Es war einmal in Hollywood
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: April 2022
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Mythos, Morde und triste Wahrheit
Im Sommer des Jahres 1969 hadert Rick Dalton mit seinem Schicksal. Seit anderthalb Jahrzehnten ist er im Filmgeschäft, hat aber trotz zahlreicher Rollen in Filmen und TV-Serien nie den Durchbruch geschafft. Weiterhin ist er gut im Geschäft, doch er spürt, dass sich Hollywood verändert und sein Stern sinkt. Auf den Straßen tummeln sich nun Hippies, deren Wertvorstellungen Dalton ebenso fremd sind wie die moralfreien Spaghetti-Western, die er nach Ansicht seines Agenten in Europa drehen soll.
Cliff Booth war Daltons Stuntdouble, arbeitet aber nun als dessen Fahrer, seit er sich mit Bruce Lee anlegte und die Studios ihn sperrten. Im Zweiten Weltkrieg wurde Booth durch seine Tapferkeit berühmt. Zahlreiche Gegner hat er im Zweikampf getötet. Auch seine Ehefrau hat er umgebracht, kam als dekorierter Kriegsheld jedoch davon.
Charles Manson, ein erfolgloser Möchtegern-Musiker, hat sich in Hollywood als Möchtegern-Sektenführer etabliert. Junge Männer und vor allem Mädchen tanzen nach der Pfeife des charismatischen Soziopathen, der seine „Familie“ anschaffen, einbrechen und (später) morden lässt.
Sharon Tate ist eine junge Schauspielerin auf dem Weg nach oben und verheiratet mit dem Regisseur Roman Polanski, der nach „Rosemary’s Baby“ von Hollywood hofiert wird. Die Polanskis sind Nachbarn von Rick Dalton, aber auch sonst kreuzen sich die Wege dieser und anderer Hollywood-Bewohner in einem Sommer, der das Märchen von der Traumstadt Hollywood mörderisch enden lässt …
Geistvoll gegen den Strich gebürstet oder nur Geschwätz?
Quentin Tarantino zählt zu jenen Regisseuren, die es schon zu Lebzeiten zum Mythos bringen konnten. Alle Jahre wieder präsentiert er einen Film, der von den Kritikern Szene und Szene und manchmal Bild für Bild interpretiert wird, denn Tarantino ist der (durchaus selbsternannte) Meister des künstlerischen Subtextes, mit dem er seine ansonsten das globale Trivialkino des späteren 20. Jahrhunderts zelebrierenden und dabei in ‚provokanter‘ Gewalt schwelgenden Epen auflädt.
Wenn sich Tarantino in einen Stoff verbeißt, lässt er nicht so schnell wieder los. Seine Filme werden immer länger, und „Es war einmal in Hollywood“ steht in dieser Reihe. Doch dem Regisseur schwebte etwas Neues vor: Als buchstäblicher Autorenfilmer schrieb er nach Drehschluss einen Roman, der den Schauplatz des Films und seine Figuren aufgreift, die Handlung jedoch ignoriert bzw. die Stränge neu arrangiert: Was im Kino in der berüchtigten Nacht mündet, in der Mansons Marionetten Sharon Tate und einige Pechvögel grausam umbrachten, spielt im Roman nur eine Nebenrolle und wird buchstäblich in Nebensätzen abgehakt.
Schon der Film ist nur theoretisch ein Thriller. Es geht um Gewalt und Mord, aber vor allem geht es um Hollywood. Tarantino hat die Geschichte Hollywoods förmlich verinnerlicht, ohne sich ihr verpflichtet zu fühlen. Er unterwirft sie seinen Vorstellungen - so ließ er in „Inglourious Basterds“ Hitler, Goebbels und Co. über die Klinge springen -, was bereits der an ein Märchen erinnernde Titel („Es war einmal …“) andeutet. Dies führt zu einer Handlung, die sich entweder als literarischer Höhenflug oder als Bruchlandung deuten lässt. Tarantino überlässt die Entscheidung seinem Publikum. Das sollte man wissen, wenn man mit der Lektüre beginnt.
Unterschwelliger Zeitenwechsel
1969 kennzeichnet aus Tarantinos Sicht eine cineastische Zeitenwende. Das ‚alte‘ Hollywood liegt in den letzten Zügen bzw. lebt höchstens in Fernsehserien fort, die schematisch die alten Muster recyceln. Noch funktioniert das System, aber die Zeichen stehen auf Sturm. Eine neue Generation steht in den Startlöchern.
Die alten Werte werden in Frage gestellt und negiert. Ausgerechnet in Europa entstehen ‚Western‘, die formale, aber vor allem inhaltliche Maßstäbe setzen. Nichts mehr ist heilig, zynische Gewalt entzaubert die Mythen. Die Götterdämmerung erfasst alle Genres. Krimi, Horror, Drama. Hinzu tritt ein tiefes Misstrauen gegenüber lange sakrosankten Politikern, Konzernen und Kirchen.
Tarantino stellt Rick Dalton und Cliff Booth als verwirrte Männer dar, die den Umbruch ahnen, ihm misstrauen, aber wissen, dass sie sich anpassen müssen oder untergehen werden. Ihnen steht Charles Manson gegenüber, ein Verlierer, der sich jene untertan macht, die noch schwächer sind als er. Tarantino ist wie üblich politisch unkorrekt. Die Hippies sieht er nicht als harmlose Träumer und Blumenkinder, sondern als geistarme Zombies, die sich manipulieren und in Mordmaschinen verwandeln lassen.
Womöglich treibt er es zu weit
Ist „Es war einmal in Hollywood“ ein Thriller? Die Frage wird hier wiederholt, obwohl sie eigentlich rhetorisch ist: Nicht Tarantino, sondern die Werbung sucht geradezu verzweifelt nach einer Schublade, in die sie dieses Werk legen kann. Wie verkauft man eine Tarantino-Geschichte, die primär eine Stimmung generiert, aber offene ‚Action‘ hartnäckig ausspart?
Wer sich für Filmhistorie interessiert, dürfte interessiert zur Kenntnis nehmen, was Tarantino faktenreich (bzw. detailverliebt) über das Hollywood von 1969 zu sagen hat. Seine schier endlosen Kommentare - oft den Protagonisten in die Münder gelegt - spickt er mit abstrusen Anekdoten, die Filmstars jenseits ihrer Glanzzeiten zeigen; Tarantino liebt gefallene Engel und setzt sie gern in seinen Filmen ein.
Ungeachtet der Vorschusslorbeeren, mit denen dieses Buch bedacht wurde, stellt sich während der Lektüre diese Frage: Was soll das? Nur vorgeblich vielschichtige sowie durchweg unsympathische Charaktere, eine Slow-Motion-Anti-´Handlung‘ und ein filmhistorisches Trommelfeuer ersetzen eine echte Geschichte nicht. Gerade Tarantino sollte das wissen. „Es war einmal in Hollywood“ ist durchaus verführerisch auf eine somnambule, eben „tarantinoeske“ Weise, aber das angepriesene Lektüre-Ereignis ist dieses Buch nicht.
Fazit
Vor allem behaupteter Bestseller, der den gleichnamigen Film nicht nacherzählt, sondern neu interpretiert, dabei endlos abschweift und sich in letztlich belanglosen Details verliert: gut lesbar, aber anschließend - zu Recht - vergessen.
Quentin Tarantino, Kiepenheuer & Witsch
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