Das tiefschwarze Herz

  • Blanvalet
  • Erschienen: September 2022
  • 16

- Ein Fall für Cormoran Strike 6

- Übersetzung: Christoph Göhler, Kristof Kurz & Wulf Bergner

- Originaltitel: "The Ink Black Heart (Cormoran Strike 6)"

- Hardcover mit Schutzumschlag

- 1.200 Seiten

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Sabine Bongenberg
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2023

Wenn du doch gekürzt hättest, Joanne…

Die Detektei Strike und Ellacott hat es geschafft: Sie haben so viel zu tun, dass sie mittlerweile Klienten abweisen oder anderen Detekteien andienen müssen. Wenn das auch manchmal schweren Herzens geschieht. Robin Ellacott fällt es daher auch nicht leicht, die verzweifelte Edie Ledwell abzuweisen. Diese hatte seinerzeit mit ihrem Freund eine Trickfilmserie ins Leben gerufen, die dank eigensinniger aber liebenswerter Figuren rund um ein Herz, das unbeachtet aller medizinischer oder anatomischer Vorgaben vergnügt auf einem Friedhof sein Unwesen treibt, alsbald Kultstatus gewann.

Unglücklicherweise bildete sich auch eine sehr aktive Fangemeinde, die sich um ein Spiel scharte, das an die Serie angelehnt wurde und bald einen eigenen besonderen Status bekam. Der Urheber dieses Spiels und seine Community reagieren allerdings auf jede noch so kleinste Kritik am Spiel, an ihrem Auftreten oder an neuen Entwicklungen mehr als empfindlich und so wurde Edie Ledwell nicht nur mit Shitstorms überzogen, ihr Privatleben öffentlich gemacht, sondern mittlerweile wurden auch Morddrohungen gegen sie ausgestoßen. Hilfesuchend wendet sie sich an die Detektei, aber da hier alle Kapazitäten ausgeschöpft sind und sich auch niemand so recht mit Cybermobbing auskennt, ist das tatsächlich ein Fall, der vielleicht an eine andere Detektei gehen sollte. Das denkt sich zumindest Robin und so denkt sie auch bis zu dem Tag, an dem sie aus der Zeitung erfahren muss, dass Edie Ledwell brutal ermordet wurde.

Strike und Ellacott entschließen sich, den vorher abgewiesenen Fall doch noch aufzurollen und machen sich auf die Suche nach dem Täter. Eigentlich dürfte der gar nicht so schwer zu finden sein, denn einer der Spieleentwickler zeigt nicht nur keinerlei Mitleid mit Edies Schicksal, sondern brüstet sich vielmehr damit, dass er in das Verbrechen mehr als nur verstrickt sein könnte. Eigentlich wäre alles weitere einfach – aber natürlich hat im Spiel jeder seine Identität gut getarnt und wenn auch  viele einen Verdacht haben, wer sich hinter dem Pseudonym „Anomie“ und dessen menschenverachtendem Auftreten verbergen könnte – letztendlich weiß es niemand doch so richtig….

Joanne K. Rowling lässt ihr alter ego Robert Galbraith wieder einen gewichtigen Roman vorlegen: 1360 Seiten, eng bedruckt und auf dünnem Papier und schon wissen vermutlich die meisten Leser, dass für die nächsten Wochen kein neues Buch mehr angeschafft werden muss. Galbraith hat neben dieser Wortfülle auch noch eigenartige Formate gewählt. So sind diverse Chats so aufgestellt, dass der gleichzeitige Ablauf nur in verschiedenen Spalten – und unglücklicherweise über mehrere Seiten – dargestellt werden konnte. Das allerdings ist ein wenig gewöhnungsbedürftig und hilft dem Leser oft nicht, sich mit den ohnehin anonymisierten Personen zurechtzufinden oder ihren Unterhaltungen folgen zu können. Verschiedene Satzkonstruktionen empfand ich zudem als eigenwillig und auch wenn ich nicht alles den Übersetzern in die Schuhe schieben will – wenn man so liest, dass der Roman in vielen Sprachen möglichst zeitgleich erscheinen sollte, dann ist eine gewisse Hektik schon irgendwo vorauszusetzen. Zur Länge des Buches muss ich – glaube ich – nicht allzu viel sagen: 1.360 Seiten sind zu lang und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass durch die guten alten Tricks – der Handy-Akku ist leer, ein Geräusch übertönt ein wichtiges Gespräch, der Hund rennt mit dem Geständnis davon – noch zusätzlich Zeit geschunden werden soll. Manchmal fragte ich mich auch, ob der Lektor mittlerweile so geblendet von Rowlings grandiosen Erfolgen ist, dass er sich einfach nicht mehr traut, den Rotstift anzusetzen. Denkbar wäre es.

„selbst schuld, wenn die Fans jetzt gegen sie sind“

Von diesen Formalitäten abgesehen hat Robert Galbraith einen spannenden Roman abgeliefert. Vieles spielt hier im Internet und wer sich eine entsprechende Menge von Kritikern oder aber ein entsprechend fanatisches Forum zum Feind gemacht hat, der stellt fest, dass die Wellen des Hasses und der Abneigung offensichtlich grenzenlos sind und keine vernünftige Argumentation mehr zulassen. In Deutschland kennen wir die Geschichte nach der Figur des „Drachenlords“ – alias Rainer Winkler – der harmlose Videos von seinem unspektakulären Tagesablauf postete und so sehr in den Fokus von unzähligen „Hatern“ geriet, dass es mittlerweile auch die Justiz beschäftigt. Joanne K. Rowling kann – nach möglicherweise unbedachten Äußerungen – von diesen Wellen auch ein Lied singen und möglicherweise brauchte sie nicht allzu viel Phantasie walten zu lassen, um die unmenschlichen Vergewaltigungswünsche einiger Forenmitglieder literarisch darzustellen. Dennoch zeigt sich hier auch, dass das Foren-Unwesen abschnittsweise nicht nur reines Geplapper darstellt, sondern auch ein entsprechender Wille zur Macht dargestellt wird.

Anomie: der wille zur macht hält die welt am laufen

Morehouse: ich dachte, das wäre die liebe

Anomie: liebe ist was für pussys

Wie im Internet üblich, wird vieles in Chats geäußert und im Buch bestand so natürlich die Schwierigkeit, diese Chats so abzubilden, dass sie auch die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Ebenen darstellten. Das ist nicht einfach zu lesen und hier sollte der Leser eine eigene Strategie entwickeln. Die meinige war, jeden Verlauf einzeln zu lesen und dann beim nächsten Kanal wieder zurückzublättern und vorne anzufangen. Im längeren Verlauf des Buches hatte ich allerdings irgendwann Schwierigkeiten damit, die Zahl der vielen Personen, die hier auftreten und der Avatare die sie auch noch personifizieren auseinanderzuhalten.

…//sie guckt /ob i guck/ aber i guck net// (Harald Hurst)

Natürlich ist ein Roman aus der Strike-Reihe aber nicht nur ein Krimi, sondern es menschelt immer weiter zwischen unseren beiden Hauptdarstellern Cormoran und Robin. Hier fragte ich mich manchmal allerdings: Liebe Leute, was soll das Drama? Der dümmste Leser weiß mittlerweile, dass sie sich voneinander angezogen fühlen und immer noch wird über 1.360 Seiten ein Eiertanz von drei Schritten vor und zwei Schritten zurück geschildert. Mal fühlt sich einer zurückgewiesen, mal hat einer eine „Ersatz“-Partnerschaft, mal einer ein „Zwischen“-Date – irgendwann ist es nervig. Zwei erwachsene Menschen, die offensichtlich in der Lage sind, einen Mietvertrag abzuschließen und ein Auto zu kaufen und seit Jahren findet keiner ein Wort? Bleibt zu hoffen, dass es im nächsten Roman endlich eine Lösung in der Beziehungsfrage gibt.

Fazit

In einem episch anmutenden Roman lässt J.K. Rowling/Robert Galbraith ihr Ermittlerduo in den Bodensatz des Internets herabsteigen. Grundsätzlich gesehen, ist damit ein spannender Krimi gelungen, tatsächlich ist der aber abschnittsweise zu langatmig erzählt. Dennoch – der neue „Strike“ löst die Frage der Nachtlektüre für eine lange, lange Zeit und da Rowling/Galbraith nach wie vor spannend erzählen kann, ist das ja auch gar nicht mal schlecht.

Das tiefschwarze Herz

Robert Galbraith, Blanvalet

Das tiefschwarze Herz

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