Diese Frauen
- Ars vivendi
- Erschienen: August 2021
- 6
- aus dem Englischen von Sigrun Arenz
- HC, 350 Seiten
Ein wütender Krimi über die Missachtung von Frauen
Dorian kann einfach nicht vergessen. Vergessen, dass ihre Tochter vor 15 Jahren brutal ermordet wurde. Vergessen, dass man sie bei der Polizei nicht ernst genommen hat. Ihre Tochter Lecia wurde Opfer eines Serienmörders, der 13 Frauen - überwiegend farbige Prostituierte - entlang der Western Avenue von Los Angeles brutal getötet hat. Doch eine Frau überlebte den Angriff. Seitdem war der Täter nicht mehr aktiv. Doch eine neue Serie brutalster Übergriffe lässt befürchten, dass der Mörder wieder zurück ist.
Übergriffe auf Frauen
Damals wie heute scheint das Police Department sich nicht besonders für die Opfer zu interessieren, die immerzu als diese Frauen bezeichnet werden. Diese Frauen an den Straßenecken, diese Frauen in den Bars, diese Frauen, die nicht aufhören, Fragen zu stellen, diese Frauen, die bekommen haben, was sie verdienen. Es gibt keine Individualität, sondern nur eine pauschale Missachtung. Doch eine Frau schaut nicht weg: Detective Esmerelda Perry. Auch wenn es nicht gewünscht ist und man ihren Einsatz nicht ernst nimmt, folgt sie der Spur des Killers.
Junge Autorin
Die US-amerikanische Autorin Ivy Pochoda ist hierzulande noch weitestgehend unbekannt. Dabei wurden ihre Romane Wonder Valley (2014) und Visitation Street(2017)von der Kritik in Nordamerika gefeiert. Wonder Valley gewann den „Strand Critics Award 2018“ für den besten Roman und war darüber hinaus mehrfach nominiert.
Die 44-jährige Pochoda wuchs in Brooklyn auf, studierte in Harvard und war vor ihrer Schriftstellerkarriere professionelle Squashspielerin. Mit Diese Frauen legt sie nun einen bemerkenswerten Roman über die Geringschätzung von Frauen in unserer Gesellschaft vor. Die Erzählung, die ebenso wie Wonder Valleyund Visitation Street beim fränkischen ars vivendi Verlag erscheint,war für den „Edgar Award 2021“ nominiert. Pochodas aktueller Roman basiert lose auf dem Fall des „Grim Sleeper“ Lonnie Franklin, der Mitte der 1980er und nach 15 Jahren Pause wieder ab 2002 mindestens zehn Prostituierte in Los Angeles ermordete.
Fehlende Beachtung
Diese Frauen ist nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein längst überfälliger Roman. Ivy Pochoda erzählt die Geschichten von sechs durch eine Mordserie miteinander verbundenen Frauen. Durch die verschiedenen Perspektiven, aus denen die Autorin erzählt, zeigt sie unterschiedliche Lebensentwürfe und Schicksale auf und liefert dadurch einen literarischen Einblick in den Mikrokosmos „Downtown L.A.“. Pochoda verleiht den dort lebenden Frauen Gehör, die ausgegrenzt, verachtet und nicht wertgeschätzt werden. Es sind Frauen am vermeintlichen Rande der Gesellschaft, die aber genauso Teil von ihr sind. Sie wissen, wie schwer es ist, ihre Wut zu übertönen, weil ihre Wut so laut ist - und gleichzeitig so sinnlos. Weil niemand ihnen zuhören will. Sie sind bloß ein Ärgernis, ein Problem. Die Autorin erzählt die Geschichte vor dem Hintergrund der #MeToo-Bewegung und dem Black-Lives-Matter-Protest. Sie kritisiert sowohl die fehlende Selbstbestimmung der Frauen als auch den fehlenden Respekt ihnen gegenüber.
„Die Männer da draußen machen jede Menge abgefuckte Scheiße. Und meistens kommen sie damit durch. Und überhaupt, wer zum Teufel würde mir zuhören - einer Frau, die für zwanzig Dollar Schwänze lutscht?“, beklagt Orphelia, die als einzige den brutalen Überfall des Serienmörders überlebt hat. Allein diese Klage macht die Verzweiflung der Frauen im Roman überdeutlich.
Patriarchalische Welt
Die Geschichte kennt keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Schmerz, Trauer und Resignation sind die verbindenden Elemente. Selbst Detective Esmerelda Perry wird aufgrund ihrer Kleinwüchsigkeit von den männlichen Kollegen und auch Zeugen nicht wertgeschätzt. Man meint ihr sogar stets helfen zu müssen. Ihre männlichen Kollegen haben die Mordserie vor fünfzehn Jahren nicht ernst genommen. Als der Täter das Morden einstellte, wurde der Fall nicht weiter verfolgt. Nun gelingt es Perry, den Täter mit ihrer Beharrlichkeit und einer beeindruckenden analytischen Fähigkeit zu fassen. Statt Anerkennung wird ihr aber der Fall am Ende sogar abgenommen. Im Rampenlicht stehen wieder ihre männlichen Kollegen. Sie wird übergangen und lächerlich gemacht. Weder ihre Tätigkeit als Polizistin noch ihr Erfolg schützen sie davor.
Am Stärksten bringt die junge Marella ihre Verzweiflung und Wut zum Ausdruck. Sie arbeitet als Künstlerin und stellt Bricolagen zum Thema „Dead Bodys“ aus, bei denen sie sich Fotografien, Videos und Fundobjekten bedient. Ihrer Meinung nach ist man darauf aus, den weiblichen Körper zu zerstören: „Er ist, würde ich sagen, mehr als alles andere Zielscheibe für Gewalt, psychische, physische und emotionale. Mehr als irgendetwas anderes auf der Welt.“
Authentische Welt
Die Sprache Ivy Pochodas ist wortgewaltig, kraftvoll, aber auch vulgär und derb. Dadurch ist sie aber auch sehr nah dran an ihren Figuren und lässt sie mit einer beeindruckenden Wucht vor unserem Auge lebendig werden.
Die Autorin schafft eine fast greifbare Atmosphäre. Wir riechen regelrecht den Schweiß in den schwülen Nächten Los Angeles, empfinden Ekel, wenn Männer sich wie Bestien in den lauten und schmutzigen Bars auf die Frauen stürzen, spüren die Einsamkeit derer, die mit dem Verlust ihrer Kinder und Freundinnen leben müssen.
In erster Linie geht es im Roman auch nicht um die Ermittlungsarbeit oder das Motiv des Täters, auch wenn dies zum Ende hin stärker in den Mittelpunkt rückt. Es geht um die Opfer und ihren verzweifelten Versucht, aus einer Welt auszubrechen, aus der es kein Entkommen gibt. So klagt Marella an: „Wir sind auf allen Seiten von Gewalt umgeben. Sexuelle Gewalt, physische Gewalt. Ich verkörpere das. Ich verkörpere die alltägliche Angst, die Frauen begleitet, das Bewusstsein, niemals sicher zu sein. Wir sind Beute.“
Fazit:
Ivy Pochodas Roman Diese Frauen ist eine Anklage gegen die psychische und physischen Gewalt gegenüber Frauen. Die Autorin zeigt in einer ausdrucksstarken Geschichte die Ohnmacht und Verzweiflung der Frauen, denen keiner Beachtung schenkt, weil sie stören und vermeintlich nur das bekommen, was sie verdienen. Deswegen ist der Roman so wichtig: Weil er zum Sprachrohr der Frauen wird, die verloren scheinen. Ein starker Kriminalroman mit einer wichtigen Botschaft: Hört „diesen Frauen“ zu.
Ivy Pochoda, Ars vivendi
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