Ich bin der Abgrund

Der Müllmann lebt ein Leben abseits der Gesellschaft. Stets auf Unsichtbarkeit bedacht, geht er seinen Gewohnheiten nach. Aber manchmal drängt es ihn hinaus. Dann, wenn man von ihm das nächste Opfer verlangt. Doch plötzlich stellt die Begegnung mit dem 13-jährigen Mädchen mit der lila Haarsträhne sein Leben auf den Kopf: Um ihren Suizid zu verhindern, gibt er sein Leben im Verborgenen auf und rettet sie vor dem Ertrinken im Comer See. Während er immer weiter in ihre Geschichte verstrickt wird, weiß er nicht, dass er im See etwas hinterlassen hat, das die „Fliegenjägerin“ auf seine Spur und sein Geheimnis in Gefahr bringt.

Der Müllmann und die Fliegenjägerin

Auch die Fliegenjägerin wird von den Schatten ihrer Vergangenheit verfolgt. Alle kennen sie hier am Ort des Grauens, das jeder mit ihr verbindet und keiner je vergessen kann. Seit fünf Jahren widmet sie sich mittlerweile Frauen in Not, um sie vor Gewalt zu schützen. Nun macht sie aber Jagd auf den Müllmann, dessen Leben enger mit ihrer eigenen Vergangenheit verknüpft ist, als sie ahnt. Doch das viel größere Risiko für den Müllmann als die Fliegenjägerin ist der Mann, der hinter der grünen Tür lebt. Denn was passiert, wenn er ihn verärgert, fürchtet der Müllmann, seit er ein Kind war.

Nummer-1-Thriller aus Italien

Autor Donato Carrisi, geboren 1973, studierte Jura und spezialisierte sich auf Kriminologie und Verhaltensforschung. Seine Abschlussarbeit schrieb er über den

italienischen Serienmörder Luigi Chiatti, das „Monster von Foligno“, der ihn unter anderem zu seinem neuen Thriller „Ich bin der Abgrund“ inspirierte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Anwalt arbeitet Carrisi heute als Autor und Regisseur. Mit seinem Thriller „Der Nebelmann“ (2017) gelang dem Italiener der internationale Durchbruch.

Mit „Ich bin der Abgrund“ erschafft der italienische Erfolgsautor Donato Carrisi einen düsteren Thriller über die Sprach- und Machtlosigkeit Betroffenener von häuslicher

Gewalt und Missbrauch. Die Geschichte um den geheimnisvollen Müllmann fesselt den Leser gleichermaßen wie sie ihn aufwühlt.

Unsichtbar unter Menschen

Der Müllmann ist ein schweigsamer Mensch. Wenn er nachdenkt, sind seine Gedanken ausgiebige Betrachtungen, das Dahingleiten stummer Bilder in seinem Kopf, begleitet von beinah elementaren Empfindungen. Straßen reinigen, Abfälle beseitigen - diese Tätigkeiten beschreiben ihn am besten. Wenn er früh morgens unbeachtet vom Rest der Welt seiner Tätigkeit für die Städtische Müllabfuhr nachgeht, ist er zufrieden. Er will unsichtbar für die anderen bleiben. Dabei entsorgt er nicht nur den Müll, sondern analysiert ihn - um sein nächstes Opfer zu finden. Dabei ist er selber als Kind mehrfach Opfer körperlicher, sexualisierter und sozialer Gewalt geworden.

Jahrelang versuchte der Müllmann herauszufinden, worin der Wert eines Menschen wie ihm liegt. Er findet ihn, ganz unten, im Abgrund, da wo niemand nachzuschauen wagt. Dort besitzt sogar jemand wie er einen Nutzen.

Ausdrucksstarker Roman

Donato Carrisi liefert wie gewohnt schwere Kost. Es sind eindringliche Bilder, die im Kopf bleiben, auch wenn die Gewalt oftmals nur angedeutet wird. Der Roman kennt keine Gewinner. Alle sind in irgendeiner Weise Opfer, aber auch Täter. Es hat schon etwas Zynisches, dass ausgerechnet der Gejagte der Einzige ist, der trotz seines Schicksals so etwas wie Menschlichkeit zeigt. Zugegeben: Er macht dies mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Aber zum ersten Mal fühlt der Müllmann, dass er nicht alleine ist. Dass er etwas zu geben hat. Dass er gebraucht wird. Oder doch eher „missbraucht“. Der Fatalismus seines Lebens.

Carrisis Sprache kontrastiert in ihrer Ausdrucksstärke und Schönheit das Dunkle und Böse der Handlung. Sein Stil ist nahezu poetisch, er zaubert wunderschöne Bilder vom Comer See und lässt gleichzeitig in den Abgrund der menschlichen Seele blicken. Was es fast unerträglich macht, ist der reale Hintergrund der Geschichte. Im Mittelpunkt steht dabei aber die Frage, was den Menschen zum Monster werden lässt.

Fazit

Donato Carrisi gelingt ein eindringlicher Thriller über die allgegenwärtige Gewalt und den täglichen Missbrauch - in der Familie, im Freundeskreis und in der Gesellschaft. „Ich bin der Abgrund“ ist ein aufwühlender, tragischer und tiefgründiger Roman. Schmerzvolle Spannung, die weh tut.