Die Stille des Bösen
- Atrium
- Erschienen: August 2021
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Potential geht in völlig absurder Geschichte unter
Das viel gelesene Genre des Nordic-Noirs bekommt seit einiger Zeit mit dem Aussie-Noir Konkurrenz. Die Autoren von Down Under werden auch bei uns immer beliebter und stehen in Bezug auf Spannung und Setting ihren skandinavischen Kollegen in nichts nach. Statt Fjordlandschaft und ausgedehnten Wäldern, bekommt man es hier mit dem roten Outback oder, wie in diesem Fall, mit der Wildnis der tasmanischen Berge zu tun. Kyle Perry stammt aus der Gegend um die Great Western Tiers und kennt die Gefahren dieser schier undurchdringlichen Wälder. Er arbeitet als Berater in Jugendzentren, Highschools und Entzugseinrichtungen. Mit „Die Stille des Bösen“ legt er sein Debüt als Thrillerautor vor.
Vier Schülerinnen verschwinden
Auf einem Schulausflug verschwinden vier Schülerinnen in den Great Western Tiers. Das ist nicht das erste Mal, bereits vor einigen Jahren war eine Gruppe von Teenagerinnen nicht mehr auffindbar. Sie sollen dem Hungerman zum Opfer gefallen sein – einer Legende, die auch jetzt wieder bemüht wird. Detective Badenhorst und seine Kollegin dagegen verdächtigen Jordan Murphy, den Vater eines der Mädchen. Doch Zweifel sind angebracht, denn die Bloggerin Madison, eine Freundin der Verschwundenen, verschweigt etwas. Dann wird eines der Mädchen tot am Fuß eines Abhanges gefunden und an der Abbruchkante stehen ihre Schuhe fein säuberlich geschnürt und akkurat ausgerichtet. Können die drei anderen Mädchen lebend gefunden werden oder geht doch der Hungerman um?
Die Great Western Tiers haben es in sich
Das große Plus dieses Thrillers ist seine Atmosphäre. Perry schafft es dem Leser die nahezu magische Landschaft der Great Western Tiers im Zentrum Tasmaniens zu vermitteln. Die grünen Berge ragen imposant aus der Ebene auf, ihre Wälder scheinen undurchdringlich, die Wege sind gesäumt von dichtem Strauchwerk und die Eukalyptus-Bäume ragen wie Geister in die Höhe. In den Ortschaften leben Aborigines und europäisch-stämmige Australier mit den gleichen Problemen, wie überall auf diesem Kontinent zusammen. Das gesellschaftliche Gefälle, der Kampf gegen Drogen und die Probleme der Jugend werden vom Autor sehr authentisch und glaubhaft beschrieben. Jedoch geht diese knisternde Atmosphäre zwischen Mystik und Alltagsproblemen in einem konstruierten und langatmigen Plot unter.
Probleme in Endlosschleife
Der Anfang des Buches ist vielversprechend und schürt die Spannung gehörig an. Doch schon bald ist die Hoffnung auf einen packenden Thriller dahin. Sobald die Protagonisten eingeführt sind, scheint sich der Autor in seiner eigenen Geschichte zu verlieren. Ständig werden die gleichen Probleme in einer Art Endlosschleife durchdiskutiert, wobei die Dialoge immer trivialer und entbehrlicher werden. Nur wenige Handlungen treiben das Geschehen voran und selbst die anfänglich angestoßene Mystik verliert sich irgendwann zwischen neuen You-Tube-Filmchen und Teenieproblemen. Dabei zeichnet Perry ein Bild der Gesellschaft, das dominiert ist von Drogenmissbrauch und in dem sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen scheinbar ganz alltäglich sind.
Dieses Stereotyp wird durch den sehr restringierten Sprachgebrauch noch weiter strapaziert. Der konstruierte und wenig logische Plot tut sein Übriges um es dem Leser schwer zu machen. Hier hat Perry alles hineingepackt, was an Problemen habhaft war: von drogendealenden Vätern über korrupte Polizisten bis hin zu sexuellem Missbrauch und der Kritik an Social Media. Dabei bleibt die Spannung einfach auf der Strecke und selbst der Schluss, der wohl als Kracher gedacht war, macht nicht einmal mehr Puff, so unglaublich unrealistisch ist er. Wenn dann die Geschichte aufgelöst wird, ist man so enttäuscht, dass man sich den Hungerman beinahe herbeisehnt.
Klischees statt glaubhafter Charaktere
Die „Grundausstattung“ der Handelnden ist durchaus glaubhaft, doch leider verharren sie darin. Diese Eindimensionalität treibt der Autor auf die Spitze. Seine Charaktere haben nicht den Hauch einer nuancierenden Persönlichkeit – hier agiert der Drogendealer wie in einem billigen Krimi; der Polizist ist traumatisiert und lebt das ständig in allen möglichen Ticks aus; die Polizistin ist eine wahre Amazone - und nur das und die sensationslüsterne Bloggerin ist das wandelnde Klischee schlecht hin. Hier hat Perry ebenso an der Realität vorbei geschrieben, wie bei der Plotkonstruktion auch, selbst wenn er behauptet, die Figuren wären an existierenden Menschen orientiert.
Fazit
„Die Stille des Bösen“ hat mich enttäuscht. Die Geschichte ist unrealistisch, unlogisch und langatmig geschildert. Die angerissene Mystik ist genauso schnell dahin, wie die Spannung. Bleibt zu hoffen, dass andere Aussie-Noir den Ruf wieder aufbessern und dieses Genre zu einer echten Ergänzung für ihre skandinavischen Vettern werden lassen.
Kyle Perry, Atrium
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