Das Spiegelhaus
- Eichborn
- Erschienen: März 2022
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- Übersetzung: Katharina Naumann
- Originaltitel: "Mirrorland"
- Paperback
- 413 Seiten
Eine sehr fantasievolle Geschichte
Nach 20 Jahren Abwesenheit kehrt Cat an den Ort ihrer Kindheit zurück, denn ihre Zwillingsschwester El wird auf See vermisst. Das verwinkelte Haus in Edinburgh, das jetzt El und ihr Mann Ross bewohnen, zwingt Cat Erinnerungen auf, welche geprägt sind von einer einsamen aber mit vielen fantasievollen Geschichten angefüllten Kindheit, die allerdings sehr abrupt in einer Katastrophe endete. Und Cat ist sich sicher – El ist nicht tot! Was sie aber nicht weiß: Hinter Els Verschwinden steht ein Plan, der sie zwingen soll sich zu erinnern.
Kein „ausgefeilter psychologischer Spannungsroman“
Carole Johnstone hat bisher zahlreiche Kurzgeschichten geschrieben, die alle von „den wunderbaren und den schlimmen Dingen handeln, die wir aus Liebe tun. Und die unglaubliche Kraft von Geheimnissen...“. Da ist es nicht verwunderlich, dass ihr Roman-Debüt als „gothic psychological thriller“ und als „ausgefeilter psychologischer Spannungsroman“ beworben wird und damit Spannung à la Stephen King verspricht. Doch was halbwegs spannend beginnt, versumpft schnell in einer haarsträubend unrealistischen Geschichte, die fast schon zwanghaft versucht, ein Mystery-Thriller zu sein.
Sehr langsam zeigt sich die ganze Tragödie der Vergangenheit
Cat gerät sofort wieder in den Bann des Hauses, das sie vor 20 Jahren fluchtartig verlassen hat. Was damals genau geschah, weiß sie nicht mehr, nur dass die Zeit davor angefüllt war von den fantasievollen Geschichten ihrer Mutter, die das Haus belebten und es in ein Piratenschiff, ein Clown-Café, den Kakadu-Dschungel oder auch ein Spiegelland verwandelten.
Dazu erhält Cat mysteriöse Nachrichten, die nur von El sein können und die sie auf eine Schnitzeljagd durch das Haus schicken, die wiederum merkwürdige Tagebucheintragungen von El zutage bringt. Johnstone kombiniert ständige Rückblicke in die Vergangenheit mit mysteriösen Vorgängen in der Gegenwart, wobei die Übergänge so fließend sind, dass man sie kaum wahrnehmen kann. Immer wieder lässt sie Cat in die Traumwelt ihrer Kindheit abgleiten. Langsam – sehr langsam – kristallisiert sich dadurch die ganze Tragödie der Vergangenheit heraus, die zu den Vorkommnissen der Gegenwart geführt hat.
Das könnte durchaus sehr spannend sein, doch schon nach den ersten ausufernden Ausflügen in die Traumwelt ist man eigentlich nur noch genervt von Blaubart, Clowns-Café und vor allem dem Spiegelland, das man durch eine Tür in der Speisekammer betreten kann (kommt Euch das auch ziemlich bekannt vor?).
Der Plot wird auch durch die Schnitzeljagd zu geheimen Plätzen in Schränken und Kellern nicht vorangetrieben, sondern dümpelt eher vor sich hin, bis er in einem Finale endet, das man wahrlich kein Novum nennen kann, Krimi-Vielleser erahnen ihn bestimmt. Auch weniger Versierte des Genres dürfte das Ende wohl nur wenig überraschen. Somit ist es in seiner Gänze so abstrus, dass es zwar zur restlichen Geschichte passt, aber leider nur noch ein ungläubiges Kopfschütteln hervorruft.
Unrealistische Geschichte in wenig lesefreundlichem Stil
Wie schon auf dem Cover angedeutet, ist alle Handlung Teil eines Plans, der Cat „enthüllen soll, was damals wirklich im Spiegelhaus geschah ...“. Doch das hätte man wirklich einfacher haben können. So wird eine unglaubliche und extrem unrealistische Handlung gesponnen, die zudem in einem Schreibstil abgefasst wurde, der wenig lesefreundlich ist. Viele Sätze sind kurz, bestehen manchmal nur aus einer Handvoll Worten. Dieser stakkatoartige Stil lässt kaum einen Lesefluss zu und verhindert ein Eintauchen in das sowieso schon sehr bizarre Geschehen. Ein wahres Plus dagegen sind die Atmosphäre des Hauses und die Figurenzeichnung der Protagonistin Cat.
Cat schleppt ein gehöriges Päckchen mit sich herum
Immer wieder betont die Autorin die enge Verbundenheit von eineiigen Zwillingen, die sie Spiegelzwillinge nennt. Doch dieses enge Verhältnis ist bei Cat und El gestört – sie sprachen jahrelang kein Wort miteinander. Die Vergangenheit war mehr als einmal traumatisierend für Cat. Die Erinnerungslücken, die sie plagen, die Tat, die zu ihrem Umzug nach Kalifornien führte, charakterisieren Cat und lassen sie zu einer angreifbaren und emotional labilen Frau werden.
Diese Figurenzeichnung ist Johnstone sehr gut gelungen, auch wenn sie manchmal etwas fraglich ist. Man kann nachvollziehen was es mit Cat macht, wenn sie in die Abgründe ihrer Vergangenheit blickt und die Wahrheit über das Haus in Edinburgh erfährt. Dieses verwinkelte Haus strahlt eine beunruhigende Atmosphäre aus, die zwar durch die Absurdität der kindlichen Phantasiewelt etwas leidet, aber dennoch von der Autorin beklemmend treffend beschrieben wird. Diese Atmosphäre und Cat, die zwar immer wieder in ihre Traumwelt abgleitet aber eine gut gezeichnete Protagonistin ist, sind die Gründe warum man das Buch nicht genervt zur Seite legt, sondern weiterliest.
Fazit
Ein Debüt, das ebenso mystisch wie spannend sein sollte. Die realitätsferne Geschichte, abgefasst in einem wenig lesefreundlichem Stil, verhindert jedoch eine durchgehend fesselnde Spannung. Wen aber düstere Häuser und eine gut gezeichnete Protagonistin trotzdem begeistern können, wird am über 400 Seiten starken „Spiegelhaus“ sicherlich Gefallen finden.
Carole Johnstone, Eichborn
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