Die dunkle Spur des Blutes
- Goldmann
- Erschienen: Oktober 2022
- 1
- Detective Sergeant Logan McRae 12
- Übersetzung: Andreas Jäger
- Originaltitel: "All That's Dead"
- Klappenbroschur
- 640 Seiten
„Braveheart“ für übergeschnappte Neu-Schotten
Als Schottland und England 1707 zum Königreich Großbritannien vereint wurden, geschah dies nach Jahrhunderten erbitterter schottischer Freiheitskämpfe, die von den Engländern brutal niedergeschlagen wurden. Dass sie einst selbstständig waren, haben die Schotten nie vergessen. Auch und gerade im 21. Jahrhundert fordern ‚patriotische‘ Gruppen den Bruch mit England. Seit dem Brexit, den die Schotten mehrheitlich nicht mittrugen, werden solche Stimmen lauter.
Professor Nicholas Wilson, Dozent für Politwissenschaften an der Universität Edinburgh, vertritt eloquent jene, die Schottlands Drang zur Unabhängigkeit als dummen Wunschtraum verurteilen. Damit erregt er den Zorn vieler Separatisten, was seine Spottlust nur anstachelt. Offenbar hat er es zu weit getrieben; er wird entführt. In seinem Haus bleibt eine große Blutlache zurück.
Die Ermittlung ist Dynamit für jede Polizeikarriere, denn die Presse läuft Amok ob der politischen Aspekte des Falls. Fehler werden nicht verziehen, sondern genüsslich hochgekocht. Es erwischt Detective Inspector Frank King - und zwar doppelt, denn parallel zur Fahndung im Fall Wilson nimmt die Abteilung für Innere Ermittlungen ihre Arbeit auf: Womöglich gehörte King in jungen Jahren einer terroristischen Vereinigung an.
Dieser Job geht an Detective Inspector Logan McRae, der damit wie üblich in Teufels Küche landet. Seine Vorgesetzen stellen ihn King ‚beratend‘ sowie als potenziellen Sündenbock zur Seite. Mit im Boot sitzen die ungehobelte Roberta Steel und weitere eher unfähige Kollegen. Als Professor Wilsons abgetrennte Hände per Post an einen TV-Sender geschickt werden und weitere Gegner einer englisch-schottischen Einheit verschwinden, gewinnt der Fall eine Eigendynamik, die Logan und seine Kollegen zu überrollen droht …
Gegenwärtige Amokläufe rückwärtsgewandter Spinner
Bevor Logan McRae sich für eine Weile verabschiedet - Autor Stuart MacBride stellte in seinen beiden letzten Romanen zwei neue Ermittler vor -, geht es noch einmal richtig zur Sache: blutig und irrwitzig, wobei die Reihenfolge wie üblich unvermittelt wechseln kann. Als Aufhänger dient eine unendliche Geschichte, wie wir sie auch aus Deutschland kennen, wo eine erkleckliche Anzahl von Bewohnern des Freistaates Bayern froh wäre, sich von einem Deutschland zu trennen, das sie als Mühlstein am Hals unabhängig glücklicherer Bajuwaren betrachten.
In Großbritannien nimmt man die Freiheit deutlicher ernster. Der Inselstaat entstand schon vor Jahrhunderten, doch scheint man lokal die Willkürlichkeit dieses Zusammenschlusses nicht vergessen zu können. Nicht nur die Schotten, sondern auch die Iren und Waliser begehren gegen die Engländer auf - und zumindest einige Befürworter einer neuzeitlichen Trennung scheuen vor offener Gewalt nicht zurück.
Fanatismus ist der am wenigsten stabile Treibstoff, mit dem man einen Konflikt in Gang halten kann. Stets droht jene Explosion, die aus der absoluten Überzeugung erwächst im Recht zu sein, wehrlos unterdrückt zu werden und deshalb Mittel anwenden zu dürfen, die im Dienst der guten Sache keineswegs mit Terrorismus gleichgesetzt werden. Je massiver der Widerstand, desto heftiger fallen die Reaktionen aus - auf beiden Seiten, wobei das Gesetz es verbietet, Terror mit Ermittlungsbrutalität zu erwidern.
Die Suche nach der Nadel im Nebel
Dass im 21. Jahrhundert hirnverstrahlte Nationalisten Amok laufen, ist der ideale Plot für einen ‚Kriminalroman‘ mit Logan McRae, denn hier ist die Realität wie Knetgummi, die sich vom Wahnsinn formen lässt. Der regiert nach Autor Stuart MacBride ohnehin das Alltagsleben. Die von ihm geschilderte Polizeiarbeit ist ein überzeichnetes Zerrbild jener Deutung, dass die moderne Gesellschaft ihr Verfallsdatum überschritten hat und quasi entropisch zerfällt.
Politik, Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft und Medien: Sie sollten zusammenarbeiten, um die Probleme einer Welt zu lösen, die sich in ihre Bestandteile aufzulösen scheint. Der blanke Eigennutz hat sich zum Orientierungsmaßstab entwickelt; jede/r ist sich selbst die oder der Nächste; wer nicht mithalten kann, wird gnadenlos niedergetreten. Solidarität ist zum Spottbild geronnen.
Wer sich gegen diesen Sog stemmt, gilt als Dummkopf. Logan McRae vertritt altmodisch gewordene Werte, weshalb er wieder einmal von einer Bredouille in die nächste gerät. Ohnehin ist er noch angeschlagen, nachdem ihm sein letzter Fall ein volles Jahr ‚Krankenurlaub‘ bescherte. Auf Schonung darf er im alltäglichen Irrsinn einer hochtourig überlasteten Polizeiarbeit nicht hoffen. Stattdessen wird er von überforderten, auf den Erhalt ihrer Karrieren fixierten Vorgesetzten als Sündenbock instrumentalisiert und muss immer wieder den Kopf hinhalten für einen Kollegen, der unter Ehestress leidet, trinkt und tiefer im Sumpf des schottischen Nationalismus‘ steckt, als er zugeben mag.
Im dauerhaften Ermittlungstaumel
Im Vordergrund steht eine Fallermittlung, die vom Zufall, McRaes Geistesblitzen und der Dummheit von Verbrechern gelenkt wird. Hinter den Morden steckt kein kriminelles Genie. Gerade die Abwesenheit von Mustern und die daraus resultierende Unberechenbarkeit schützen die Täter zusätzlich vor ihren Verfolgern. Das bizarre Motiv und die entsprechende Umsetzung widersprechen den Regeln der normalen Polizeiarbeit. Wenn diese wie erwähnt ohnehin durch interne Dauerkrisen außer Kraft gesetzt sind, können auch gestörte Spinner lange ihrem Treiben nachgehen.
Kollegiale Zusammenarbeit wird bei MacBride zum Versuch, ausgebrannte, überforderte oder schlicht übergeschnappte Ermittler zusammenzuspannen, um wie durch ein Wunder doch zum Täter vorzudringen. Für Logan McRae gipfelt dies abermals in einer jener für diese Reihe typischen finalen Hetzjagden, die endgültig jegliche Ordnung zusammenbrechen lassen und den ‚Helden‘ in eine lebensgefährliche Lage bringen: Nie ist Verstärkung zu bekommen, stets versagt die mangelhafte Kommunikationstechnik, und selbstverständlich bedeutet die Auflösung des Falls keineswegs einen „Sieg der Gerechtigkeit“. Dafür ist der Plot wohl auch zu abgedreht.
Fazit
Das Dutzend ist voll, aber der neuste Fall von Logan McRae dreht sich mit der üblichen, also irrsinnigen Geschwindigkeit um einen Plot, der exemplarisch für eine Gesellschaft steht, die aus den Fugen geraten ist. Groteske und/oder komische Szenen lösen sich in schnellem Wechsel ab und sorgen abermals für jenen absonderlichen Lektüresog, den diese Serie ausübt.
Stuart MacBride, Goldmann
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