Tiefe Schluchten
- Lübbe
- Erschienen: September 2021
- 6
- OT: Tregasteinn
- aus dem Isländischen von Kristof Magnusson
- HC, 320 Seiten
- Bd. 3 [Kommissar Konrad]
Konráð plagt das schlechte Gewissen
Der isländische Vielschreiber Arnaldur Indriðason legt mit „Tiefe Schluchten“ den inzwischen dritten Band der Reihe rund um Ex-Kommissar Konráð vor. Der betätigt sich mittlerweile als Detektiv, aber nur, wenn er die Fälle persönlich für interessant und wichtig hält. Das ist im Fall von Valborg nicht so: sie möchte, dass Konráð ihr Kind findet, das sie vor Jahrzehnten sofort nach der Geburt zur Adoption weggegeben hat. Doch dann wird Valborg brutal in ihrer Wohnung ermordet und Konráð plagt das schlechte Gewissen, gleichzeitig aber auch die Neugier, denn ihm ist schnell klar, dass beide Vorfälle - und damit Vergangenheit und Gegenwart - zusammenhängen.
Und noch etwas lässt ihn einfach nicht zur Ruhe kommen – der immer noch ungelöste Mord an seinem Vater vor so vielen Jahren.
Die Vergangenheit kommt (fast) ans Licht
Indriðason packt damit gleich zwei Fälle in einen Krimi und beide haben ihren Ursprung in der Vergangenheit. Geschickt verknüpft er die Suche nach Valborgs Kind und ihrem Mörder mit der Jugend des Ex-Kommissars und damit unweigerlich auch mit dem Tod seines Vaters. Gleichzeitig veranschaulicht er wieder einmal die Probleme der isländischen Gesellschaft: verbreiteter Alkohol- und Drogenmissbrauch, zunehmende Gewalt verbunden mit immer mehr Anonymität. Und auch die etwas andere Einstellung vieler Isländer zu Spiritismus wird thematisiert, denn wer wegen Elfen, Feen und Trollen Straßen umleitet, glaubt auch schneller an Geister und eine Welt nach dem Tod.
Indriðason erzählt unaufgeregt
Auch in diesem Krimi bleibt der Autor seinem Stil treu: ruhig und unaufgeregt, ohne Gewaltexzesse und Blutströme erzählt er seine Geschichte. Und die ist dennoch von Anfang bis Ende fesselnd, denn Indriðason schafft eine eindringliche Atmosphäre der Angespanntheit, die von Konráð ausgeht. Immer tiefer wühlt er sich in die Vergangenheit, wobei er im Fall des Mordes an seinem Vater von Eygló unterstützt wird. Ihre beiden Väter waren Komplizen im Betrug um Séancen und der angeblichen Kontaktaufnahme mit Verstorbenen. Diese Vorkommnisse zeigen sich uns in spannenden Rückblicken, verstricken sich immer mehr mit der Gegenwart und spielen bei der Aufklärung der gegenwärtigen Fragen plötzlich auch eine große Rolle.
Die Zusammenführung im Finale ist nicht ganz realistisch gelungen, schließt allerdings die Suche nach Valborgs Kind ab. Die Suche nach dem Mörder von Konráðs Vater ist allerdings noch nicht zu Ende. Der Mord wird am Schluss noch einmal angerissen, was auf einen weiteren Krimi mit dem Ex-Polizisten und der spirituell veranlagten Eygló hoffen lässt.
Knorrige Charaktere sind ein gutes Gerüst
Neben der unaufgeregt spannenden Handlung sind die Charaktere wieder einmal mehr ein großer Faktor in diesem gelungenen Krimi. Konráð ist schon als Mensch mit einem schwierigen Hintergrund und einem nur ansatzweise zu fassenden Charakter bekannt. Damit bleibt er für die Leserschaft ein spannendes Rätsel. Jetzt kommt noch Eygló hinzu, die sich auch schwer tut mit den Machenschaften ihres Vaters, ihn aber dennoch mehr als Opfer in dem Betrüger-Team sieht. Sie fasziniert, denn sie ist spirituell veranlagt, was Indriðason immer wieder, wie eine alltägliche Selbstverständlichkeit, in den Krimi einfließen lässt und damit ein Tor öffnet, das eine mystisch-spannende Komponente in diesen ansonsten grauen Alltag bringt.
Die fassbare Diskrepanz zwischen dem kopfgesteuerten Konráð und der viel emotionaleren Eygló bildet das Gerüst für die Geschichte, die aber auch durch die gekonnte Figurenzeichnung der Nebencharaktere punktet: von der ständig E-Zigartten qualmenden Marta bis hin zum gesuchten Kind schafft Indriðason Personen, die ebenso realistisch, wie tragisch sind und damit den ansonsten sehr ruhigen Krimi tragen.
Fazit
Wie immer unaufgeregt und stilistisch hervorragend geschrieben! Indriðason schafft durchgehende Spannung durch exakte Figurenzeichnungen und einen Plot, der die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Realität mit der Mystik verknüpft. Bleibt die Hoffnung auf weitere Krimis mit Konráð, der noch einen ganz persönlichen Fall zu lösen hat.
Arnaldur Indriðason, Lübbe
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