Die Toten von Marnow
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: Februar 2021
- 10
- TB, 480 Seiten
- Bd. 1 [Ein Fall für Lona Mendt & Frank Elling]
Einer der besten deutschen Thriller der letzten Jahre
Jahrhundertsommer 2003: Gluthitze, eine brutale Mordserie, ein Hamburger Pharmakonzern, eine Klinik in Mecklenburg-Vorpommern und alte politische Seilschaften. Das Ermittlerteam um Frank Elling und Lona Mendt darf sich über Mangel an Arbeit nicht beschweren. Zunächst wird der Sozialhilfeempfänger Alexander Beck mit aufgeschlitzter Kehle in seiner Rostocker Wohnung gefunden. Auf seinem Computer befindet sich kinderpornografisches Material. Ist hier das Motiv des Täters zu suchen? Elling und seine Partnerin Mendt zweifeln immer mehr an dieser Theorie. Die Spur führt sie stattdessen tief in die deutsch-deutsche Geschichte. Dabei scheint die Tat nur der Auftakt einer Mordserie mit brisantem politisch-historischem Hintergrund zu sein. Mächtige Gegenspieler der Ermittler haben ein Interesse daran, die wahren Zusammenhänge im Dunkeln zu belassen.
Grenzen verwischen
Der Fall wird für das Ermittlerduo zunehmend komplexer. Zu allem Überfluss verstricken sich auch Elling und Mendt immer tiefer in einem Netz aus Erpressung, Vergeltung und ethischem Fehlverhalten. Beide gehen dabei wie ihre Gegner weit über die Grenzen des Erlaubten hinaus und machen sich dadurch selber angreifbar - rechtlich, aber auch moralisch. Immer mehr scheinen die Grenzen von Gut und Böse, Recht und Unrecht zu verschwimmen. Nur der gemeinsame Zusammenhalt schützt beide noch. Während sie immer wieder gezwungen sind, ihre eigene Haut zu retten, kommen sie dem Täter schrittweise näher und decken dabei eine tragische Geschichte auf.
Fantastischer Thriller
Autor Holger Karsten Schmidt, geboren 1965 in Hamburg, ist seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Deutschlands. Der FernsehmehrteilerGladbeck,für den der dreifache Grimme-Preisträger das Drehbuch schrieb, wurde mit dem Bayerischen und Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Zuletzt erhielt Schmidt 2020 den deutschen Fernsehkrimipreis fürDas Gesetz sind wir.Als Romanschreiber veröffentlichte er 2011 seinen Mittelalter-Thriller Isenhart, 2017 folgte unter dem Pseudonym Gil Ribeiro der erste Band der Lost in Fuseta-Reihe, die in Portugal spielt. Die Toten von Marnow ist der Auftakt der Mendt-Elling-Reihe. Bereits im Januar 2020 als Paperback bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, liegt nun pünktlich zum Start der Verfilmung in der ARD die Taschenbuchausgabe vor.
Vielschichtiger Roman
Es kommt selten vor, dass man ein Buch in die Hand nimmt und das Gefühl hat, alles passt zusammen: Plot, Figuren, Setting und Erzählweise. Genau dies ist aber bei Schmidts Erzählung der Fall - wobei es schwer fällt, ihn in ein Genre zu packen. Dies liegt an der Vielschichtigkeit seines Werkes: Die Toten von Marnow verbindet Elemente aus (Polit-)Thriller sowie Kriminal- und Gesellschaftsroman miteinander. Genau diese Ambivalenz ist aber das Herausragende dieser Erzählung. Schmidt spielt mit den Genres und entwickelt seinen ganz eigenen Stil.
Bequem und unnahbar
Mit Elling und Mendt hat der Autor ein ganz spezielles Ermittlerteam geschaffen. Hauptkommissar Frank Elling ist ein absoluter Durchschnittstyp: mittelgroß, leichter Bauchansatz, sich ständig vergrößernde Geheimratsecken und als Brille ein Kassenmodell. Gleichzeitig ist er aber auch ein Mensch mit einem riesigen Herzen. Seiner Frau Susanne, die ihm mit dem OB-Kandidaten für Rostock betrügt, baut er einen großen Swimming-Pool; seine Tochter Mareike, die gerade das Abitur gemacht, bekommt ein Auto. Dabei kann sich Elling dies finanziell gar nicht leisten. Er lebt deutlich über seinen Verhältnissen. Einen Großteil seiner Freizeit widmet er seiner demenzkranken Mutter Erika, um die er sich liebevoll kümmert. Elling ist jemand, der sich mit dem Leben arrangieren kann und nicht gegen alles ankämpft - und das eher aus Bequemlichkeit: „Man gab ein wenig, man bekam ein wenig, am Ende waren alle zufrieden.“
An seiner Seite steht mit Lona Mendt eine ehemalige Ermittlerin aus Hannover, die nach Rostock versetzt wurde. Im Gegensatz zum eher gemütlichen Elling ist sie immer auf dem Sprung; nicht ohne Grund lebt sie in einem Wohnmobil. Sie scheint von einer inneren Unruhe getrieben, deren Wurzeln in ihrer Vergangenheit liegen. Weil sie nichts von sich preisgibt, erscheint sie eher unnahbar und kühl. In ihrem Auftreten ist sie mehr als konsequent. Dabei scheut sie nicht die Gefahr, weil sie auch nichts mehr zu verlieren hat. Trotz oder gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit ergänzen sich Elling und Mendt sehr gut und können sich blind aufeinander verlassen.
Sympathisches Ermittlerduo
Auch wenn die beiden Hauptcharaktere sicherlich keine weiße Weste haben und mitunter moralisch zweifelhaft agieren, sind sie durchweg sympathische Figuren. Weil das Leben es nicht immer gut mit ihnen meint, wünscht man ihnen nur das Beste. Denn die Triebfeder für ihr Verhalten ist zutiefst menschlich und beide profitieren in keiner Weise von ihrem Fehlverhalten. Wie Wolfgang Schorlau so treffend über die Figuren gesagt hat: Wir „erwischen uns dabei, wie wir ihnen trotz ihrer Fehltritte fest die Daumen drücken“. Der Leser wird dadurch zum Komplizen des Ermittlerduos, wenn sich dieses rund um das idyllische Marnow an der Mecklenburgischen Seenplatte auf Verbrecherjagd begibt. Dass es Holger Karsten Schmidt auf wunderbare Weise gelingt, eine Atmosphäre einzufangen und Bilder im Kopf des Leser entstehen zu lassen, rundet diesen Thriller der Extra-Klasse ab.
Fazit
Die Toten von Marnow ist der beste Thriller der letzten Jahre. Schmidt gelingt mit seinem Roman ein Geniestreich: spannend, böse, aber auch emotional. Er meistert den Spagat zwischen Thriller und Roman in einer Brillanz, die ihresgleichen sucht. Ein Thriller, der gleichzeitig nachdenklich macht und einen berührt, ohne kitschig zu werden. Ein kaleidoskopartiger Plot, ein wundervolles Ermittlerteam und eine Geschichte, die lange nachhallt - bleibt nur zu hoffen, dass es möglichst bald eine Fortsetzung der Reihe gibt.
Holger Karsten Schmidt, Kiepenheuer & Witsch
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