Die Toten von Wien
- Goldmann
- Erschienen: September 2022
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- Ein Fall für Alexander Baran 1
- Taschenbuch, Broschur
- 384 Seiten
Ein sehr verzwickter Fall
Karl Rittner ist das Pseudonym eines in Wien lebenden österreichischen Hochschulprofessors und Schriftstellers. In die Hauptstadt Österreichs entführt er uns auch in seinem Krimi-Debüt.
Wien 1922
Nach dem 1. Weltkrieg wurde aus dem ungarischen Adligen Sandor von Baranyi der Wiener Kommissär Alexander Baran. Er muss nicht nur mit Traumata aus dem Krieg zurechtkommen, sondern auch mit dem spurlosen Verschwinden seiner Schwester 1913 und der darauf folgenden Selbsttötung seiner Eltern. Noch heute sucht er nach Szonja und bangt bei jeder aufgefundenen Frauenleiche, es könnte sie sein. Doch die jetzt aufgefundene, brutal entstellte Tote am Donaukanal ist nicht seine Schwester, sondern eine aufstrebende Tänzerin an der Wiener Oper. Fast zeitgleich wird ein ehemaliger Hofbeamter von einer Straßenbahn erfasst und getötet. Nach vielen Recherchen wird klar, dass die beiden Vorfälle zusammenhängen. Und fast zu spät erkennen Baran und Bezirksinspektor Florian Meisel, dass auch Szonjas Verschwinden in den Fall verwickelt ist.
Viele Umwege führen ans Ziel
Der Prolog, aus Szonjas Sicht geschrieben, initiiert einen Spannungsbogen, der steil nach oben geht – und in den folgenden Kapiteln ebenso schnell wieder abstürzt. Rittner verzettelt sich in zu vielen Wendungen, lässt seine Ermittler in zu viele tote Richtungen laufen. Zwar führen die meisten scheinbar erfolglosen Recherchen dennoch zu weiterführenden Erkenntnissen, doch der Weg ist sehr zäh und verlangt schon einiges an Durchhaltevermögen von der Leserschaft. Heraus kommt ein sehr verzwickter und gleichzeitig verworren konstruierter Fall, der sowohl die ärmlichen Verhältnisse in den beengten Wohnungen der Mazzeinsel in Wien betrifft, als auch die hohe Politik rund um den Mord am Erzherzog Franz Ferdinand. Doch damit nicht genug, denn die ganz persönliche Familiengeschichte Barans ist ein immer offensichtlicher werdender Bestandteil des wenig realistischen Plots, der in einem Finale endet, das zum Rest passt und zudem einen weiteren Krimi mit Baran und Meisel in Aussicht stellt.
Der Thriller punktet durch Atmosphäre
Rittner greift bei der Figurenzeichnung mit einem adligen Kommissär, einem treu ergebenen Mitarbeiter und dem üblichen egozentrischen Vorgesetzten doch etwas zu tief in die Klischeekiste. Somit kann der Krimi auch in Sachen Charaktere kaum punkten. Was die Geschichte aber enorm bereichert, ist die eindringlich geschilderte Atmosphäre in Wien in der Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg. Die Monarchie musste einer Republik weichen, der technische Fortschritt ist eingeläutet und die Verhältnisse sind alles andere als gut. Die Wirtschaft liegt am Boden und viele Menschen und Familien müssen mit den grausamen Folgen des Krieges zurecht kommen. Der Judenhass wird in den Straßen immer sicht- und hörbarer. Diese Verhältnisse des Um- und Aufbruchs hat Rittner gekonnt eingefangen, was die Leserschaft mit einem ansonsten unspektakulären Krimi aussöhnen könnte.
Fazit
Ein Histo-Krimi, der hauptsächlich durch seine Atmosphäre punktet, während Figurenzeichnung und ein extrem konstruierter und verworrener Plot eher enttäuschen. Dennoch ist man gespannt, wie es mit Baran und Meisel weiter geht.
Karl Rittner, Goldmann
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