Der Tod auf dem Bankett

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  • Erschienen: Januar 1964
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Originalausgabe erschienen unter dem Titel „Death Before Dinner“

- London : William Collins, Sons 1948

- New York : Doubleday Crime Club 1948 (unter dem Titel „A Screen for Murder“). 192 S.

- Konstanz : Humanitas Verlag 1956 (Blaugelb-Kriminalromane 12). Übersetzt von Helene Mayer. [keine ISBN]. 212 S.

- Gütersloh : Signum Verlag 1964 (Signum TB 2135), Übersetzt von Helene Mayer. [keine ISBN]. 184 S.

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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2021

Mord verschlägt den Appetit

Acht Weltenbummler und Schriftsteller fühlen sich geschmeichelt, als sie in ihren Briefkästen eine Nachricht finden, die sie in das Feinschmecker-Lokal „Les Jardin des Olives“ in London einlädt. Der ebenso feine wie geheimnisvolle „Marco Polo Club“, dem nur berühmte Reisende, Wissenschaftler und Künstler angehören, hat sie einer Aufnahme für würdig befunden.

Vor Ort stellt sich allerdings heraus, dass sich jemand einen Scherz erlaubt hat. Nicht der „Marco Polo Club“, sondern offensichtlich der Sonderling Elias Trowne hat zu dem Treffen eingeladen. Empört verlässt Edmond Fitzpayne das „Les Jardin“, während die übrigen Gäste spontan die Gründung eines „Oktagon-Clubs“ beschließen, um auf diese Weise die peinliche Situation zu entschärfen.

Man hat viel Spaß an diesem Abend und muss von Henri Dubonnet, dem Eigentümer des Hauses, vor die Tür gesetzt werden. Als der müde Gastwirt seine letzte Runde dreht, findet er unter einem Tisch im Servierraum neben dem Speisesaal die Leiche von Elias Trowne. Ihm wurde der Schädel eingeschlagen, und das offenbar schon vor dem Bankett.

Chefinspektor MacDonald von Scotland Yard übernimmt den Fall. Schon früh kommt er zu dem Schluss, dass ein Mitglied des jungen „Oktagon-Clubs“ den Mord begangen hat. Im Rahmen seiner freundlichen, aber intensiven Verhöre kann MacDonald jedoch keinen Verdächtigen finden. Dabei sind seine Gesprächs- und Verhörpartner außerordentlich kooperativ. Sie stellen sogar eigene Ermittlungen an, was den Mörder offensichtlich nervös macht, da bald einem zweiten Pechvogel der Schädel gespalten wird …

Rätsel-Krimi vor realem Hintergrund

Wieso kennt heute (zumindest in Deutschland) niemand mehr die Werke von E. C. R. Lorac? Der Tod auf dem Bankett liefert jedenfalls im Überfluss, was die Freunde des klassischen Rätselkrimis so lieben: den Mord im augenscheinlich fest verschlossenen Raum, eine Gruppe absolut unschuldiger Verdächtiger, in deren Mitte sich dennoch der Täter verbirgt, sowie einen Ermittler, der geduldig und geschickt den kriminellen Knoten nicht zerschlägt, sondern Fädchen für Fädchen aufdröselt.

Dabei hinaus wahrt die Autorin streng, aber unterhaltsam ehrwürdige „Whodunit“-Traditionen. Der Plot ist komplex-verworren und realitätsfern, doch die geschilderten Ereignisse könnten sich so abspielen. Lorac spielt fair; sie lässt Chefinspektor MacDonald mit offenen Karten ermitteln. Wenn wir aufmerksam lesen, werden wir den entscheidenden Hinweis auf den Täter finden. Leicht macht Lorac uns dies aber nicht. Genretypisch werden wir mit korrekten, falschen und missverstandenen Hinweisen förmlich bombardiert. Den Stein der Weisheit müssen wir mühsam aus dem Schutt klauben, unter dem er begraben wird.

Der Tod auf dem Bankett gehört zu den nicht gerade zahlreichen „Whodunits“, die trotz ihrer Verschrobenheit in der Realität wurzeln. Der Roman entstand 1948, und die Handlung spielt in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit. Geschickt arbeitet Lorac die zeitgenössischen Umstände in die Geschichte ein. So ist der ominöse Bankett-Saal vor allem deshalb eine ideale Mordstätte, weil er kriegsbedingt unter die Erde verlegt, mit verstärkten Mauern versehen und mit bombenschallschluckendem Korkfußboden ausgelegt wurde.

Seltsame Vögel mit giftigen Federn

Die Ereignisse spielen sich in einem überschaubaren Radius um den Ort des Verbrechens ab, und meist sitzen die Betroffenen beisammen und reden. Das mag langweilig klingen, ist es aber nicht, denn Lorac versteht sich darauf, ihre Geschichte im Verlauf dieser Unterhaltungen zu verdichten. Ein Sprichwort sagt, dass sich Leute um Kopf und Kragen reden können. Lorac beweist es uns.

Nur eine unbedachte Bemerkung ist es schließlich, die den Mörder an den Galgen bringen wird. Bis es so weit ist, müssen viele Irrtümer und falsche Schlussfolgerungen überwunden werden. Der Leser nimmt es mit Vergnügen hin, denn er spürt, dass er an einem Haken hängt und von einer talentierten Autorin gedrillt wird.

Vom alten Spottbild des weltfremden Bücherwurms darf man sich dabei verabschieden. Lorac bricht eine Lanze für die Schwerarbeiter ihrer Zunft - jene Autoren, die nicht Kunst schaffen, sondern Handwerk produzieren, das dem Leser, der gleichzeitig zahlender Kunde ist, gefallen soll, um in möglichst großer Zahl gekauft zu werden. Der Alltag solcher Autoren im Jahre 1948 mag in der Rückschau pseudo-romantisch wie Carl Spitzwegs Bild vom „Armen Poeten“ wirken, doch Lorac zeigt nüchtern kreative und mit den Usancen ihres Geschäftes vertraute Männer und Frauen, die vor allem einem Job nachgehen.

Unter dem Glanz der Gelehrsamkeit

Die geistige Gewandtheit, die Chefinspektor MacDonald an seinen Verdächtigen bewundert, ist ein zweischneidiges Instrument. Voller Tatendrang, mit schnell erworbenem Fachwissen und vielen eigenen Ideen beteiligen sich die Angehörigen des „Oktagon-Clubs“ an der Jagd auf den Mörder. Freilich gehört der Mörder zu ihnen, und er (oder sie?) entwickelt ein ähnliches Geschick in dem Bemühen, falsche Spuren zu legen und von der eigenen Schuld abzulenken.

Dieses intellektuelle Rennen sorgt für eine Spannung, die sich zum Rätselspaß addiert. Welcher der freundlichen, hilfsbereiten, eifrigen Bücherwürmer ist tatsächlich ein kaltblütiger Mörder? Lorac hat kein Problem mit einem Verdächtigen-Feld, das acht Personen umfasst. Für jede ihrer Figuren entwirft die Verfasserin eine eigene Biografie und einen eigenen Charakter. Dieser ist jedoch oft Tarnung, denn den Mitgliedern des „Oktagon-Clubs“ ist der Schein wichtiger als das Sein. Das erschwert der Polizei die Arbeit, ist aber längst kein Hinweis auf Schuld - so einfach macht es uns Lorac nicht! Sie bringt Belege für die Unschuld ihrer Figuren bei, die im nächsten Kapitel negiert werden, bis dem Leser der Kopf schwirrt.

Was war das Motiv? Lorac spielt lange mit dem Element der Eitelkeit, denn auch (oder gerade) ‚Gebrauchs-Schriftsteller‘ sind empfindliche, leicht beleidigte Menschen. Das eigentliche Motiv ist im Gegensatz zum Täter nicht durch Miträtseln zu erkennen. In diesem Punkt wahrt Lorac ihren Wissensvorsprung, der ihr eine Lösung ermöglicht, die ebenso abenteuerlich wie logisch ist und auch jene Leser bei der Stange hält, die mit der Identifizierung des Mörders richtig lagen.

Der Detektiv im Hintergrund

Hercule Poirot, Gideon Fell, Gervase Fen, natürlich Sherlock Holmes: Der Ermittler ist im „Whodunit“ normalerweise eine herausragende und hervorstehende Gestalt. Die eine Eigenschaft kennzeichnet seinen Intellekt, die andere seinen Charakter. Kriminologische Genialität geht mit Extravaganz im Auftreten einher. Nur wenige Angewohnheiten oder Manierismen genügen, um eine Figur ins Leserhirn zu prägen. Dort bilden sie einen Vorrat, von dem der Verfasser zehren kann, denn schwache Handlungs-Passagen lassen sich mit amüsanten Verschrobenheiten und deduktiven Spielchen überwinden, die sogar das besondere Interesse der Leserschaft erregen.

Auf dieses Pfund verzichtet Lorac völlig. Robert MacDonald bleibt in seinem 31. Fall eine Figur ohne besondere Eigenschaften. Er bezieht uns nicht in sein Privatleben ein, während im modernen Krimi jeder Seelenkummer und jede Magenverstimmung des Ermittlers seitenlang ausgewalzt wird. MacDonald interessiert uns nach dem Willen seiner Verfasserin nur als Polizist. Man akzeptiert dies mit Freude und Erleichterung, denn es garantiert einen auf den Fall zentrierten Krimi und erspart uns die Seifenoper.

Das bedeutet übrigens keineswegs, dass MacDonald langweilig ist. Sein wahres Wesen entfaltet sich in der Ermittlung. Langsam aber zielgerichtet und ohne Angst vor Rückschlägen arbeitet er sich durch Indizien und Aussagen. Im Wettkampf mit den Mitgliedern des „Oktagon-Clubs“ vermag er mitzuhalten. Hinter scheinbarer Bewunderung und Bescheidenheit verbirgt sich ein scharfer Geist, der seinen Gesprächspartnern stets mehr Informationen entlockt, als diese herausgeben wollten.

Leider weicht Lorac im letzten Teil von ihrer Linie ab. Die Initiative geht auf eine andere Figur über, die eher dilettantisch den Täter identifiziert, ihn stellt und dabei in eine Falle gerät, aus der sie in letzter Sekunde gerettet werden muss: eine Wendung, die allzu offenkundig für ein dramatisches Finale sorgen soll. Dabei hat dieser Roman derartige Tricks nicht nötig. Glücklicherweise kehrt Lorac zur bewährten Form zurück, wenn in einem langen Epilog zum Finale die offenen Fragen geklärt werden. Die Autorin ist dabei souverän genug, auf logische Lücken selbst hinzuweisen, für die sie keine geniale, aber eine funktionierende Erklärung findet. Wenn die Akte Trowne zusammen mit unserem Buch geschlossen wird, sind die Leser zufrieden. Sie wurden ordentlich an den Nasen herumgeführt aber nicht für dumm verkauft. Lässt sich ein erfolgreicher „Whodunit“ treffender definieren?

Fazit

Klassischer Krimi mit komplexen Plot, der unter Wahrung der Fairness und dem Leser die Chance zum Miträtseln bietend die Tat durch sämtliche möglichen Verdachtsmomente dekliniert: So kann und so soll ein „Whodunit“ geschrieben sein!

Der Tod auf dem Bankett

E.C.R. (Carol Carnac) Lorac, Signum

Der Tod auf dem Bankett

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