scotland Yard auftritt - letztlich jeden Schurken fassen und der gerechten Strafe zuführen wird. So mochte man hierzulande ‚seinen‘ Krimi.
Fazit
Band 4 der Chico-Brett-Serie verwickelt den ungelenk in London ermittelnden Privatermittler in einen primär vom Verfasser verkomplizierten Fall. Der „hardboiled detective“ wird massentauglich geschliffen, bis er den zynischen, einsamen Außenseiter höchstens noch ahnen lässt: professionell geschriebener, deshalb unterhaltsamer, aber durchschnittlicher Krimi ohne Klassiker-Status.
Kevin O'Hara, Goldmann
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