Brennender Zorn
- Heyne
- Erschienen: Dezember 2022
- 2
- Die Maria-Just-Reihe 2
- Übersetzung: Franziska Hüther & Günther Frauenlob
- Originaltitel: "Lovløs"
- Paperback, Klappenbroschur
- 600 Seiten
Ordnung ersetzt Recht in böser Tradition
Maria Just arbeitet als Historikerin für das Polizeimuseum in Nørrebro, einem Viertel der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Dort ist sie u. a. verantwortlich für die Sichtung und Einschätzung von Relikten, die Eingang in die Sammlung des Hauses finden sollen. Wenn die Polizei etwas findet, das auf kriminelles Treiben hinweist, aber schon vor langer Zeit geschehen ist, informiert sie das Museum, das über den historischen Wert des Entdeckten entscheidet.
Aktuell beschäftigt Just eine Leiche, die als Skelett in Jütland zum Vorschein kam. Die junge Frau starb vor sieben oder acht Jahrzehnten durch einen Genickschuss, wurde also offensichtlich hingerichtet. Der Zeithorizont ist heikel, denn diese Tat geschah, als Dänemark von Nazi-Deutschland besetzt war. Wurde die Frau als von den Deutschen als Widerstandskämpferin erkannt und umgebracht, oder haben dänische Widerständler eine „Verräterin“ ausgeschaltet, wie es in der „rechtlosen Zeit“ zwischen dem Abzug der Nazis und dem Neubeginn der dänischen Selbstverwaltung mehrfach geschah?
Derweil wird Mikael Dirk, Kommissar des Dezernats für Schwerverbrechen, unfreiwillig zum Leiter seiner Abteilung: Niels Carlsen, bisher der Chef, wurde von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Die Ermittlungen weisen darauf hin, dass dies mit Absicht geschah - ein Gewaltverbrechen, das Teil einer Krise ist: Kriminelle Teile der Bevölkerung machen regelrecht Jagd auf die Polizei von Kopenhagen. Immer mehr Beamte melden sich deshalb ‚krank‘, was die Lage verschärft. Die Politik streitet um eine Lösung; der Ruf nach einem „starken Mann“ - bzw. hier einer „starken Frau“ - wird immer lauter.
Zwischen dem ungeklärten Frauenmord und der Attacke auf Niels Carlsen gibt es eine Verbindung. Diese wird nur allmählich deutlich, was den Verantwortlichen die Gelegenheit gibt, ihr kriminelles Treiben bedrohlich zu intensivieren …
Simpler Mord genügt nicht
Maj Sjöwall und Per Wahlöö gaben 1965 den Startschuss für den modernen, d. h. nicht nur spannenden, sondern auch und vor allem sozialkritischen Kriminalroman. In den nächsten zehn Jahren verfassten sie zehn Romane, die neben der Polizeiarbeit die Aktivitäten der schwedischen Politik und ihrer ausführenden Organe thematisierten. Das Ergebnis war - aus jener linksliberalen bis marxistischen Sicht, die das Autorenpaar repräsentierte - negativ. Moniert wurden die autoritäre Missachtung mehr und mehr außer Kraft gesetzter Bürgerrechte, die zunehmenden Zwänge einer „kapitalistisch“ entfesselten Wirtschaft, der moralische Niedergang einer manipulierten Gesellschaft.
Sjöwall und Wahlöö setzten Maßstäbe, zumal ihre Sichtweise eine Kritik begeisterte, die ebenso urteilte. Spätestens seit Henning Mankell und Håkan Nesser verdichtete sich der Ruf eines „skandinavischen“ Krimis, dessen Autoren aufmerksam hinter die Kulissen eines von den skrupellosen und dreisten Mächtigen dieser Welt inszenierten Alltags blicken. Hinzu kommt eine generell melancholische Grundstimmung, die gern durch dauerhaften Regen, Nebel und Schneefall unterstrichen wird.
Gefühlt Legionen ähnlich gepolter Autoren orientieren sich an diesen Vorbildern. Die Gefahr liegt auf der Hand: Die Verschränkung von Krimi und Politik bzw. Wirtschaft ist eine Herausforderung, der man gewachsen sein muss. Man sollte wissen, wie die auf den Kieker genommene Welt funktioniert. Dass es nicht genügt, einzelne Missstände aufzugreifen, während das Gesamtbild vernachlässigt wird, belegen die beiden Autorinnen des hier vorstellten Romans.
Betuliche Breitwand-Kriminalität
Line Holm ist nach Auskunft des Klappentextes „Investigativjournalistin“, Stine Bolther „Fernsehmoderatorin und … Kriminalreporterin“. Dies klingt verheißungsvoll, ist aber keine Garantie für eine Geschichte, die auf mehreren Ebenen funktionieren soll. Schriftstellerisch haben Holm & Bolther in erster Linie Magerquark zu bieten. Ihre Sprache ist einfach, was in Ordnung geht, aber beherrscht werden muss. Hier fällt - wohl unabhängig von der Übersetzung - eine sprachliche Dürftigkeit auf, die angesichts des komplexen Plots die nur bedingt gelungene Umsetzung ungünstig betont.
„Reim‘ dich, oder ich leim‘ dich“: Dieses ‚Motto‘ für verhinderte Poeten gilt auch für Holm & Bolther. Das Autorenduo dreht ein wahrlich großes Rad: Verbrechen der dänischen Nazi-Zeit - ohnehin ein heikles Thema für eine Mehrheit, die sich weiterhin an die Opfer des Krieges bzw. Helden des Widerstands erinnern will und die Kollaboration leugnet - werden verknüpft mit den Taten einer modernen Gruppe, deren Mitglieder ihre reaktionäre, rassistische und autoritäre Weltsicht durch politische Intrigen in Realität verwandeln wollen. Diese ‚Machtergreifung‘ soll einen seit der Nazi-Ära fortbestehenden Ungeist heraufbeschwören, doch Holm & Bolther gelingt es nie, ein plausibles, die Demokratie eklatant gefährdendes Komplott zu konstruieren.
Das liegt sicherlich auch an der durchweg flachen Figurenzeichnung. Die Autorinnen investieren viel Mühe in die Biografien ihrer Protagonisten, produzieren aber vor allem Wortschaum und Klischees. In (zu) kurzen Abständen wird die Handlung von Rückblicken unterbrochen, in denen persönliche Probleme, berufliche Schwierigkeiten u. a. Misslichkeiten ausgewalzt werden. Erst im letzten Drittel hört das auf, während das bisher voran stolpernde Geschehen endlich Fahrt aufnimmt, um in einem enttäuschend undramatischen Finale zu versacken, dem viele nachträgliche Erklärungen folgen, die den Fall endgültig auflösen müssen.
Weltschmerz-Mainstream statt Betroffenheit
Für leserliches Seufzen sorgen die beiden Hauptfiguren. Sowohl Maria Just als auch Mikael Dirk sind nicht nur vom Leben gebeutelte Gutmenschen, die ständig von ihren Vorgesetzten gegängelt und von ihren Lebenspartnern nicht verstanden werden, sondern auch ein Liebespaar, das sehr lange nicht zueinander findet. Wie ein Kannenguss gehen Widrigkeiten auf die beiden nieder, die man jedoch nicht bedauert, sondern in ihre Ärsche treten möchte, damit sie endlich begreifen, was jede/r außer ihnen längst weiß.
Auch die Nebenfiguren bleiben Schablonen. Die ‚Guten‘ sind in den Hamsterrädern des Alltags gefangen, die ‚Bösen‘ verbreiten jene grimmige Intensität, die wir aus den „Tatort“-‚Krimis‘ kennen. Ernste Themen werden zur Sprache gebracht, um eher erlegt als im Rahmen einer spannenden Handlung erledigt zu werden - oder ist dies gar kein Anlass für Kritik, sondern eine Empfehlung, die diesen Roman und diese Serie für ein Publikum empfiehlt, das den ‚echten‘, inhaltlich wie formal oft schmerzhaften Krimi scheut, sondern sich mit bekannten Klischeebausteinen zufriedengibt?
Fazit
Mischung aus Krimi und platt eingefädeltem Polit-Komplott, das Sozialkritik nicht aufgreift, sondern instrumentalisiert. Flach-Figuren und Stotter-Stringenz bremsen eine Handlung aus, die eine heikle Vergangenheit mit einer labilen Gegenwart verklammern will: Lesenswert dann, wenn man Krimi-Spannung als Soft-Dramatik schätzt - eine legitimes Bedürfnis, das dieser Rezensent aber nicht teilt.
Stine Bolther, Line Holm, Heyne
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