Spannender Thriller des norwegischen Bestsellerduos
Seit einem Jahr sitzt Kriminalhauptkommissar Alexander Blix im Gefängnis, weil er den Mörder seiner Tochter Iselin erschoss. Während das Berufungsverfahren noch läuft, verbringt er nun den Tag gemeinsam mit Dieben, Vergewaltigern und Mördern, die er teilweise selbst hinter Gitter gebracht hat. Während sich Blix fast schon mit seinem Schicksal abgefunden hat, wird sein Ermittlerspürsinn geweckt. Aus der Nachrichten erfährt er, dass Walter Kroos, der wegen Mordes an seinem Vater in einem deutschen Gefängnis einsitzt, fliehen konnte und anscheinend auf dem Weg nach Norwegen ist. In Kroos Zelle finden die deutschen Beamten einen zerrissenen Zettel mit einem Namen: Jarl Inge Ree. Wie es der Zufall will, sitzt dieser zusammen mit Blix in Haft. Nur was haben Ree und Kroos miteinander zu tun? Blix muss unauffällig im Gefängnis ermitteln und ihm bleibt nicht viel Zeit, denn sein Mithäftling soll in vier Tagen entlassen werden. Unterstützt wird Blix außerhalb der Gefängnismauern von der Journalistin Emma Ramm, deren Leben der Kommissar bereits zwei Mal gerettet hat und die sich ihm nicht nur deshalb verpflichtet fühlt. Die Spur führt beide an einen idyllisch gelegenen Campingplatz, wo sich in einem schicksalhaften Sommer vor 16 Jahren das Leben einer Clique von Jugendlichen für immer verändern sollte.
Erfolgreiches Autorenduo
Das Autorenduo Thomas Enger und Jørn Lier Horst zählt aktuell zum Besten, was die skandinavische Spannungsliteratur zu bieten hat. Ihre Reihe um den Osloer Kommissar Alexander Blix und die Journalistin Emma Ramm wird ebenso spannend wie glaubwürdig erzählt. Dies liegt unter anderem daran, dass Jørn Lier Horst, der selber lange Zeit vor seiner Tätigkeit als Autor in leitender Stellung bei der norwegischen Kriminalpolizei arbeitete, bei der Darstellung des Kommissars seine berufliche Erfahrung und sein Wissen - insbesondere was die Ermittlungsarbeit betrifft - einfließen lässt. Des Weiteren war Thomas Enger wie die gemeinsame Protagonistin Emma Ramm selber Journalist, wodurch auch deren Auftreten in den Romanen sehr glaubwürdig erscheint. Dies ist für beiden Autoren auch von großer Bedeutung, wie sie 2020 in einem Interview mit der Krimi-Couch verrieten: „Es ist uns wichtig, dass alles, was wir schreiben, den Eindruck erweckt, es könnte genauso wirklich passieren.“
Seit 2017 arbeiten die beiden Autoren, deren Romane regelmäßig an der Spitze der norwegischen Bestsellerlisten stehen, nun bereits zusammen. Mit „Blutnacht“ erscheint bei Blanvalet bereits der vierte Band ihrer gemeinsamen Reihe - und vielleicht sogar ihr bester. Bereits für März 2024 ist die Veröffentlichung des fünften Teils „Blutstunde“ geplant.
Außergewöhnlicher Plot
Der vierte Fall für Blix und Ramm ist clever konstruiert: Während der Kommissar im Gefängnis zusammen mit einem Verbrecher einsitzt, der irgendwie in Verbindung mit dem geflohenen deutschen Insassen Walter Kroos steht, ermittelt die Journalistin vor Ort des Geschehens. Beide tauschen sich durch regelmäßige Telefongespräche aus. Da Blix keinen Internetzugang hat, bezieht er seine Informationen durch die „Verhöre“ des Mitinsassen Jarl Inge Ree und gelegentliche Gespräche mit seinem früheren Vorgesetzten Gard Fosse. Ansonsten muss sich der Kommissar auf seine Erfahrung und seinen Spürsinn verlassen, der anfänglich - nach einem Jahr Gefängnisaufenthalt - doch recht eingerostet ist. Dazu kommt, dass die Insassen gegenüber Blix als ehemaligen Cop natürlich feindselig eingestellt sind und er sich auch gegen so manchen tätlichen Angriff wehren muss. Gerade diese ungewöhnliche Ermittlungsarbeit von Blix und Ramm macht diesmal den besonderen Reiz des Romans aus.
Schatten der Vergangenheit
Der für die Autoren typische Erzählstil mit kurzen, temporeichen Kapiteln wird diesmal mit zahlreichen Perspektiv- und Zeitwechseln ergänzt. Dies funktioniert wunderbar, sodass der Leser trotz der daraus entstehenden Komplexität nie die Übersicht verliert. Wie gewohnt bauen Enger / Lier Horst so manche Überraschung in ihre Handlung mit ein, um dieser eine neue Richtung zu geben. Geschickt entwickeln sie dadurch einen spannenden, wendungsreichen und kurzweiligen Plot, der es wirklich in sich hat. Den Ausgangspunkt hierfür bilden die Ereignisse im Sommer 2004 auf einem Campingplatz in Osen. Die ausgelassene Ferienstimmung wird durch einen brutalen Zwischenfall jäh beendet. Ein dunkles Geheimnis soll vertuscht werden, dessen Nachhall aber bis in die Gegenwart wirkt. Wenn man etwas an diesem ansonsten erstklassigen Roman bemängeln will, dann ist es die Tatsache, dass die Beteiligten relativ nüchtern über das Ereignis sprechen, das eine tiefe Narbe (so auch der Originaltitel „Arr“) hinterlassen hat. Auch wenn deutlich wird, wir sehr einige darunter zu leiden hatten, wäre eine tiefere Auseinandersetzung hiermit und differenzierter Darstellung der Figuren aufgrund der emotionalen Wucht des Ereignisses wünschenswert gewesen. Dieser Tiefgang mag aber eine Frage des literarischen Geschmacks sei. Daher leidet der positive Gesamteindruck des Romans dadurch keineswegs.
Fazit
Thomas Enger und Jørn Lier Horst stellen mit „Blutnacht“ erneut ihre Extraklasse unter Beweis. Man kann ihre Romane blind kaufen und wird nicht enttäuscht werden. Die Reihe bietet alles, was man von skandinavischer Spannungsliteratur erwartet. Hinzu kommt diesmal ein ungewöhnlicher Plot, der zusätzlich für Spannung sorgt. Ein absolutes Muss für Thrillerfans.
Thomas Enger, Jørn Lier Horst, Blanvalet
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