In Aufruhr
- Kindler
- Erschienen: April 2021
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- OT: The Long, Long Afternoon
- aus dem Englischen von Silke Jellinghaus & Katharina Naumann
- HC, 384 Seiten
Diskriminierung, Unterdrückung, Verbrechen – alle fordern ihre Opfer
Es ist ein sonniger, heißer Tag in einem Vorort von Los Angeles im Jahr 1959. „Sie sind nicht hier“, sagt die dreijährige Barbara. „Sie haben alles schmutzig gemacht.“ Baby Lilly weint heiser und hoffnungslos, und weil die schwarze Haushaltshilfe Ruby erst einmal die Windel wechseln muss, fängt die kleine Barbara alleine an zu putzen, denn die ganze Küche ist schmutzig und verschmiert. Rot verschmiert …
Inga Vesper erzählt in ihrem Debutroman eine Geschichte, die im (wie wir meinen) charmanten Los Angeles des Jahres 1959 spielt. Das Benzin kostet nicht viel, die großen, chromglänzenden Automobile blitzen, die besseren Teile Los Angeles’ sind fest in weißer Hand, und überhaupt: Wer weiß und männlich ist, dem kann es nicht besser gehen. Wer anstelle des Y- jedoch ein X-Chromosom in seinem Gensatz hat, der wird das Leben nicht ganz so einfach finden, denn die Rolle der Frau ist die, zu heiraten, Kinder zu bekommen und zu erziehen – Talente spielen da keine große Rolle. Wer ein männlicher Schwarzer ist, darf zwar immerhin arbeiten, bekommt aber allenfalls einen Job als Mechaniker (und darf froh und dankbar dafür sein), und mit Abstand ganz am unteren Ende der Nahrungskette steht die schwarze Frau. Immerhin: Die ersten schwarzen Komitees haben sich gegründet und es formiert sich zaghafter Widerstand gegen die weiße Oberherrschaft – aber das Komitee trägt den Namen zur „Förderung des schwarzen Mannes“, und mehr ist vermutlich dazu auch nicht mehr zu sagen.
„Das Leben von Männern wie mir oder deinem Vater soll verbessert werden. Du solltest lieber zu Hause bleiben, bei deiner Familie.“
Vor diesem Hintergrund lässt Inga Vesper die schwarze Haushaltshilfe Ruby Wright regelrecht in ein blutiges Szenario hineinstolpern. Sie hatte einen unangenehmen Vormittag mit Hausarbeiten bei der boshaften, arroganten Nancy Ingram verbracht, sich dort drangsalieren, beleidigen und mit einem Hungerlohn abspeisen lassen müssen und gerät anschließend im Haus der netten Joyce Haney offensichtlich in den Schauplatz eines Verbrechens. Natürlich wird Ruby verhaftet – denn wer, wenn nicht die in die Handlung involvierte Schwarze, kann die Täterin eines solchen Verbrechens sein?
Ab diesem Zeitpunkt fokussiert die Handlung nicht nur die beiden Protagonistinnen Joyce und Ruby, sondern der Detective Mick Blanke tritt als dritte Hauptperson dazu. Auch er ist sicherlich ein Kind seiner Zeit, immerhin aber schon ein wenig fortschrittlicher und offener und damit die größte Hoffnung für Ruby, ohne weitere Blessuren aus diesem Fall wieder aufzutauchen. Fast schon notgedrungen zusammengewürfelt trifft dieses eigenwillige Duo auf Diskriminierungen und Schikanen, denen insbesondere Ruby auf der Suche nach der verschwundenen Joyce ausgesetzt ist. Inga Vesper gelingt es dabei, nicht nur die Ermittlungen nach dem Schicksal von Joyce spannend zu gestalten, sondern dem Leser auch ein beunruhigendes Bild der „guten alten“ Zeit zu vermitteln. Quasi nebenher erfährt er dabei von weiteren Morden und Körperverletzungen, die aber niemals weder angezeigt, noch angeklagt oder abgeurteilt wurden – einfach deswegen, weil der Täter die richtige Hautfarbe und das richtige Chromosom hatte. Bestürzend sind auch die Schilderungen, nach denen die Frauen, die sich nicht dem Ritual der ehelichen Pflichten oder den Vorgaben der braven Hausfrau beugen wollten, schnell als frigide und hysterisch abgeurteilt und von den jeweiligen Ärzten mit den entsprechenden Präparaten ausgestattet wurden.
“Der Arzt hat ihr Medikamente verschrieben, um ihre Bereitschaft zu fördern, sich dem Beischlaf zu fügen“
Dennoch ist Vespers Roman bei aller Spannung und sicherlich auch Anklage nicht nur ein düsteres, staatstragendes Werk, sondern unterhält auch mit Witz und Charme. So lässt die Autorin die lange Liste der verschriebenen Medikamente wie einen fremdartigen Stamm auftreten und beschreibt den dauerhaften Streit der Krieger der Meprobamaten (Medikament zur Lösung von Angst und Spannungszuständen) mit den ebenso tapferen Streitern aus dem Nachbarstamm der Butisol (Beruhigungsmittel). Einen nahezu poetischen und damit auch tatsächlich bezaubernd altmodischen Touch bekommt der Roman auch, wenn eine kühle Brise beispielsweise wie ein schüchternes Mädchen auf dem Abschlussball beschrieben wird. Hier ist eine Schönheit der Worte zu finden, die über den bloßen Kriminalroman hinausgeht.
Fazit
Inga Vespers erzählt in ihrem beeindruckenden Debutroman nicht nur eine mitreißende Kriminalgeschichte, sondern mindestens ebenso spannend, wie unverschämt, ungerecht und boshaft sich Menschen, die sich im angeblichen Vorteil ihrer Hautfarbe sonnten, gegenüber Anderen verhalten konnten. Wir wünschen uns, dass diese Zeiten ein für allemal vorbei sind – tatsächlich wissen wir aber auch, dass das nicht so ist; Schikanen und Diskriminierung finden weiterhin statt. Es liegt an uns, dass wir uns nicht in den hässlichen Gestalten wieder erkennen, die Vespers Roman bevölkern.
Inga Vesper, Kindler
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