Digitale Forensik

  • Lübbe
  • Erschienen: April 2022
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Thomas Gisbertz
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2022

Mit digitaler Technik auf Verbrecherjagd

Es sind scheinbar aussichtslose Fälle: Das Kind, das von einer Brücke in den Tod stürzte. Das Video, auf dem zu hören und zu sehen ist, wie im Leipziger Rockerkrieg ein Mann erschossen wird. Oder der Tatort eines schweren Raubes, an dem es zwar viele Spuren aber nur wenige Erkenntnisse gibt. Dirk Labudde und sein Team rekonstruieren Tatorte in 3-D-Modellen, simulieren den Tathergang und schaffen digitale Doubles von Opfern und Tätern. Immer dann, wenn Ermittler mit klassischen Methoden der Spurenauswertung nicht weiterkommen, wenden sie sich an den bekannten Wissenschaftler. Anhand seiner spannendsten Fälle zeigt er, dass die Zukunft der digitalen Forensik längst begonnen hat, welche Chancen darin liegen, aber auch welche Risiken.

Professor und Vorreiter

Dirk Labudde, geboren 1966, hat in Rostock, Enschede und Kaiserslautern Theoretische Physik und Medizin studiert. Seit 2009 ist er Professor für Bioinformatik an der Hochschule Mittweida. Seit 2014 leitet er dort den von ihm gegründeten Studiengang der Allgemeinen und Digitalen Forensik. Als Berater für verschiedene Polizeien der Länder und Staatsanwaltschaften hilft er bei der forensischen Aufklärung von Straftaten und ist als Sachverständiger vor Gericht tätig.

Zukunft der Verbrechensaufklärung

Eins wird bei der Lektüre des Sachbuches schnell deutlich: Mit der Beweis- und Spurensicherung wie bei bekannten US-amerikanischen Fernsehserien hat die moderne Forensik hierzulande selten etwas gemeinsam. Dies liegt nicht nur an der überzogenen Darstellung der Möglichkeiten im Fernsehen. Forensiker wie Labudde haben mit ganz anderen Widerständen zu kämpfen: Mal stehen ihnen Datenschutzbestimmungen, juristische Hürden oder behördliche Vorgaben im Weg, mal werden sie als Berater bei den Ermittlungen zu spät hinzugezogen - und immer wieder stoßen sie auf Skepsis bei den polizeilichen Ermittlern und deren Frage, ob das, was Labudde und sein Team machen, überhaupt wissenschaftliche Arbeit oder nicht eher Spielerei sei.

Dabei ist die Forensik ein Bereich, der sich quer durch zahlreiche Wissenschaften wie Medizin, Biologie, Physik, Chemie und Psychologie zieht. Inzwischen kommt auch das weite Feld der Informatik bzw. der IT-Forensik dazu, deren Ziel es ist, mit digitalen Methoden analoge Verbrecher zu jagen. Auch wenn der Schwerpunkt noch bei Cybercrime-Delikten wie Datendiebstähle und Darkroom-Videos liegt, zeigt Labudde auf, dass digitale Methoden wie die Erstellung getreuer 3-D-Modelle von Tatorten, bei denen Spuren überprüft und Tatabläufe simuliert werden, die Ermittlungen deutlich verbessern können.

Grenzen der digitalen Forensik

Eine Schwierigkeit des Buches ist sicherlich, die komplexen Inhalte, Zusammenhänge und Ausführungen des Bereichs der digitalen Forensik zum einen für den Laien leicht verständlich zu vermitteln und zum anderen wissenschaftlich genau zu bleiben. Labudde, der mit diesem Problem auch oft vor Gericht zu kämpfen hatte, wählt hier aber einen guten Mittelweg, was das Buch sehr gut lesbar macht. Anhand ausgewählter, teilweise bekannter Fälle zeigt Labudde auf, wie und von wem er herangezogen wurde, mit welchen Problemen er und sein Team zu kämpfen hatten und wie frustrierend es sein kann, wenn sich die Arbeit nicht auszahlt. Dazu gehört auch, dass die Methoden der Forensik - anders als beim Fingerabdruck oder der DNA - nicht zur Identifizierung des Täters dienen. Es gehe vielmehr darum, mit einer möglichst hohen Wahrscheinlichkeit eine Zuordnung zu ermöglichen. Folglich könne man keinen Täter einwandfrei überführen, aber zumindest im günstigsten Fall eine Nichttäterschaft erkennen lassen.

Gerne hätte man als Leser noch etwas mehr über die konkrete Arbeit Labuddes anhand von Abbildungen und Fotos erfahren, damit die Erläuterungen und Ausführungen des Forensikers noch plastischer werden.

Arbeitstier und Mensch

Das Buch ist auch deshalb so lesenswert, da Labudde sich nicht scheut, eigene Fehler bei der Entwicklung seiner Methoden und der Arbeit vor Gericht aufzuzeigen. Hier rückt der Mensch Labudde in den Vordergrund, der zweifelt, hadert und sich der Verantwortung für die Konsequenzen, die seine Ergebnisse für die Angeklagten haben können, bewusst ist. Er und sein Team sind immer wieder bemüht, ihre Methoden zu verfeinern und aus Rückschlägen ihren Nutzen zu ziehen. Dabei wird ebenso deutlich, welcher psychischen Belastung der Forensiker vor allem während der Prozesse ausgesetzt ist, wenn er von den Anwälten regelrecht ins Kreuzverhör genommen wird und sich den Anfeindungen der Angeklagten ausgesetzt sieht.

Das Buch zeigt nicht nur die faszinierende Arbeit eines außergewöhnlichen Forensikers, sondern schildert bemerkenswerte Fußnoten eines Menschen, der für seine Tätigkeit brennt, aber auch weiß, dass noch ein langer Weg vor ihm und den neuen Methoden der digitalen Forensik liegen.

Fazit:

Dirk Labudde liefert zusammen mit der Journalistin Heike Vowinkel einen interessanten Einblick in die Methoden der digitalen Forensik und zeigt dabei auf, welche Möglichkeiten sie bieten, aber ebenso, worin (noch) die Grenzen bestehen. Ein lesenswertes Buch für alle, die einen Einblick in dieses vielseitige Wissenschaftsfeld suchen.

Digitale Forensik

Dirk Labudde, Lübbe

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