Wenn die Toten sprechen: Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin

  • Ullstein
  • Erschienen: März 2021
  • 1

- TB, 240 Seiten

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Jochen König
45°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2021

True Crime und kein Ende in Sicht

Selbsterkenntnisreich bekundet Claas Buschmann im Nachwort seines Buchs Wenn die Toten sprechen: „Auch das True-Crime-Genre boomt, egal, ob im Fernsehen, im Buchhandel oder im Zeitschriftenmarkt [wo immer sich dieser Markt befindet]. (Dieses Buch ist natürlich selbst Teil dieses Trends.)“

Dieser Trend hält - CSI sei Dank - bereits einige Jahre an. Bücher über Profiling, Serienkiller und reale Verbrechen, Zeitschriften wie „Stern Crime“, „Zeit Crime“, Fernsehsendungen über „Frauen, die töten“, „Anwälte der Toten“ oder „Medical Detectives“ sowie zahlreiche Podcasts mit einschlägigen Themen (über)bevölkern die Medienlandschaft. Wenn die Toten sprechen gesellt sich hinzu - ob belangreich oder eher -los, wird sich zeigen.

Ich bin Rechtsmediziner und mir geht es gut

Buschmann erzählt von der vielfältigen Arbeit der  Rechtsmedizin. Das heißt, meist erzählt er über sich, seinen Werdegang, und dass er angesichts der tragischen Tode, mit denen er sich mitunter beschäftigen muss, doch ein positiver Mensch geblieben ist, der den An- und Herausforderungen des Alltags mit zenmeisterlicher Ausgeglichenheit begegnet, keinen Wert auf schicke Autos legt und gerne Printmedien liest. Diese etwas unbedarfte Zurschaustellung des eigenen Egos kann man sympathisch finden; man stutzt dann aber doch bei Binsenweisheiten, die zudem stilistisch nahe an der Schmerzgrenze balancieren: „Aber diese besondere Wasserleichen-Mischung aus Algen, Fisch und Fäulnis gehört tatsächlich nicht zu meinen liebsten Gerüchen.“

Als ob es irgendjemand gäbe, der Apocalypse Now in der Rechtsmedizin vermuten würde: „Ich liebe den Geruch von Wasserleichen am frühen Morgen.“

Berichte vom hässlichen Sterben

Buschmann erzählt in Plauderton von gewaltsamen Taten, deren Schilderung aber seltsam unbeeindruckt lässt, weil die darin vorkommenden Menschen lediglich Chiffren bleiben, um die Tücken von Mord und Totschlag sowie der gerichtsmedizinischen Untersuchungen zu beleuchten. Dabei scheut sich Buschmann nicht, auch das Versagen beziehungsweise die Beschränkungen der ärztlichen Möglichkeiten aufzuzeigen. Jede Untersuchung kann nur von dem ausgehen, was als Material vorliegt. Wenn dies kontaminiert, von Umwelteinflüssen oder schlicht dem Alter zerstört oder beinträchtig ist, wird die Arbeit schwer und Ergebnisse fallen mager aus. CSI-Ausstattung und -Analyse ist reine Fiktion. Wer hätte das gedacht (außer allen, die halbwegs wach zwischen Fernsehen und Realität unterscheiden können)?  

Dann lernen wir noch, dass verwahrloste Alkoholiker nicht firm in Anatomie sind, sodass das Zerstückeln komplizierter verläuft als nötig, und dass Leistenstiche sich immer größerer Beliebtheit unter Meuchelmördern erfreuen. Da bei einem Messerstich in die Leiste nicht zwingend Tötungsabsicht nachgewiesen werden kann, diese aber meist tödlich verlaufen, kommt der Messerstecher bei einer möglichen Gerichtsverhandlung glimpflicher davon, als wenn er seinem Opfer die Kehle durchgeschnitten hätte.

Die Geschichte der Körperhöhlen oder Morbidität light

So hangeln sich der Buschmann  und seine Co-Autorin Astrid Herbold von Tat zu Tat, wollen eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen provozieren, was aber ( schon aufgrund der schlichten, wenig eindrücklichen Sprache) nur bedingt gelingt. Von weiterführenden, tiefergehenden Erkenntnissen ganz zu schweigen. Immerhin eine Episode sticht heraus, in der eine Kette von Behandlungsfehlern dazu führte, dass eine junge Mutter im Anschluss an eine eigentlich harmlose Kieferbehandlung stirbt, woraus sich ein Gutachterstreit entwickelt, der am Ende nicht für Gerechtigkeit sorgt. Denn obwohl laut Buschmann die Chronik des tödlichen Scheiterns lückenlos ist, bleiben gewieften Verteidigern genügend Schlupflöcher, um die Schuldigen ihrer Verantwortung zu entziehen. Daraus hätte eine packende Geschichte über das deutsche Gesundheitswesen und die Limitationen der Rechtsbarkeit werden können. So bleibt dieser Part immerhin ein erschütterndes Dokument des Scheiterns.

Wenn die Toten sprechen bewegt sich zwischen Banalitäten und der unverhohlenen Lust am Morbiden; Erhellendes wird zu selten geboten. Zwischenzeitlich fragt man sich, ob Sachbücher über die Arbeitswelten von Bäckern, Schornsteinfegern, Fliesenlegern oder Paketzustellern (Lesetipp: Sie kommen heute aber spät! 1280 Tage Paketzusteller–Wahnsinn) nicht unterhaltsamer und anregender wären.

Fazit

Für die Bewertung von Kriminalromanen ist Buschmanns Werk nur von marginaler Bedeutung; denn wie sein ehemaliger Chef Michael Tsokos bereits mehrfach belegt hat, bedeutet medizinische Fachkompetenz nicht, dass man automatisch in der Lage ist, dem Genre Bereicherndes hinzuzufügen. Insofern ist Wenn die Toten sprechen eine Empfehlung für Lesende, die Führungen durch die Rechtsmedizin für ein Äquivalent zu Zoobesuchen halten.

Wenn die Toten sprechen: Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin

Claas Buschmann, Ullstein

Wenn die Toten sprechen: Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin

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