Therapiert
- Heyne
- Erschienen: Februar 2023
- 3
- Übersetzung: Gabriele Schrey-Vasara
- Originaltitel: "Terapiassa"
- Paperback, Klappenbroschur
- 450 Seiten
Ein besonderer Psychothriller um Schein und Sein
Die bekannte Psychotherapeutin Clarissa Virtanen schaut im Fernsehen gerade eine Talkshow, bei der sie als Expertin teilgenommen hat, als ihr Handy klingelt. Ira, eine seltsame junge Frau, vereinbart mit ihr für den nächsten Morgen einen Gesprächstermin. Und so beginnt für Clarissa ein Spiel, dessen Regeln sie nicht kennt. Virtanen hat schon viele schwierige Patienten behandelt. Doch die traumatisierte junge Ira ist ein besonderer Fall. Als sie am nächsten Tag wortlos vor ihr sitzt, läuten bei der Therapeutin sofort die Alarmglocken. Wer ist die seltsame Frau und welches Geheimnis trägt sie mit sich? Clarissa ahnt nicht, dass Ira sie aus einem ganz bestimmten Grund ausgewählt hat. Doch was sich nach und nach offenbart, geht über jegliche Vorstellungskraft hinaus und wird auch Clarissas Leben zerstören. Denn Ira scheint ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihr zu treiben.
Debütroman einer finnischen Autorin
Martta Kaukonen wurde 1976 geboren und lebt in Helsinki, wo sie als Filmkritikerin arbeitet. Mit ihrem Debüt „Therapiert“ hat sie Presse und Leser in ihrer Heimat gleichermaßen begeistert. Die Faszination des Bösen begleitet sie auch im Alltag. Sie liebt Psychothriller, Film noir und verlassene Häuser. In ihrem nächsten Thriller „Sinun varjossasi“, der in Finnland bereits erschienen ist, geht es um Belästigung von Frauen im Rahmen der #metoo-Debatte.
Katz-und-Maus-Spiel
Kaukonens Debütroman erinnert in seinem Aufbau und seiner Erzählweise an Thriller von Gillian Flynn (u.a. „Gone Girl“), Paula Hawkins („Girl on the train“) oder A. J. Finn („The woman in the window“). Der Roman spielt regelrecht mit dem Leser. Es geht um Schein und Sein, Fiktion und Wahrheit. Erzählt wird die Geschichte aus vier unterschiedlichen Perspektiven, die somit immer nur einen Teil der „Wahrheit“ darstellen. Während man als Leser versucht, die einzelnen Episoden zu verbinden und zu einem Ganzen zusammenzusetzen, scheitert man zumeist schon auf der nächsten Buchseite. Das Besondere an der Erzählweise Kaukonens ist, dass alle Protagonisten in ihren Kapiteln den Leser unmittelbar ansprechen und versuchen, sich für ihr Verhalten zu rechtfertigen. Dadurch verstärkt Kaukonen den Eindruck, dass man als Leser selber eine Einschätzung - in Form eines „Ermittlers“ - abgeben muss. Durch diesen besonderen Kniff gelingt es der finnischen Autorin, den Leser stärker in den Plot einzubeziehen.
Perspektivwechsel
Die Figur, um die sich letztendlich alles dreht, ist die traumatisierte Ira. Die 20-Jährige outet sich zu Beginn des Romans als Serienmörderin, die sich in Therapie begeben möchte. Dies macht sie allerdings nicht, um geheilt zu werden, sondern weil sie scheinbar einen perfiden Plan verfolgt: Sollte sie nämlich tatsächlich einmal von der Polizei als Mörderin verhaftet werden, möchte sie von ihrer Therapeutin bereits im Vorhinein als unzurechnungsfähig beurteilt werden, d.h. sie wäre nur eingeschränkt schuldfähig. Dies würde ihr in Finnland den Gang ins Gefängnis ersparen. Das an sich wäre bereits eine skurrile Idee, aber Ida ist gleichzeitig eine pathologische und chronische Lügnerin. Ehrlichkeit ist für sie geistige Faulheit und Lügen beweisen lediglich, dass man sich bei der Kommunikation mit anderen Menschen Mühe gibt. Was stimmt also von dem, was Ira dem Leser erzählt?
Als Psychotherapeutin hat sich die ungewöhnliche junge Frau ausgerechnet Clarissa Virtanen ausgesucht. Diese arbeitet seit 21 Jahren in ihrem Beruf und ist die Expertin für sexuellen Missbrauch und Gewalt in Finnland. Sie spürt, dass sie sich auf ein eigenartiges Spiel mit der verschlossenen Ira einlässt, die kurz davor zu stehen scheint, sich etwas anzutun. Das will Clarissa um jeden Preis verhindern. Schließlich will sie nicht noch einen ihrer Schützlinge verlieren. Gleichzeitig ist sie fasziniert von Ira und sehnt sich regelrecht nach der seltsamen Patientin.
Dies bleibt auch bei ihrem Ehemann Pekka nicht verborgen. Da dieser als Ingenieur zuhause arbeitet und sich die Praxis seiner Frau ebenso im Wohnhaus befindet, kommt er ebenso in Kontakt mit Ira. Gerne schnüffelt Pekka dabei heimlich in Clarissas Patientenakten und macht dabei eine erschreckende Entdeckung. In der Ehe mit Clarissa scheint es darüber hinaus immer stärker zu kriseln.
Die letzte Perspektive ist die des einst erfolgreichen, nun aber alkoholkranken Journalisten Akto Haaleajärvi von den Helsinkier Nachrichten. Der Witwer soll für eine Lifestyle-Ausgabe die bekannte Psychotherapeutin Virtanen interviewen. Für den 50-Jährigen vielleicht die letzte Chance, seine Karriere zu retten. Dabei zeigt sich, dass beide mehr gemeinsam haben, als man denken mag.
Alle Protagonisten haben ihre dunklen Geheimnisse und ihre Schicksale überschneiden sich auf unvorhersehbare Art und Weise. Am Ende werden Sie vielleicht das Buch nochmals durchblättern, da einige erst dann erkennen werden, wie alles zusammenhängt. Man muss aber Psychothriller mögen, denn Action und einen rasanten, temporeichen Plot sucht man hier vergebens.
Fazit
Ein cleveres Verwirrspiel, das seine subtile Spannung aus den ständigen Perspektivwechseln und den zahlreichen Wendungen zieht. Der besondere Erzählstil macht den Roman Kaukonens so lesenswert. Ein Psychothriller, der wahrlich unter die Haut geht und unterschwellig, aber auf mitunter ironische Art auch Kritik an den Medien und der Psychotherapie übt.
Martta Kaukonen, Heyne
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