Was im Verborgenen ruht
- Goldmann
- Erschienen: März 2022
- 7
- Ein Inspector-Lynley-Roman 21
- Übersetzung: Charlotte Breuer
- Originaltitel: "Something to Hide"
- Hardcover mit Schutzumschlag
- 864 Seiten
So gut, wie in alten Zeiten
Teo Bontempi hatte einige gut gehütete Geheimnisse. Natürlich würden die grundsätzlich niemanden etwas angehen, aber jetzt, da Teo ermordet wurde, interessiert sich die britische Polizei natürlich für alles, was zu einer Aufklärung beitragen könnte. Bontempi war zwar eine von ihnen, aber sicher wussten nicht alle, dass sie als kleines Mädchen in Afrika von einem reichen europäischen Paar adoptiert und nach England gebracht wurde. Wahrscheinlich wussten noch weniger davon, dass sie eine Art Doppelleben führte. Einerseits galt sie als angepasste, moderne Frau, die in westlicher Kleidung ihren Ermittlungen nachging – andererseits trug sie traditionelle Kleidung und hielt Vorträge vor afrikanischen Mädchen. Über ihr Liebesleben war noch weniger bekannt und nicht einmal ihre Schwester wusste, dass Teo als Kind einer Beschneidung unterworfen und grausam verletzt und verstümmelt wurde. Seit längerem schon kämpft sie gegen die unmenschliche Praktik, die mitsamt den afrikanischen Einwanderern auch nach Europa geschleppt wurde. Aus gutem Grund fragen sich ihre ehemaligen Kollegen jetzt, ob Teo Bontempi nicht zuletzt noch einmal ein Opfer dieses Rituals wurde.
…und dann fielen wir uns wieder in die Arme…
Ich gebe es zu, ich war lange, lange ein großer Elizabeth George Fan. Irgendwie habe ich ihr aber das mit Helen nie so richtig verziehen. Da bekam unsere Liebe ein paar Kratzer. Und dann kam „Nur eine böse Tat“ und ich habe Schluss gemacht. Was hatte mich dieses Buch genervt. Ich habe es fertig gelesen und sofort bei Ebay vertickt. Keine Georges mehr – Schluss damit – das hatte ich mir geschworen. Jetzt kam der neue George raus und die Leseprobe las sich doch sehr interessant. Ich ließ mich noch einmal ein – und was will ich sagen: George lesen ist wie Heimkommen. Man kennt sie noch alle, so richtig älter scheint keiner geworden zu sein. Hund Peach und Katze Alaska sind noch da und mittlerweile müssten sie ein biblisches Alter erreicht haben. Aber was soll’s? Lynley und Havers ermitteln wie früher „zwistiglich vereint“, Inspektor Nkata steht mit seinen 1,90 Metern dazwischen und es ist anfangs schön, wieder im altbekannten zuhause zu sein.
Unglücklicherweise ist man im alten Zuhause aber auch schnell genervt. Warum die ganzen Geschichten um diesen verfressenen Dackel? Warum immer noch mal das Herauskramen von alten Flammen oder Beziehungen? Warum wollen alle ständig – natürlich außer Barbara Havers – politisch korrekt sein und warum will sie es noch immer nicht? Warum scheint hier niemand älter, kränker, unbeweglicher zu werden? Auch das gute, alte Zuhause hat ein paar Schrammen und nach der ersten Wiedersehensfreude sieht man auch die.
“Bald bin ich kein kleines Mädchen mehr, sondern eine Frau“
Dennoch ist es für mich die alte Elizabeth George, die mit ihren verschiedenen Handlungssträngen zu fesseln vermag, wie keine andere. In diesem Buch treffen wir auf die afrikanische Familie Bankole, die vom despotischen Vater tyrannisiert wird. Sie und ihre Mitglieder bilden die Kerngeschichte, denn wie viele andere afrikanische Mädchen auch, soll die Achtjährige Simisola einer Beschneidung unterworfen werden.
Wie in vielen ihrer Werke hat George den Roman um dieses Grundthema aufgebaut und lässt fast die ganze Handlung um dieses Thema rotieren. Manchmal kommt das Gefühl auf, dass es fast ein bisschen zu viel des Guten ist. Dennoch brachte das Thema mich aber auch dazu, einmal über die Verstümmelung der Mädchen nachzulesen und ich war sehr überrascht zu erfahren, dass sie jetzt sogar in Europa – natürlich illegal und von Strafe bedroht – praktiziert wird.
George erzählt ihren Roman auf verschiedenen Ebenen: Da sind die achtjährige Simi, die damit gelockt wird, dass sie mit einem großen Fest zur „Frau“ gemacht werden soll, die Frauen und Mädchen, die die brutale Prozedur über sich ergehen lassen mussten und jetzt versuchen anderen zu helfen oder auch die Ärztin, die ihre ganze Kunst aufbringt, um Zerstörtes wieder aufzubauen. Einiges wird auch wieder über Thomas Linley und Barbara Havers und ihren Freundeskreis erzählt, aber verglichen mit früheren Büchern fallen diese Passagen deutlich kürzer aus und – ehrlich gesagt – gefiel mir das sehr gut.
Ein paar Fragen bleiben
Die Verbindung dieser Stränge schafft einen spannenden und abwechslungsreichen Roman und nach der langen Abwesenheit von Lynley, Havers und Co fühlte ich mich in der letzten Woche wie das berühmte Kind im Schokoladenladen und ließ mich jeden Abend von Frau George nach London versetzen. Dennoch – es ist nicht alles 100%ig gelungen. Ein paar Fragen wurden nicht aufgelöst und auch der letzte Dreh zum Schluss des Romans, der noch einmal besondere Spannung aufbaut und der allerletzte Salto zurück – das gefiel mir nicht besonders. Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass der eine, besonders böse und gemeine Protagonist doch bitteschön der Mörder sein möge, denn das hätte so schön gepasst, war er doch schon so garstig und gemein gezeichnet, dass eine letzte „Kirsche auf der Sahne“ auch nicht mehr viel ausgemacht hätte. Aber so arbeitet Elizabeth George leider nicht: Bei allen Klischees die teilweise bedient werden und bei allen guten Auflösungen – in ihren Büchern gibt es immer nur wenige Gewinner.
In ihrem 21. Roman lässt Elizabeth George ihre alterslosen Protagonisten Lynley, Havers und Nkata in einem mehr als schwierigen Terrain ermitteln. Oft verschafft einem das Thema ein mehr als ungutes Gefühl, aber dennoch bin ich der Meinung, dass es richtig ist, wenn es auch in diesem Zusammenhang einmal in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gesetzt wird.
Fazit
Elizabeth George hat wieder einen gelungenen, spannenden Krimi über ihre alte Lieblingscrew abgeliefert und das wird nicht nur die alten Fans freuen.
Elizabeth George, Goldmann
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