The Nothing Man
- Rowohlt
- Erschienen: Juli 2021
- 2
- aus dem Englischen von Jan Möller
- TB, 448 Seiten
Der Fluch der bösen Tat
Der „Nothing Man“ kam wie ein Schatten in der Nacht. Er überfiel die Menschen in ihren Häusern, misshandelte, vergewaltigte und tötete und war wie ein Spuk wieder verschwunden. Nie hinterließ er verwertbare Spuren an seinen Tatorten und von hier auf jetzt hörte seine Einbruch- und Mordserie auch wieder auf. Dennoch – auch der gewiefteste Verbrecher kann nicht ganz lupenrein arbeiten und der größte „Fehler“ des Nothing-Man, Eve Black, die als Kind einen seiner Angriffe überlebte, hat nun ein Buch geschrieben, in dem er ankündigt, ihn zu fassen. Ein gerissener Täter sollte eigentlich über so eine Ankündigung lachen. Eigentlich. Denn langsam stellen sich bohrende Fragen nach dem, was Eve eigentlich genau weiß und auch danach, ob ein Machtmensch wie er, es sich tatsächlich gefallen lassen muss, dass eine gerade mal erwachsene Göre meint, ihm schaden zu können. Wenn sie sich da mal nicht gewaltig getäuscht hat.
Catherine Ryan Howard baut mit ihrem neuen Krimi, der sofort an die Spitze der irischen Krimicharts schoss, eine Geschichte auf, bei der man meint, sie sei im wahren Leben passiert: Ein Serientäter dringt in Häuser ein, begeht schreckliche Verbrechen an deren Bewohnern und verschwindet spurlos. Dennoch weiß der Leser hier einmal mehr als die ermittelnde Polizei, denn er lernt den Täter, den abgehalfterten Supermarktwachmann Jim Doyle, direkt auf der ersten Seite des Buches kennen. Doyle, der sich all die Jahre in Sicherheit wähnte und mittlerweile in einem normalen bürgerlichen Leben untergetaucht ist, stellt bestürzt fest, dass eines seiner Opfer, das weiland mit dem Leben davon kam, seine Erlebnisse in einem Roman veröffentlicht hat und möglicherweise eine Gefahr für ihn darstellt. Dieses Buch der Eve Black bildet einen wichtigen Strang in Ryan Howards Roman. Die zweite Erzählebene berichtet über das Leben des Täters in der Gegenwart, über seine tief verwurzelte Verachtung gegenüber der Gesellschaft und dem festen Glauben, schlauer als alle anderen zu sein. Mit fortschreitender Lektüre sieht Doyle seine Cleverness mehr und mehr gefährdet. Er fühlt sich aber auch andererseits wieder verstärkt in die Rolle eines Täters und Aggressors gezogen, der seiner vermeintlich überheblichen Umwelt einmal mehr zeigen kann, wer hier der Boss ist.
So gut diese Geschichte aufgebaut ist, war sie für mich dennoch nicht immer glaubhaft. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, dass ein Täter, der zwanzig Jahre nicht ermittelt werden konnte, tatsächlich über den Bericht eines seiner Opfer, das zum Zeitpunkt der Tat auch noch ein Kind war, so beunruhigt sein könnte, dass er versucht, „alte Fehler zu korrigieren“. Mir erschien auch nicht wahrscheinlich, dass jemand, der sich über einen längeren Zeitraum im Haus seiner Opfer aufhält, keinerlei forensisch verwertbare Spuren hinterlässt – auch wenn seine Taten zwanzig Jahre zurücklagen. Gruselig war auch die Wendung, dass der „Nowhere Man“ zur Vorbereitung seiner Taten bereits einige „Hilfsmittel“ in den Häusern seiner auserkorenen Opfer deponierte – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktionieren würde.
Bemerkenswert fand ich dagegen, dass Ryan Howard die Faszination, die Serien-Täter offensichtlich erzeugen, kritisch in Frage stellt, obwohl sie ja selbst in diesem Metier arbeitet. So lässt sie eine Dozentin für Rechtspsychologie laut darüber nachdenken, warum alle Welt die Namen der Täter aber nicht die der Opfer kennt.
„Die Leute scheinen zu vergessen, dass wir ihre Namen kennen, weil sie erwischt wurden. Tatsächlich ist das einzige Bemerkenswerte an ihnen, was sie der Welt genommen haben: ihre Opfer. Es sind deren Namen, die wir kennen sollten.“
Fazit:
Catherine Ryan Howards neuer Roman zeigt fesselnd und packend, wie ein in die Jahre gekommener Mörder aus seiner beschaulichen Ruhe aufgescheucht wird und versucht, sich den Mühlen der Gerechtigkeit doch noch entgegenzustemmen.
Catherine Ryan Howard, Rowohlt
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