Feuerbach

  • Ars vivendi
  • Erschienen: November 2021
  • 1

- TB, 350 Seiten

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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2021

Weit mehr als der nächste 08/15-Serienmörder-Plot

Im Oktober 1922 verlässt der zweiundzwanzigjährige Leopold Kruger den elterlichen Bergbauernhof bei Berchtesgaden, um in der Weltstadt München eine Karriere als Schriftsteller zu starten. Dort wohnt er bei seinem Onkel Carl Feuerbach, der ihn eher widerwillig aufgenommen hat. Leopold hat zunächst Probleme mit seinem Onkel, der ihn auf Distanz hält, noch dazu recht grob und maulfaul ist. Doch der Schein trügt, denn letztlich will Carl nur, dass sein Neffe lernt sich selbständig durchzusetzen. Er führt ihn ein in eine brodelnde Stadt, die einem Pulverfass gleicht. Der Große Krieg, der Schandvertrag von Versaille und die gegenwärtige Lage setzen den Menschen zu. Armut, Wohnungs- und vor allem Hoffnungslosigkeit prägen den Alltag. Den Rest übernimmt eine gigantische Inflation, dank der nur ein Jahr später eine Semmel neunhundert Millionen Mark kosten wird.

Leopold besucht mit Carl die Wirtshäuser, in denen konservative Traditionalisten über die Kommunisten schimpfen und vereinzelt einen gewissen Hitler loben. Ehemalige Freikorps halten sich im Hintergrund bereit, erste Gruppen der SA sorgen für Unruhe. In den Künstlercafés hingegen treffen sich die freigeistigen Intellektuellen der Stadt. Zu Leopolds Überraschung scheinen alle Carl zu kennen und vor allem zu schätzen; offenbar umgibt ihn ein großes Geheimnis. Oder mehrere, denn Carl bekommt regelmäßig Umschläge mit einem riesigen Geldbetrag. Bei ihren Gängen durch die Stadt lernt Leopold auch Joseph Obermeier kennen, Kriminalinspektor im Morddezernat und – wie sich herausstellt – ein alter Jugendfreund von Carl. In ihren Gesprächen erhält Leopold Einblicke in jenen aktuellen Fall, der die gesamte Stadt paralysiert. Ein brutaler Serienmörder treibt sein Unwesen. Waren zu Beginn noch junge Mädchen die Opfer, so sind es mittlerweile nur noch junge Knaben und Männer, deren Verletzungen an die Untaten des Vampirs aus dem aktuell laufenden Film „Nosferatu“ erinnern. Plötzlich enden die Morde, nur um ein Jahr später mit voller Wucht wieder aufzuflammen. Erst spät erkennen Joseph, Carl und Leopold, mit wem sie es zu tun haben.

Anspruchsvoll geschrieben, gleichwohl mit exzessiven Gewaltszenen

„Feuerbach“ beginnt so unscheinbar wie es der Titel erahnen lässt. Dabei werden zunächst die Eindrücke von Leopold beschrieben, die dieser von seiner neuen Heimat sammelt. Die Handlung wird anhand von Tagebucheinträgen von Leopold und Joseph, vereinzelten Briefen von Carl und Leopolds Mutter sowie von Notizen aus dem Nachlass des Balthasar Geiger beschrieben; begleitet von Zeitungsmeldungen. Lediglich auf den letzten fünfzig Seiten, wenn ein in jeder Hinsicht gewaltiges Finale ansteht, wird die klassische Romanform gewählt.

"Die Leute sind entsetzt über die Morde, und doch töten dieselben Menschen Hunderttausende in einem Krieg und schmücken die, die am meisten töteten, mit Orden! Wir sind alle Tiere!“

Markus Flexeder schildert nicht nur einen dämonischen Fall über einen äußerst brutalen Serienmörder, dessen Arbeit teils haarklein beschrieben wird. Sind die Morde schon brutal, so sorgt vor allem die Beschreibung der Zerlegung der Leichen für Unwohlsein. Viele Parallelen zum realen Serienmörder sind unübersehbar, denn die Figur des Balthasar Geiger entspricht in vielen Punkten der des Serienmörders Fritz Haarmann. Geiger war im Krieg, lernte dort das Töten mit sichtlichem Gefallen und es ist keineswegs ein unredlicher Spoiler, ihn als den gesuchten Mörder vorzustellen. Diesbezüglich herrscht hier von Beginn an Klarheit. Völlig offen ist aber, welches Geheimnis Carl umgibt und wie die einzelnen Figuren generell zueinanderstehen. Hier hat sich der Autor ein paar nette Pointen ausgedacht.

Gestern hat man Adolf Hitler in Haft genommen. Carl hat verärgert den Kopf geschüttelt. Er hätte das Ganze mit einer Kugel gelöst.

Neben den Morden und den vergeblichen Ermittlungen wirken auch die damalige Zeit und München als Hintergrundkulisse sehr lebendig. Die Handlung spielt vom Oktober 1922 bis Silvester 1923, die Sorgen und Nöte der Menschen steigen, die Polizei sieht sich einer angespannten Gemengelage gegenüber, die ihren unrühmlichen Höhepunkt am 8. und 9. November 1923 durch den Hitler-Ludendorff-Putsch erfährt. Da ist die Identität des Mörders den drei Hauptfiguren bereits klar, nur kann die Polizei angesichts der instabilen Lage nicht auf die Hilfe der Bevölkerung hoffen.

Fazit

„Feuerbach“ ist ein literarisches und kriminelles Feuerwerk, das gerade wegen seines unkonventionellen Erzählstils überzeugt. Einblicke in eine aufwühlende Zeit und München als sehr lebendige Kulisse zeichnen das Buch aus. An der einen oder anderen Stelle benötigt man zwar starke Nerven, dafür erlebt man aber einen Roman, der aus der Fülle der Neuerscheinungen gut sichtbar herausragt.

Feuerbach

Markus Flexeder, Ars vivendi

Feuerbach

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