Kaltherz
- dtv
- Erschienen: Mai 2022
- 11
- Paperback
- 416 Seiten
Spannend aber realitätsfern
Die fünfjährige Marie verschwindet spurlos aus dem Auto ihrer Mutter. Dieser Fall ist für die Münchener Kommissarin Kim Lansky die letzte Chance wieder Fuß im Polizeidienst zu fassen. Doch die Ermittlungen gestalten sich schwierig und Kim wird immer mehr mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, dann realisiert sie, dass Marie nicht das einzige verschwundene Kind ist.
Der zweite Thriller des Erfolgsautors
„Ausweglos“ hieß das Debüt des Autors, das 2021 erschien und reichlich Zuspruch in der Thriller-Fangemeinde erhielt. Schon ein Jahr später legt Faber sein zweites Werk vor, das natürlich am Erfolg des ersten gemessen wird und bei dem die Messlatte entsprechend hoch liegt. Die Grundidee – verschwundenes Kind – ist nicht neu und bedarf daher schon einiger Innovation, um daraus eine halbwegs spannende Geschichte zu machen. Das ist Faber über weite Strecken auch gelungen, selbst, wenn es zwischendurch den ein oder anderen Durchhänger gibt. Der Thriller lebt von sicher geglaubten Annahmen, die sich als völlig falsch herausstellen und vor allem von unvorhersehbaren Wendungen, die sich bis zum Schluss hinziehen. Doch gerade diese lassen die Geschichte ins Reich der völligen Fantasie abgleiten, die kaum Bezug zur Realität besitzen dürfte, wie die Charaktere leider auch.
Lansky und die anderen Figuren
Die Ermittlerin Kim Lansky ist eine weibliche Person, was man sich immer wieder sagen muss, denn wieder einmal wird eine Frau dargestellt wie ein testosteron-gesteuerter Mann, der erst zuschlägt und dann vielleicht einmal denkt. Faber will seine Protagonistin scheinbar als abgeklärte Person erscheinen lassen, die cool und ohne Gedanken an Konsequenzen agiert, dabei keinen Wert auf Aussehen und Kleidung legt und leider auch nicht viel auf sprachlichen Ausdruck. Dieser Charakter hat so gar nichts frauliches mehr, selbst der Name könnte einem Mann gehören und wird von ihr sogar noch auf „Lansky“ reduziert. Wieso Faber nicht gleich einen Mann als Protagonisten auserkoren hat, weiß wohl nur er.
Kim Lansky jedenfalls erscheint mir eher unrealistisch als kompetent, was leider auch auf die anderen Figuren zutrifft, die ebenso, wie Kim, Protagonisten und Protagonistinnen sind und die jeweils kurzen Kapitel aus ihrer Ich-Sicht erzählen. Ihr Vorgesetzter Rizzi gibt seiner Kindheitsfreundin Kim noch einmal eine Chance, nachdem sie es scheinbar schon einmal so richtig vermasselt hatte. Allein schon das ist sehr unwahrscheinlich und Rizzis weitere Rolle im Thriller erst recht. Maries Eltern Clara und Jakob fallen ebenso durch das Raster der Realität. Ihr Handeln hat bei mir eher Kopfschütteln als Spannung erzeugt. Wer auf Figuren Wert legt, die glaubhafte Charaktere mit Tiefgang sind, wird hier nicht fündig werden.
Der Thriller wird die Lesergemeinde spalten
Wenn ein Debüt von vielen über den grünen Klee gelobt wird und innerhalb eines Jahres gleich ein weiterer Roman des Autors erscheint, bin ich immer skeptisch ob das Niveau gehalten werden konnte. Ich habe „Ausweglos“ leider nicht gelesen, jedoch kann ich mir vorstellen, dass „Kaltherz“ nicht uneingeschränkt Anklang finden wird. Wer gerne einfach nur entspannt unterhalten werden will, daher weniger Wert auf einen realitätsnahen Plot, tiefgründige Charaktere oder ausgefeilte Dialoge legen dürfte, wird von diesem Thriller zu Recht bestimmt begeistert sein. Die Geschichte ist unter diesen Voraussetzungen zweifelsfrei spannend: Die Wendungen fesseln, die kurzen Kapitel aus der Sicht der Protagonisten auch. Doch wird es auch die anderen Leserinnen und Leser geben, die von einem guten Thriller in Hinsicht auf Plot, Charaktere und Stil mehr erwarten. Diese dürften enttäuscht sein und die immerhin über 400 Seiten eher als Herausforderung sehen.
Fazit
Ein Thriller für ein entspanntes Lesen, wenn eine fordernde, vielschichtige, stilistisch perfekte und charakterlich ausgeklügelte Geschichte zu viel wäre. Wer allerdings gerade darauf Wert legt, könnte von „Kaltherz“ enttäuscht sein.
Henri Faber, dtv
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