Mord auf Widerruf (Die dunkle Lady meint es ernst)
- Europa
- Erschienen: Januar 2003
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- New York: Delacorte Press, 1990, Titel: 'Bones and Silence', Originalsprache
- Hamburg: Europa, 2003, Titel: 'Die dunkle Lady meint es ernst', Seiten: 415, Übersetzt: Xenia Osthelder
- München: Knaur, 2007, Titel: 'Mord auf Widerruf', Seiten: 480
Und der `liebe Gott´ hat doch Recht!
Superintendent Andrew Dalziel sagt zu einem guten Tropfen nicht nein. Oftmals wird aus einem Tropfen dann auch weit mehr: Sechs Bier, sechs doppelte Whisky, dazu Würstchen im Schlafrock und rosinengespickter Butterpudding, ein Fläschchen Beaujolais, Silberzwiebelchen mit Käse und nun ja, ein Glas Mineralwasser. Letzteres muss in den Augen des Superintendenten der Auslöser gewesen sein, warum er mitten in dieser Januarnacht sich über dem Putzeimer in seiner Wohnung erbricht.
Doch Dalziel wäre kein guter Polizist, hielte er nicht auch in diesem unangenehmen Moment seine Augen auf. Gegenüber brennt Licht und eine nackte Schönheit zieht Dalziels Aufmerksamkeit unweigerlich auf sich. Doch die gute ist nicht allein, zwei Männer sind bei ihr. Und sie streiten sich. Geistesgegenwärtig spurtet "der Dicke", wie unser schwer alkoholisierte Polizist hinter vorgehaltener Hand von seinen Kollegen genannt wird, hinüber und kommt sogar noch rechtzeitig. Fast scheint der Streit geschlichtet, als sich aus dem großkalibrigen Revolver in den Händen Philip Swains ein Schuss löst und die Nackte umbringt.
Der Superintendent als Zeuge und die Anwesenden widersprechen ihm
Eigentlich scheint die Sachlage klar: Der Schuss aus dem Revolver Philip Swains, Gatte der Getöteten, ein gewisser Gregory Waterson der dritte im Bunde und damit Zeuge. Doch als Andrew Dalziel am Tage darauf die Zeugenaussagen vor sich hat, findet er sich einer ungemütlich wie ungewohnten Situation wieder. Obwohl er wie Swain und Waterson die Szene miterlebt hat, widersprechen Swain und Waterson der Aussage Dalziels. Während Dalziel von einem Mord ausgeht den versnobbten Landadel und Bauunternehmer Swain konnte er eh nie leiden stützt Waterson die Aussage seines Kontrahenten, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe.
Kontrahenten? Richtig, "Die dunkle Lady meint es ernst" wäre kein Krimi von Reginald Hill, wenn die Ausgangslage nicht schon ordentlich verzwickt sein würde. Waterson war mit Swains amerikanischer und durchaus wohlhabender! Frau Gail mehr als nur leicht verbandelt. Während Swain zusammen mit seinem Partner Stringer genug damit zu tun hatte, die Firma am laufen zu halten, vergnügte sich die nicht nur finanziell unabhängige Gail mit Waterson. Doch warum schützt dieser Swain? Sollte sich Andrew Dalziel wirklich getäuscht haben? Zum Unglück des "Dicken" kann Waterson nicht mehr viel zur Klärung des Falles beitragen er verschwindet nach Unterzeichnung der Zeugenaussage spurlos.
Dalziel in einer völlig ungewohnten Rolle
Dalziel steht mit seinem Verdacht, den er bitterlich zu beweisen versucht, so auf ziemlich einsamer Flur. Als ob dies nicht reichen würde, hat er der attraktiven Eileen Chung noch zugesagt, die Rolle des lieben Gottes (ausgerechnet) in ihren "Mysterienspielen" zu übernehmen. Und eine anonyme Briefeschreiberin nervt den Superintendenten mit regelmäßigen Schreiben, in dem sie nicht nur ihren Freitod ankündigt, sondern auch noch erstaunlich gute Hinweise gibt&
Die Wiederentdeckung eines englischen Krimi-Autors zieht schon einige Wege. Über 30 Jahre hat die Dalziel & Pascoe-Serie nun schon auf dem Buckel, bis 1988 waren die Romane wenigstens noch teilweise auf deutsch erhältlich (damals bei Goldmann). Nach ganzen zwölf Jahren Übersetzungspause machte der Hamburger Europa-Verlag 2000 einen Neuanfang und legte Hill mit Das Dort der verschwundenen Kinder wieder in Deutschland auf. Das war Teil 18 der Serie, es folgten Das Haus an der Klippe und Die rätselhaften Worte. Zum Erfolg trug sicherlich auch bei, dass die Krimis als Taschenbuch bei Droemer-Knaur erscheinen. Nun liegt mit "Die dunkle Lady meint es ernst" wieder ein Dalziel & Pascoe-Roman vor, aber der Leser sollte sich auf eine kleine Zeitreise gefasst machen. Es geht zurück in der Serie in Folge 13.
Hill ist ein Meister des psychologisch dichten Krimis
Dieser Sprung stört erfreulicherweise überhaupt nicht. Hill ist ohne Zweifel ein Meister des psychologisch dichten Krimis, spart nicht mit britischem Humor und seine Fälle gehören zu den am besten konstruiertesten des Genres. Somit sind die Romane um das ungleiche Polizisten-Duo aus der Phantasiestadt Mid-Yorkshire absolut zeitlos. Auch "Die dunkle Lady meint es ernst" stellt dabei keine Ausnahme dar.
Allein die Idee, den Chef-Ermittler der Polizei Zeuge eines Mords werden zu lassen ein Zeuge, dem keiner wirklich glaubt! ist wunderbar. Wie sich der dickköpfige Kauz Dalziel, gewohnt bitterböse in seinen Bemerkungen und sensibel wie ein Traktor in die Idee verrennt, Philip Swain als Mörder seiner Ehefrau zu überführen, ist absolut vergnüglich und dringend zur Lektüre empfohlen. Dass Reginald Hill diese Geschichte mit den "Mysterienspielen", einer Art riesigen Dorf-Parade, ausstaffiert, sorgt dabei für eine unvergleichliche Atmosphäre. Andrew Dalziel in der Rolle des lieben Gottes tut ein übriges um die "Die dunkle Lady meint es ernst" aus den Krimi-Neuerscheinungen dieses Jahres deutlich hervortreten zu lassen.
Gelegentlich benötigt der Leser einen langen Atem und guten Überblick
Bis es schließlich zur Lösung des Mordfalls "Gail Swain" kommt und die Selbstmörderin in spe enttarnt werden kann, vergehen allerdings gute 400 Seiten. Für eine straff erzählte Kriminalgeschichte ein bisschen viel Drumherum, nicht uninteressant, nicht langweilig, aber eben auch kein spannungsgeladener Pageturner. Gelegentlich benötigt der Leser dabei einen langen Atem, um in dieser vertrackten Story den Überblick zu behalten und am Ball zu bleiben.
Folglich ist "Die dunkle Lady meint es ernst" ein clever ausgeklügelter Fall, witzig erzählt, aber eben doch merkbar routiniert. Da Reginald Hill dies freilich trotzdem auf hohem Niveau gelingt, darf der Leser sich auch auf die nächsten Krimis um Dalziel und Pascoe freuen. Dann aber hoffentlich 100 Seiten kürzer und in der Reihenfolge ihrer Entstehung.
Reginald Hill, Europa
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