Die Nanny
- Blanvalet
- Erschienen: Oktober 2021
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- OT: The Nanny
- aus dem Englischen von Sabine Schilasky
- TB, 448 Seiten
Ein Herrenhaus, ein See und ein Schädel
Die Britin Gilly Macmillan ist mit ihren Büchern immer wieder in den Bestsellerlisten zu finden. So auch mit „Die Nanny“, das bereits 2020 erschienen ist und jetzt als Taschenbuchausgabe vorliegt.
Jocelyn hat alles und doch nichts
Als einziges Kind von Lord und Lady Holt wächst Jocelyn in einer typischen Upperclass-Umgebung auf: ein Herrenhaus mit eigenem See ist ihr Zuhause und an hübschen Kleidern und Spielzeug mangelt es ihr nicht, aber sie vermisst die Liebe ihrer Eltern, die zwar schillernde Figuren der Gesellschaft sind, aber kaum Zeit für ihre Tochter haben. Da ist es nicht verwunderlich, dass die kleine Jocelyn ihre Nanny Hannah mehr liebt als sie. Doch dann verschwindet diese ohne ein Wort des Abschiedes. 30 Jahre später kehrt die gerade verwitwete Jo gezwungenermaßen mit ihrer Tochter auf das Anwesen zurück, wo kurz darauf ein Schädel aus dem See gezogen wird. Jos Mutter Virginia weiß, es ist Hannah, doch die steht plötzlich wieder vor der Haustür. Jo ist natürlich entzückt, doch Virginia fragt sich, wer diese Frau ist und was ihre Absichten sind.
Mutter-Tochter-Beziehung steht im Mittelpunkt
Die Beziehung zwischen Jo und Virginia ist problematisch. Die Tochter wirft der Mutter immer noch Lieblosigkeit und Desinteresse vor und will sie am liebsten zu ihrer eigenen Tochter Ruby auf Abstand halten. Doch durch Rückblicke erahnen wir, dass die Realität anders war und auch Jo muss langsam erkennen, dass nicht alles so war, wie sie es angenommen hatte. Das prekäre Mutter-Tochter-Verhältnis bestimmt die Handlung, erst recht als Nanny Hannah wieder auftaucht.
Während der Leser die Erkenntnis gewinnt, dass Hannah alles andere als fürsorglich und liebevoll war und ist, bleibt dieses Wissen Jo noch lange verborgen. Durch verschiedene Perspektiven, unzählige Wendungen und die langsame Aufschlüsselung der Geschichte hält die Autorin den Leser bei der Stange. Zwar ist die Spannung durch einen immerwährenden Wissensvorsprung des Lesers überschaubar, aber die Frage, warum Virginia das tat, was sie vor 30 Jahren tat und ob Jo noch herausfindet, welches falsche Spiel Hannah trieb und treibt, generiert genügend Spannung bis zum Schluss. Der allerdings bildet noch einmal einen Höhepunkt, der für den Leser spannend ist und für die Mutter-Tochter-Beziehung so einige Überraschungen bereithält.
Klischees bewegen sich in gelungener Atmosphäre
Die Charaktere sind Macmillan im Rahmen der Handlung glaubhaft gelungen, rutschen aber, realistisch betrachtet, zu oft in Klischees ab. Das adlige Ehepaar, das auf seinem Landsitz und in seinem Stadthaus in London rauschende Partys gibt, auf denen nicht nur der Alkohol in Strömen fließt und dennoch genügend Probleme hat; die Tochter, die sich vernachlässigt fühlt und ihre Nanny mit „Mummi“ anredet und die Nanny selbst, die so undurchsichtig und skrupellos ist, wie man es von Pendants von ihr schon aus zahlreichen Filmen kennt.
Eine etwas differenziertere Betrachtung der Personen hätte dem Geschehen ganz gutgetan, aber so passen sie zur an sich wenig fordernden Geschichte und dem leicht zu lesenden Schreibstil.
Gelungen ist der Autorin hingegen die Atmosphäre. Ein schon in die Jahre gekommenes Herrenhaus mit See und Bootshaus; die bohèmhaften Räume eines betagten Galeristen; die Clubs und piekfeinen Restaurants der Hauptstadt und überhaupt die prickelnde Atmosphäre Londons – all das kann man vor sich sehen und spüren, wenn man Jo und Virginia folgt. Eindeutig ein großes Plus dieses Romans!
Leider sind der Engländerin Macmillan bei der zugegebenermaßen komplizierten Betitelung im britischen Adel Fehler unterlaufen und die Besichtigung des Buckingham Palace war auch erst 1990 und nicht schon 1980 möglich, doch das sollen nur Randbemerkungen sein, denn Einfluss auf die Geschichte haben sie nicht.
Fazit
Ein unkomplizierter, leicht zu lesender und dennoch spannender Roman, in dem der Leser zwar immer mit einem gewissen Wissensvorsprung umgehen muss und dessen Figurenzeichnung manchmal zu sehr ins Klischee abgleitet, aber, der dennoch angenehme Lesefreuden bereithält.
Gilly Macmillan, Blanvalet
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