Mord an der Riviera
- Klett-Cotta
- Erschienen: März 2022
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- Übersetzung: Eike Schönfeld
- Originaltitel: "Death on the Riviera"
- Hardcover
- 288 Seiten
Falschmünzer und falsche Fuffziger unter warmer Sonne
Detective Inspector Meredith ist zufrieden: Den Monat Februar muss er nicht im kalten, nassen England verbringen. Scotland Yard schickt ihn - und den jungen, sehr eifrigen Sergeant Freddy Strang - nach Frankreich und dort an die Côte d'Azur. Dort wurde der ‚daheim‘ untergetauchte Meisterfälscher Chalky Cobbert geortet, der für eine englische Bande ‚arbeitet‘, die gut (aber nicht gut genug) gefälschte Banknoten an jene Urlauber verteilt, die sich an die strengen französischen Vorschriften nicht halten und mehr britisches Geld umtauschen wollen, als eigentlich gestattet ist.
Zunächst unabhängig davon kommt es im Städtchen Menton zu zwischenmenschlichen Turbulenzen. In der Villa Paloma hält die gut situierte, aber rapide welkende Witwe Nesta Heddawick einige arbeitsscheue, aber ansehnliche Männer frei. Dilys, ihre (puritanische) Nichte und Quasi-Tochter, hält vor allem vom schmierigen Tony Shenton, wenig; dies erst recht, nachdem Shenton dreist die junge Kitty Linden ‚eingeladen‘ hat, die recht offensichtlich das Bett mit ihm teilt.
Zu dieser Gesellschaft stößt der Neuankömmling Bill Dillon, der ein Geheimnis hütet: Kitty ist seine Gattin, hat ihn jedoch verlassen. Da Dillon sie immer noch liebt, folgte er ihr nach Frankreich. Seine Ankunft in der Villa Paloma steigert dort den emotionalen Druck, denn Shenton wusste bisher nicht von Kittys Ehe.
Weiterhin ahnungslos bezüglich dieser Spannungen verfolgen Meredith und Strang gemeinsam mit den französischen Kollegen die Geldfälscher. Doch die Ermittler treten lange auf der Stelle. Erst als sich Strang in Dilys verliebt, kommt Schwung in den Fall, denn wie sich herausstellt, ist die Villa Paloma nicht nur ein Ort moralisch bedenklicher Liebschaften, sondern auch eine ‚Filiale‘ jener Bande, die das Falschgeld unter die Leute bringt …
Das Böse unter der Sonne
Endlich ist es wieder soweit: Der Verlag Klett-Cotta veröffentlicht einen weiteren Krimi-Klassiker, der für die großartige Serie „British Library Crime Classics“ wiederentdeckt wurde. Sie widmet sich den Werken grundlos vergessener Autoren, die das Genre mindestens ebenso unterhaltsam beschickten wie die weiterhin verehrten Klassiker um Agatha Christie. „John Bude“ gehört sicherlich zu den lohnenden Wiederentdeckungen. Er hieß eigentlich Ernest Carpenter Elmore (1901-1957) und schuf trotz seines beklagenswert kurzen Lebens nicht nur ein reiches, sondern auch interessantes Werk. Im Mittelpunkt stehen jene 23 Romane, die sich um den Scotland-Yard-Beamten Meredith drehen, der zwischen 1935 und 1957 unermüdlich im Dienst war. „Mord an der Riviera“ ist der 16. Band und spiegelt das Bemühen wider, inzwischen allzu ausgiebig genutzte Handlungsmuster durch ‚exotische‘ Schauplätze zu beleben.
Die englisch-französische Historie ist auf sämtlichen Ebenen turbulent. Dies- und jenseits des Ärmelkanals liegen sich beide Länder nahe genug gegenüber, um über viele Jahrhunderte immer neue Kriege gegeneinander zu führen. In Friedenszeiten trieb man eifrig Handel miteinander. Zudem lernten die von einem oft rauen Inselklima geplagten Engländer die angenehme Wärme der mittelmeernahen Gestade kennen. Wer es sich leisten konnte, überwinterte auf dem Kontinent, wobei vor allem die Côte d'Azur die Angelsachsen lockte. Hier bildeten sich regelrechte Kolonien, die in der ‚Fremde‘ gern die gegenseitige Nähe suchten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Großbritannien zwar gewonnen hatte, aber trotzdem noch unter den Nachwirkungen litt, konnte sogar die nur literarische Wärme an Sehnsuchtsorten spielender Romane notrationsgeplagte Leser zum Träumen bringen … - ein Ansatz, der Bude für diesen Krimi zu nutzen wusste.
Alles hat Konsequenzen
Das Verbrechen ist ein Gefährte des Geldes. Da sich an der Mittelmeerküste vor allem betuchte Briten tummelten - und in Monte Carlo eines der berühmtesten Spielcasinos beheimatet war -, folgten ihnen allerlei Strolche. Bude nutzt eine einst aktuelle Vorschrift, nach der ausländische Urlauber nur eine kleine Summe Bargeld einführen durften bzw. in einheimische Währung umtauschen mussten, wobei der französische Staat ordentlich absahnte. Natürlich blühte deshalb das Geschäft jener illegalen Wechsler, die ihren ‚Kunden‘ eine günstigere Tauschquote boten - oder ihnen Falschgeld andrehten!
Als klassischer Rätsel-Krimi folgt „Mord an der Riviera“ nur bedingt bekannten Mustern. Die Jagd auf die Geldfälscher bleibt lange unabhängig von den Ereignissen in der Villa Paloma. Zwar deutet Bude schon früh Gemeinsamkeiten an, die allerdings recht konstruiert wirken. Bude wollte offensichtlich das übliche Whodunit-Geschehen durch eine manchmal tatsächlich ‚actionreife‘ Falschmünzer-Hatz ‚aufwerten‘.
Diese Rechnung geht nicht gänzlich auf. Dass der Unterhaltungswert gewahrt bleibt, liegt vor allem am schriftstellerischen Geschick eines Verfassers, der die Regeln ‚seines‘ Genres perfekt verinnerlicht hatte, ohne darüber in Routine abzugleiten. Bude (bzw. Elmore) gehörte zudem selbst zu denjenigen Engländern, die sich oft und gern in Frankreich aufhielten. Dass er und seine Frau u. a. in Menton ansässig waren, sorgt für eine offensichtliche Ortskenntnis, die dem Geschehen eine authentische Note verleiht.
Angelsachsen und Gallier
Viel Mühe gibt sich Bude mit seinen Figuren, wobei er vor (unterhaltsamen) Klischees nicht zurückschreckt. Zwar bleibt Inspector Meredith der fallzentrierte Ermittler, zeigt jedoch ‚menschliche‘ Züge, was durch das sanfte Klima gefördert wird. Meredith isst gut, trinkt auch während des Dienstes Wein und lässt sogar seinen verliebten Assistenten von der Leine.
Freddy Strang ist ein recht naiver Jüngling, der sich genretypisch ordentlich als Gockel blamiert, aber schon eigene Momente kriminalistischer Hellsicht an den Tag legen darf. Er sorgt außerdem für die Verbindung der beiden Handlungsstränge, wobei sich die Ereignisse in der Villa Paloma erst überschlagen, als die Geldfälscher bereits überführt sind: Was als innovative Abweichung vom üblichen Whodunit-Plot gesehen werden kann, mag den Puristen verärgern. Unbestritten ist freilich die Leichtigkeit, mit der Bude die Fäden in der Schreibhand hält.
Die übrigen Figuren verkörpern ebenfalls Archetypen. Da ist die alternde, dicke, ihrer Jugend und Schönheit würdelos hinterhertrauernde Nesta Heddawick, die hübsche, aber langweilige Dilys, der Gigolo Shenton, die unmoralisch lebensfrohe Kitty, die ungemein (bzw. übertrieben) gallischen Polizeibeamten Blampignon und Gebaud sowie ein Reigen entsprechend besetzten Whodunit-Personals, das der Verfasser in seiner Übertreibung geschickt kontrolliert. Gekrönt wird das ‚zweite Finale‘, das der Aushebung der Gangsterbande folgt, durch einen meisterlichen Twist, mit dem Bude einen auf die Spitze getriebenen, eigentlich ‚unmöglichen‘ Mord plausibel aufklärt.
Fazit
Obwohl im Plot ein wenig zerfasernd, sorgt die Meisterschaft des Profis für einen trotz (oder wegen) seines Alters durchweg lesenswerten Kriminalroman. Die gelungene Übersetzung, das elegante Layout und das hochwertige Buchhandwerk unterstützen die Wertigkeit dieses hierzulande bisher unveröffentlichten Krimi-Klassikers.
John Bude, Klett-Cotta
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