Sieben Lichter
- Steidl
- Erschienen: Januar 2021
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- TB, 164 Seiten
Ein wahres Geisterschiff
William Scoresby hat ein bewegtes Leben führen dürfen: Früher ist er in die Fußstapfen seines Vaters getreten und zur See gefahren, war Walfänger und Arktisforscher, wandte sich schließlich der Theologie zu und wurde Prediger. Doch auf das, was das Hafenstädtchen Cove 1828 erschüttert, hat ihn nichts vorbereiten können: An Bord der Mary Russell, die gerade von einer Handelsfahrt nach Barbados zurückgekehrt ist, werden sieben Crewmitglieder in der Kajüte gefesselt und von einem Beil erschlagen vorgefunden. Lediglich zwei Matrosen, drei Schiffsjungen und der kranke Sohn des Reeders Hammond, der als Passagier mit an Bord war, haben das unbegreifliche Blutbad überlebt – abgesehen vom Hauptverdächtigen Kapitän Stewart, dem es gelungen ist, zu fliehen.
Scoresby nutzt einen Familienausflug in der Gegend, um gemeinsam mit seinem Schwager Colonel Fitzgerald einen Abstecher nach Cove zu unternehmen und die Überlebenden noch vor der offiziellen Verhandlung zu befragen. Schnell scheint sich ein relativ klares Bild zu ergeben: Der eigentlich gutmütige und wohlgelittene Stewart muss nach und nach dem Wahnsinn verfallen sein und hat in einem Anfall von Paranoia aus Angst vor einer angeblich geplanten Meuterei die Morde begangen. Doch es gibt Unstimmigkeiten, und Scoresby fürchtet, dass noch etwas anderes hinter der Tat stecken könnte. Seine Faszination an dem Fall ist persönlicher Natur, und bald schon verfangen sich Scoresby und Fitzgerald in einem undurchschaubaren Netz aus Halbwahrheiten, das sie an ihre eigenen Grenzen zu bringen droht …
„Ich glaube, dass jeder von uns im Grunde seines Herzens weiß, was richtig und falsch ist, und dass jeder, der gegen dieses Wissen und Gewissen handelt, sich früher oder später selbst bestraft“
Der Wiener Autor Alexander Pechmann, der sich selbst als „Goldgräber der Literatur“ versteht, hat sich in Sieben Lichter (erstmalig 2017 erschienen) eines wahren, historisch verbürgten Kriminalfalles angenommen, den er kunstvoll in eine Fakten und Fiktion vermischende Spannungserzählung verwebt. Durch fundiertes Hintergrundwissen schafft er eine authentische Momentaufnahme der viktorianischen Gesellschaft, die dank seiner Ausdruckskraft lebendig wird. Die Geschichte lebt aber nicht nur von der spürbar guten Recherche, sondern auch von der gekonnten Nutzung des Seemannsvokabulars und der feinen Figurenzeichnung. Das stimmungsvolle Setting unterstreicht das faszinierende, schaurige Rätsel, welches den Kern der Handlung ausmacht.
„Oft ist unser allzu menschlicher Hang zum Zweifeln und Hinterfragen das Einzige, was uns vor dem Untergang rettet“
Was ist wirklich an Bord der Mary Russell geschehen? Der Hergang wirkt auf den ersten Blick eindeutig, und doch erzählt jeder der Überlebenden etwas anderes. Wieso drehten sämtliche Schiffe, die zur Rettung herbeigerufen wurden, im letzten Moment wieder ab? Woher stammt der mysteriöse dritte Revolver, dessen Ursprung – im Gegensatz zu den zwei Waffen, mit denen die Opfer in Schach gehalten wurden – keinem bekannt ist? Liegt der Schlüssel für das seltsame Verhalten des Kapitäns in seiner Vergangenheit? Oder war die Mary Russell schlicht und ergreifend verflucht?
Das Mysterium wird in kurzen Kapiteln aufgerollt, in welchen viele Beteiligte zu Wort kommen. Pechmann übt sich in Geduld und streut behutsam neue Informationen, lässt den bizarren Fall seine eigene Wirkung entfalten, ohne dass man je das Gefühl hat, einer Klärung näherzukommen. Diese steht aber auch tatsächlich nicht im Vordergrund, sondern vielmehr der Konflikt zwischen naturgegebener Skepsis und blindem Glauben, zwischen Zufall und Vorsehung, verkörpert von den beiden Hauptfiguren: Scoresby ist zwar ein Mann Gottes, aber eben auch ein Naturwissenschaftler, der die Geschehnisse nicht für bare Münze nehmen will, sondern sie auf philosophischer Ebene untersucht, während Fitzgerald (gleichzeitig der Ich-Erzähler) gerade Glaubensdingen eher rational, fast zynisch gegenübersteht. Das Verhältnis der beiden ist oft von Unverständnis, aber auch von intellektuellem Respekt geprägt. Diese Charaktere ergänzen sich so gut, dass der Geschichte gegen Ende, wo die beiden ausgerechnet zum inhaltlichen Höhepunkt getrennte Wege gehen und der Epilog einen Zeitsprung von 2 Jahrzehnten unternimmt, etwas die Luft ausgeht. Dennoch ist Pechmanns Werk insgesamt eine interessante und überraschend komplexe Meditation über das menschliche Bedürfnis, hinter den Dingen mehr zu vermuten, als auf den ersten Blick erkennbar ist, und den Schrecknissen des Lebens einen Sinn abzuringen – wenngleich das auch nicht immer gelingen mag.
Fazit
Sieben Lichter ist ein kurzer, aber kurzweiliger historischer Kriminalroman eines fachkundigen und talentierten Autors, der zwar nicht mit nervenzerreißender Spannung glänzt, aber dafür raffiniert und intelligent erzählt ist – eine lohnenswerte Lektüre!
Alexander Pechmann, Steidl
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