Der Flüsterer

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1967
  • 0

Originalausgabe erschienen unter dem Titel „He Who Whispers“

 

- New York : Harper & Brothers 1946

- London : Hamish Hamilton 1946

- Bern : Scherz Verlag 1947 (Die schwarzen Kriminalromane 2). Übersetzung: N. N. 247 S. [keine ISBN]

- Frankfurt/Mai : Berlin : Ullstein Verlag 1967 (Ullstein Kriminalroman 1151). Übersetzung: N. N. 171 Seiten. [keine ISBN]

Der Flüsterer
Der Flüsterer
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Michael Drewniok
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Degenstich auf Turmruine

Der illustre „Mordklub“, dessen prominente Mitglieder sich an ungeklärt gebliebenen Untaten der Vergangenheit delektieren, tagt in London. Gastredner Professor Rigaud, der französische Historiker, referiert über den seltsamen Tod des reichen Fabrikanten Brooke. Er wurde 1939 im Turm seines Anwesens unweit von Chartres in Frankreich mit dem eigenen Stockdegen umgebracht. In Verdacht geriet Brookes Privatsekretärin Fay Seldon. Ihr Ruf war übel, aber die Beweisdecke dünn, und so befand die französische Polizei auf Selbstmord.

Fay Weldon kehrte nach England zurück und fand eine Stelle beim Gelehrten Miles Hammond. Nach dem Tod eines reichen Onkels zu Vermögen gekommen, ist der junge Mann dabei, den einsam gelegenen Familiensitz Greenwood neu einzurichten. Die Journalistin Barbara Morell erschleicht sich Einlass in den „Mörderklub“. Sie kommt mit dem ebenfalls eingeladenen Miles ins Gespräch und erfährt, dass Fay Seldon sich in Greenwood um die Bibliothek kümmern wird. Obwohl Steve Curtis, sein zukünftiger Schwager, ihn dringend warnt, beharrt er auf ihrer Anwesenheit.

Das Unglück nimmt seinen Lauf, als Rigaud sich nach Greenwood aufmacht. Mit ihm reist der Sekretär des „Mörderklubs“: Dr. Gideon Fell, Gelehrter und berühmter Amateur-Detektiv sowie ein alter Freund der Familie Hammond. Die scheint um ein Mitglied ärmer, als plötzlich ein Schuss fällt und Miles‘ Schwester Marion in ihrem Zimmer gefunden wird: Ein Phantom habe sich ihr genähert und von nahem Tod und Verderben geraunt, weiß sie zu berichten, was sich mit Rigauds Theorie deckt, dass Fay Seldon kein Mensch, sondern ein weiblicher Vampir ist, der Tod und Verderben über seine Opfer bringt ...

Die Vernunft im Reich des Zweideutigen

Der Flüsterer ist ein Rätsel-Krimi aus der guten, alten Zeit, eingebettet in eine weltferne und -fremde, künstlich-idyllische Kulisse, bevölkert mit dazu passenden, archetypisch schrulligen oder heroischen Figuren, deren Treiben um die dem Genre angemessen malerische Leiche vom exzentrischen, aber übermenschlich klugen Detektiv erst aufwändig unter die Lupe genommen und im großen Finale entwirrt wird, woraufhin sich aus dem Gewimmel falscher Verdächtiger der Täter dort zu erkennen gibt, wo man ihn ganz sicher nicht vermutet hatte.

Besagter Detektiv ist hier Dr. Gideon Fell, der in seinem 16. Fall wie so oft zunächst eher ein Gaststar ist. Das Feld überlassen er und Autor Carr Miles Hammond, der reinen Herzens, aber trotz des ihm verliehenen Nobelpreises (!) nicht gerade hellen Köpfchens sein Bestes gibt, als wackerer Ritter Licht in die Affäre um eine geheimnisvolle Frau zu bringen, die ihn erst fasziniert und schließlich in einen unheilvollen Bann zu ziehen beginnt.

Ist Fay Seldon ein Vampir? So eine Frage konnte in einem Kriminalroman eigentlich nur John Dickson Carr (1906-1977) stellen, der schaurige Plätze, düstere Morde aus dunkler Vergangenheit und (scheinbaren) Geisterspuk über alles liebte. Dazu gesellt sich sein Hang zu außerordentlich verwickelten, logisch eigentlich nicht nachvollziehbaren, aber in der Rückschau - stets pompös dargelegt vom recht eingebildeten Dr. Fell - durchaus schlüssigen Plots und falschen Fährten.

Autor mit großer Trickkiste

Fairness dem Leser gegenüber, der mit dem Detektiv raten möchte, war Carr zwar stets ein Anliegen, aber es fragt sich, wer eigentlich eine echte Chance hatte. Zwar streut der Verfasser gleich mehrfach Hinweise ein, dass eine der unverdächtigen Figuren eben doch nicht koscher ist. Die Form ist damit gewahrt, aber wie sich das Rätsel um den „Flüsterer“ dann löst, dürfte die Leser trotzdem wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen.

Dies entspricht zwar unserer heimlichen Hoffnung, denn natürlich wollen wir final überrascht werden - dies freilich so elegant, dass wir uns nicht hereingelegt fühlt. In diesem Punkt stellt Der Flüsterer keine Glanzleistung dar. Während es Carr gelingt, den Wirrwarr um Mord, Vampirismus und falschen Anschuldigungen (die sich plötzlich doch als richtig herausstellen - oder umgekehrt) durchaus schlüssig aufzuklären, ist der Weg dorthin für den Leser mühsam und weniger unterhaltsamer als sonst.

Da ist beispielsweise Carrs unglücklicher Entschluss, den Mord im Turm als endlosen Flashback zu gestalten. Natürlich gibt ihm das die Möglichkeit, diesen Handlungsstrang, der allzu früh einige allzu entlarvende Hinweise liefern könnten, zu verschleppen. Gleichzeitig wird jedoch der Fluss der Story nachhaltig gestört.

Die Kurve kriegen

Glücklicherweise versöhnt die fabelhafte Auflösung des „Flüsterer“-Attentates. Hier hat sich Carr wieder einmal einen höchst kunstvollen Kniff einfallen lassen, der sogar davon ablenkt, dass die Identität des geheimnisvollen Täters das Prinzip des Zufalls strapaziert. Carr ist sich dessen wohl bewusst und versucht gleich mehrfach abzuwiegeln, aber gänzlich gelingt ihm das nicht. Über das Porträt der unschuldig Verfolgten als Nymphomanin verliert man besser kein weiteres Wort, obwohl es ein bezeichnendes Licht auf das wirft, was einst als „Sitte und Moral“ verherrlicht wurde.

Für Carr wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg schwierig, sich neue Fälle für Dr. Fell auszudenken. Die Welt hatte sich verändert, die Kriminalliteratur blieb davon nicht ausgeschlossen. Noch hatte die Nostalgie den klassischen „Whodunit“ der 1920er und 30er Jahre nicht wiederentdeckt. Die zeitgenössischen Krimis wurden schwärzer und härter. Da konnte ein dicker, unbeweglicher, waffenloser Detektiv nur bedingt mithalten. Nicht von ungefähr begannen sich die Abstände zwischen den Fell-Romanen nach 1945 stetig zu vergrößern.

Auch im „Flüsterer“ kommt die Gegenwart nur ansatzweise zu ihrem Recht. Zwar spielen einige Szenen im noch kriegsgezeichneten London, aber hauptsächlich entspinnt sich das Mörder-und-Detektiv-Spiel genretypisch in einem quasi außerhalb von Zeit und Raum stehenden Landhaus. Nicht einmal elektrisches Licht gibt es in Greenwood, wo die Zeit nach dem Tode des reichen Erbonkels - eines viktorianischen Privatgelehrten wie aus Dickens‘ oder Doyles Bilderbuch - stehengeblieben ist. Heute macht gerade diese Weltfremde den besonderen Lektürereiz aus. Die globalisierte Gegenwart, die mehr Verlierer als Gewinner zu produzieren scheint, weckt die Sehnsucht nach einer guten, alten Zeit, deren Probleme überschaubar und vor allem lösbar waren. In dieser Hinsicht erfüllt Der Flüsterer seinen Unterhaltungsauftrag vorzüglich.

Fazit

Auch Meister verzetteln sich; hier geschieht es immerhin auf hohem Niveau, was die überkonstruierte und an sich wenig überzeugende Geschichte unterhaltsam lesbar bleiben lässt.

Der Flüsterer

John Dickson Carr, Ullstein

Der Flüsterer

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