Montag mittag San Francisco
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1980
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Von rotem Wein zu totem Bart
Seit einem Jahrhundert stellt die Familie Cappellani auf ihrem Gut im kalifornischen Nappa Valley Rotwein her. Aktuell ist die Lage ernst. Die Söhne Leo und Alex verfügen nicht über den Geschäftssinn der Mutter. Rosa hielt lange die Zügel fest in der Hand, doch sie ist abgelenkt; ein deutlich jüngerer Mann buhlt um sie, was vor allem Alex, dem Jüngeren, verdächtig vorkommt.
Er heuert einen Privatdetektiv aus dem nahen San Francisco an, der bald herausfindet, dass es Jason Booker in der Tat auf Rosas Geld abgesehen hat. Kurz darauf werden mehrere Anschläge auf Alex verübt, und Booker wird in San Francisco erschlagen. In diesem Mordfall ermittelt Lieutenant Frank Hastings, während Alex den Detektiv als ‚Leibwächter‘ anheuert.
Was und vor allem wer steckt hinter den Attacken? Am Tatort des Booker-Mordes fand sich ein Stück Papier mit dem darauf getippten Wort „Twospot“. Niemand von den an diesem Fall Beteiligten weiß (angeblich) um dessen Bedeutung, was dem Täter Zeit lässt, einen ungeheuerlichen Plan in die Tat umzusetzen …
Zusammenarbeit zweier Profis
„Montag mittag San Francisco“ - der scheinbar bedeutungslose deutsche Titel löst gar nicht ungeschickt das Problem eines Wortspiels, denn für das originale „Twospot“ gibt es keine adäquate Übersetzung - gleicht als Krimi einem doppelläufigen Schrotschuss: Zwei schon 1978 als Genregrößen anerkannte Autoren haben ihn nicht nur gemeinsam geschrieben, sondern lassen als Hauptfiguren ihre ansonsten in eigenen Serien auftretenden Ermittler Seite an Seite agieren.
Collin Wilcox (1924-1996) veröffentlichte zwischen 1969 und 1995 zwanzig Romane um den Mordermittler Frank Hastings, der für das San Francisco Police Department tätig ist. Bill Pronzini schuf 1971 den „Nameless Detective“, der bis 2017 in 46 Romanen und zahlreichen Kurzgeschichten auftrat. „Montag mittag San Francisco“ ist Band 8 der Hastings- und Band 5 der „Nameless“-Serie - und ein unfreiwilliger Beweis dafür, dass es auch des Guten zu viel sein kann: Gerade, weil die beiden Autoren ausgezeichnete Arbeit leisten wird augenfällig, dass der Detektiv und Hastings trotz mehrfach (und auffällig) geäußerter gegenseitiger Achtung nicht zueinanderpassen.
Davon kündet bereits das sonst für Pronzini nicht relevante Problem eines Helden, dessen Name nie genannt wird; für den Verfasser, der auch als ausgezeichneter Kenner der „Hardboiled“-Historie gilt, steht er stellvertretend für den klassischen Privatdetektiv als solchen. Der „Nameless Detective“ ist in der Kriminalliteratur bekannt und genießt längst selbst Klassikerstatus. In diesem Gemeinschaftswerk ließ sich die Namenlosigkeit allerdings nicht glaubhaft durchhalten, weshalb der Detektiv hier - und nur in diesem Roman - als „Bill“ angesprochen wird. (Er selbst stellt sich übrigens weiterhin nie namentlich vor.)
Eins plus eins - bleibt eins
Schriftsteller, die ihr Geld mit der Populärkultur verdienen, werden selten reich. Echte Profis haben deshalb ein offenes Ohr für Maßnahmen, die eine Steigerung des Einkommens versprechen. Dazu gehört die auch aus Kino, Fernsehen und vor allem Comic bekannte Kombination eigentlich separat handelnder Figuren. Plötzlich stellt sich heraus, dass sie eine fiktive Welt teilen. Wie werden sich diese Charaktere zusammenraufen? Oder werden sie gar miteinander raufen? Auf diesen beiden Fragen gründen - siehe DC oder Marvel - mächtige Franchise-Universen!
‚Gipfeltreffen‘ wie das von Pronzini und Wilcox waren lange selten. Viele etablierte Autoren wollen ihre Figuren nicht ‚teilen‘, weil sie keinen Sinn darin sehen. Geschieht es doch, bleibt es in der Regel bei einer Story, die auf den Reiz des „Was-wäre-wenn“-Effekts setzt, während ein echter erzählerischer Mehrwert ausbleibt. Bis heute hat sich dieser Wind ein wenig gedreht; dies passt in eine Marketing-Welt, in der auch Autoren neue Titel veröffentlichen, die schon seit Jahren tot sind …
1978 war das „shared-world“-Konzept ein Versuchsballon, der von Zeit zu Zeit losgeschickt wurde. „Montag mittag San Francisco“ wirkt wohl auch deshalb inhaltlich zerfahren. Obwohl „Bill“ und Hastings sich mehrfach treffen, bleiben diese Passagen kurz; sie verbinden notdürftig zwei Handlungsebenen, die nie wirklich zueinanderfinden. Wilcox und Pronzini haben jeweils Kapitelblöcke geschrieben, die ganz in „Bills“ oder Hastings gewohnten Romanwelten spielen. Zudem gibt es keinen echten Grund für die Kooperation. Sowohl Hastings als auch „Bill“ könnten den Fall im Alleingang stemmen.
Zwischen Bodenständigkeit und Schwebezustand
Dies wird in einem Plot verpackt, dem beide Autoren keine Plausibilität einhauchen können. Was als klassischer „private-eye“-Krimi beginnt, schlägt urplötzlich in einen Politthriller um. Die von Pronzini eingeführten Personen wirken in diesem Szenario verloren und sogar naiv. Den Wechsel vom zerstrittenen Familienclan zur organisierten Terroristengruppe, die den zum Zeitpunkt des Geschehens tatsächlich noch fidelen Castro aufs Korn nimmt, will nicht funktionieren, nachdem das Geschehen eher gemächlich auf einem abgelegenen Weingut begann.
Dass „Montag mittag San Francisco“ trotzdem ein überaus lesbarer Roman ist, liegt am Talent der beiden Profis Wilcox und Pronzini, die zu wirklich schlechter Leistung offenbar (und glücklicherweise) nicht fähig sind. Wenn „Bill“ und Hastings unter sich bleiben, entfaltet sich sofort jener Lektürespaß, der bei jedem Band der beiden Serien aufkommt. Hinzu kommt vor allem von Pronzini jede Menge Subtext, der „Nameless“ im krimiliterarischen Kontext verortet; der Detektiv sammelt alte Krimi-Magazine und denkt mehrfach über die Ideale des klassischen „Schnüfflers“ nach, die er für sich - so gibt er ein wenig zögerlich zu - übernommen hat.
Frank Hastings ist ganz im Hier und Jetzt verankert. Autor Wilcox reflektiert durchaus die Figur des ebenfalls klassischen Polizisten, der für seinen Job brennt und dafür privat leiden muss, weil er auch am sowieso so weit wie möglich hinausgeschobenen Feierabend nicht abschalten kann, sondern den jeweiligen Fall mit jener Besessenheit verfolgt, die den ‚typischen‘ Krimi-Polizisten ebenso auszeichnet wie den ‚typischen‘ Privatdetektiv. Zumindest diese doppelte Ambivalenz können Wilcox und Pronzini glaubhaft in Worte fassen.
Fazit
Die Zusammenarbeit zweier ansonsten getrennt arbeitender Ermittler ist nur bedingt gelungen. Beide Autoren sorgen für gelungene Auftritte ihrer in eigenen Serien aktiven Figuren, doch daraus will sich keine schlüssige Story ergeben: Als Experiment ist dieser Mix misslungen, aber das Talent zweier Krimi-Meister sorgt trotzdem für einen lesenswerten Roman.
Collin Wilcox, Bill Pronzini, Goldmann
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