Der Hinterhalt

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2022
  • 0

- Übersetzung: Rainer Schmidt

- Originaltitel: "Westwind"

- Taschenbuch

- 400 Seiten

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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2022

Auge im All soll zugedrückt werden

Martin Hepton arbeitet zwar für den britischen Geheimdienst, doch bisher war sein Job ruhig und ungefährlich: Er sitzt zusammen mit anderen Spezialisten vor einem Computer und beobachtet die Arbeit des Spionage-Satelliten „Zephyr“, der brillante Bilder aus der Erdumlaufbahn sendet.

Die Routine wird eines Tages unterbrochen, als der Kontakt zum Satelliten abbricht. Zwar kann das Team ihn nach aufregenden Minuten wiederherstellen, aber Hepton glaubt einige Hinweise auf seltsame Aktivitäten im Hintergrund festgestellt zu haben. Ein Kollege pflichtet ihm bei - und ist kurz darauf verschwunden. Der Leiter der Station leugnet jeglichen Zwischenfall. Hepton wird misstrauisch und beginnt auf eigene Faust zu recherchieren.

In den USA überlebt der englische Major Michael Dreyfuss, ‚Gast‘ an Bord des Weltraumshuttles „Argos“, als einziges Crewmitglied dessen Absturz. Im All wurde er Zeuge merkwürdiger Aktivitäten, und noch während das Shuttle zu Boden ging, versuchte ein Mitglied der Besatzung ihn umzubringen. Es folgen weitere Attacken, weshalb sich Dreyfuss mit Hilfe des britischen Geheimdienstes aus den USA schmuggeln lässt.

In England nimmt er Kontakt zur Journalistin Jill Watson auf. Sie ist seine Lebensgefährtin - und Hepsons frühere Freundin, weshalb auch er sich an Jill wendet. Das Trio gerät in ein Komplott, in das hohe Geheimdienstränge und Militärs dies- und jenseits des Atlantiks verwickelt sind. Die Verschwörer gehen über Leichen, und im Visier haben sie aktuell drei lästige Spielverderber …

Das lästige Auge am Himmel

1989 war Ian Rankin ein junger Autor, der unbedingt erfolgreich werden wollte, um endlich seinem ungeliebten Brotjob Lebewohl sagen zu können. Er griff auf breiter Basis an und orientierte sich dabei an jenen Titeln, die auf den Abverkaufs-Tischen der schon damals existierenden Buchhandelsketten lagen. Rankin schrieb einen Spionage-Thriller, dann einen ‚normalen‘ Kriminalroman, der einen exzentrischen Ermittler namens Rebus in den Mittelpunkt stellte, und schließlich einen Techno-Thriller, dem er den Titel „Westwind“ gab (was in der deutschen Ausgabe zum sicherlich besser zündenden „Der Hinterhalt“ wurde).

In einem ausführlichen Vorwort zu diesem ursprünglich 1990 und hierzulande überhaupt erstmals erschienenen Roman erinnert sich Rankin an seine hektischen frühen Jahre und einen Durchbruch, der einfach nicht kommen wollte. Es dauerte einige Jahre, bis die Rebus-Serie ihr Publikum fand. „Westwind“ enttäuschte auf dem Markt so sehr, dass sein Verfasser das Buch buchstäblich vergaß, bis ihn Jahre später einige Leser dazu beglückwünschten. Er nahm es sich noch einmal vor und sah nun Qualitäten, die unter einem jugendlich ungelenken Stil verborgen lagen. Rankin schrieb „Westwind“ nicht neu, aber er tilgte Ungereimtheiten, füllte Lücken und polierte den Text, der drei Jahrzehnte später aufgrund seiner Prominenz natürlich deutlich mehr Resonanz fand.

Nichtsdestotrotz ist „Der Hinterhalt“ ein ‚Historien-Thriller‘, denn weiterhin spielt die Geschichte im Jahrzehnt vor dem Millennium. Gerade ist der Eiserne Vorhang gefallen, Europa schüttelt den ‚Schutz‘ der USA ab und lässt die Atomraketen abbauen, die es im Falle eines Dritten Weltkrieg zum Zentralziel der UdSSR gemacht hätten. Rankin geht sehr richtig davon aus, dass die USA ungern auf den nützlichen, weil weit entfernten Alternativ-Kriegsschauplatz Europa verzichten würden, und spinnt davon ausgehend ein Zusatz-Komplott, das sich gegen den taumelnden Ostblock richtet.

Nicht die idealen Retter der Welt!

Obwohl Rankin bemüht ist, die damit verbundenen Ränken durch aktuelle Hightech plausibel wirken zu lassen, bleiben diese Passagen statisch. Zu viele Jahre sind vergangen, und die „Supertechnik“ à la 1990 ist heute rührend antiquiert. Zudem wird deutlich, dass der Autor sich sein Wissen angelesen hat und tunlichst nicht gar zu sehr in die Tiefe geht, wo sein - im Vorwort zugegebenes - Unwissen zu Tage treten könnte. Gut hat er immerhin das komplizierte Auftakt-Geschehen in der Erdumlaufbahn begründet: Die moderne Technik kann sich durchaus gegen ihre Schöpfer wenden!

Deutlich wohler fühlt sich Rankin, wenn er auf die Erde zurückkehrt. Zunächst lässt er ahnungslose Zeitgenossen ins Getriebe einer Verschwörung geraten. In England ist dies ein Geheimdienstmann, der keine der milieutypischen Eigenschaften an den Tag legt, also kein James Bond und nicht einmal ein Harry Palmer ist, sondern Schreibtischdienst schiebt. Auf der anderen Seite des Atlantiks kann Major Dreyfuss dem Tod gerade noch von der Schippe springen.

Viele Seiten vergehen, bis beide Hauptfiguren sich treffen; um auch Leserinnen zu locken, ergänzt Rankin unser Duo durch die Journalistin Jill, die sowohl mit Hepton als auch Dreyfuss Leben & Bett geteilt hat. Besonders relevant wird Jill nie; meist muss sie ‚daheim‘ bleiben, wenn es gefährlich wird, und später wird sie entführt, um Hepton und Dreyfuss unter zusätzlichen Stress zu setzen. Lange bleibt sie verschwunden, um im turbulenten Finale gefesselt als Faustpfand der Bösen zu dienen.

Gut & böse: Verlust der Bodenhaftung

Schon in diesem frühen Roman vertritt Rankin eine sehr eigene Meinung zu den Machenschaften derer, die sich als die Mächtigen dieser Welt betrachten. Obwohl die Sowjetunion noch besteht, bleiben ihre sonst gern als Parade-Schurken eingesetzten Agenten dieses Mal Beobachter. (Rankin setzt sie allerdings für einen zynischen Schluss-‚Gag‘ ein.) Stattdessen stammen die Bösewichte aus dem „Westen“. 1990 geriet eine über Jahrzehnte zementierte Weltordnung ins Wanken.

Die Folgen sorgten für Risse dort, wo bisher die Furcht vor „den Kommunisten“ für Einheit gesorgt hatte, wobei vor allem die Dominanz der kampfstarken USA hingenommen wurde. Dies änderte sich, als es aus europäischer Sicht nicht mehr notwendig war, Atomraketen der UdSSR ‚abzufangen‘. Auf diese Weise büßten die USA einen nützlichen ‚Puffer‘ ein. Rankin verstärkt das Feld der Verschwörer, indem er britische Bunkerköpfe einführt, die gerade jetzt gegen den Osten losschlagen wollen.

Sowohl in den USA als auch in England weiß niemand wirklich, wer Teil des Komplotts ist. Mehrfach irren sich Hepton, Dreyfuss und Watson, wenden sich hilfesuchend nicht an Verbündete, sondern an Gegner, worauf sich wilde Fluchten anschließen. Niemand spielt mit offenen Karten; Geheimdienstarbeit ist ‚schmutzig‘ und fordert im Dienst der ‚guten‘ Sache manchmal Menschenleben. Vor allem eine sadistische Killerin sorgt aufgrund ihrer Unberechenbarkeit für Probleme: Rankin sorgt für regelmäßige Spannungsmomente, in denen sich alles gegen unsere Helden verschwört, bevor sich doch ein Schlupfloch bietet. Realistisch ist dies nicht, aber spannend - und durch die aktuelle Weltlage, das Wissen um die Skrupellosigkeit auch westlicher Geheimdienste und die Frage, wem man eigentlich noch trauen darf, wirkt dieser Roman durchaus aktuell.

Fazit:

Nachdem inzwischen berühmt geworden, überarbeitete Ian Rankin diesen einst eher unbeachteten Techno-Thriller und brachte ihn neu auf den Buchmarkt. „Der Hinterhalt“ ist ein aktionsreicher, spannender, aber nur bedingt glaubhaft wirkender Roman, der vor allem das Bemühen seines Verfassers dokumentiert, endlich einen Bestseller zu schreiben.

Der Hinterhalt

Ian Rankin, Goldmann

Der Hinterhalt

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