Der böse Trieb
- Kampa
- Erschienen: Januar 2021
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- HC, 256 Seiten
- Bd. 6 [Rabbi Klein]
Rabbi Klein kämpft an allen Fronten - Kol tuv
Gabriel Klein, Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde von Zürich, erwartet kurz vor dem jüdischen Neujahr den deutschen Zahnarzt Viktor Ehrenreich zum jährlichen Seelengespräch. Doch zu seinem Entsetzen erfährt Klein von dessen Frau Sonja, dass ihr Mann in der gemeinsamen Wohnung in Inzlingen bei Lörrach tot aufgefunden wurde - ein Schuss mitten ins Herz aus nächster Nähe. Kommissar Dietmar Unmüßig, der ebenso griesgrämige wie arrogante Polizeidienstleiter in Lörrach, schließt einen rassistischen Anschlag aus, wenngleich Ehrenreich der einzige Jude im Ort war. Vielmehr hat er Sonja unter Verdacht, was wiederum Klein hellhörig macht, war diese doch zum Tatzeitpunkt angeblich in Vietnam.
„Hier haben wir eine ziemlich aussagekräftige Indizienkette, aber kein Motiv.“
„Und Sie würden mich bitten, Ihnen ein Motiv zu beschaffen.“
„Sie haben eine unnachahmliche Art, sich auszudrücken, Herr Rabbiner. Aber wenn Sie sich umhören könnten und auf etwas stoßen, könnte es dem Prozess der Wahrheitsfindung dienlich sein.“
Klein ist ein guter Zuhörer, neugierig obendrein, und da ihm beruflich aktuell einiges um die Ohren fliegt, er gar seinen Job zu verlieren droht, ist ihm ein bisschen Abwechslung recht - zumal er nicht das erste Mal in polizeiliche Ermittlungen hineingezogen wird. Je mehr Gespräche er führt und je tiefer er in das Leben seines Bekannten einsteigt, umso verwirrender wird der Fall: Massive Eheprobleme gab es; Sonja wollte nie nach Inzlingen, die Ehe blieb zudem kinderlos. Auch Sonjas beste Freundin Anouk hatte ein gutes Motiv, ebenso wie deren Ehemann. In der jüdischen Gemeinde war Ehrenreich höchst unbeliebt, gründete er doch mit seinem Freund Anschel Fink die Neue-Mussar-Bewegung, die sich vehement gegen die Chabad Lubawitsch, die weltweit größte chassidische Gruppierung, einsetzt, der wiederum der Rabbiner von Lörrach angehört. Gemeinsam mit Fink gründete er zudem ein Krankenheim im Kongo, an einem Ort, wo Kinder für die Gewinnung von Kobalt unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten.
„Es gibt nur eine einzige Textstelle in der Schöpfung, nämlich nach der Schöpfung des Menschen, da steht geschrieben: „Und er sah, dass es sehr gut war.“ Warum plötzlich sehr gut?“
„Das kann man sich wirklich fragen. Vor allem, nachdem Gott einige Generationen später bereute, den ganzen Laden überhaupt aufgebaut zu haben und eine Sintflut schickte.“
Verdächtige und Motive gibt es reichlich - aber was sagt eigentlich Rivka zu alldem? Diese ist zunehmend gereizt, denn schließlich könnte sich ihr Mann ja auch mal um seine Frau und die Töchter kümmern, statt gleich die ganze jüdische Welt zu retten.
Spannender Plot, viele Verdächtige und jüdisches Leben
1910 ermittelte erstmals Pater Brown in den Geschichten von Gilbert Keith Chesterton, die in keiner gut sortierten Krimisammlung fehlen sollten. Ein Ermittler mit religiösem Hintergrund ist also wahrlich nichts Neues, wenngleich noch immer eher selten, und dass gar ein Rabbiner ermittelt, sogar noch seltener. Die bisherigen Fälle des Rabbi Klein erschienen übrigens im Verlag Nagel & Kimche, sein aktueller Roman Der böse Trieb nun bei Kampa.
„Und was war Ihr Konflikt mit Viktor?“
„Ich will keinen Laschon hara sprechen.“
„Und ich will keinen Laschon hara hören. Aber vielleicht hilft es ja, den Konflikt zwischen Ihnen und Sonja Ehrenreich beizulegen, wenn die Ursache analysiert werden kann. Gerade nachdem jetzt der Monat Elul begonnen hat.“
Der Einstieg wird ein wenig erschwert, sofern man sich mit dem Judentum nicht auskennt. Alfred Bodenheimer, Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität in Basel, sorgt jedoch von Beginn an dafür, dass eventuelle Wissenslücken zu religiösen Bräuchen oder dem jüdischen Alltagsleben rasch geschlossen werden; ferner hilft ein umfangreiches Glossar bei begrifflichen Verständnisschwierigkeiten. Die einzelnen Handlungsstränge wie das angeknackste Eheleben, die Ereignisse im Kongo und nicht zuletzt Kleins Familienleben sind vom Seitenumfang her übrigens angenehm aufeinander abgestimmt.
Fazit
Der böse Trieb gibt umfangreiche Einblicke in die jüdische Gesellschaft und Religion, wartet mit vielen Motiven und Verdächtigen sowie einem hohen Lesetempo und einem ebenso ungewöhnlichen wie sympathischen Ermittler auf. Bis zur Auflösung liegt die Spannungskurve zudem angenehm hoch.
Alfred Bodenheimer, Kampa
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