Achtsam morden am Rande der Welt
- Heyne
- Erschienen: April 2021
- 4
- HC, 400 Seiten
- Bd. 3 [Achtsam morden]
Der Pilgerweg führt ins Tal
Björn Diemel ist wieder da! Nachdem eine Feier - oder eigentlich eine geplante „Nicht-Feier“ - seines 45. Geburtstages ganz fürchterlich in die Hose gegangen ist, ist es wieder Zeit für einen Besuch bei seinem Therapeuten Joschka Breitner. Der legt dann auch den Finger auf die Wunde und stellt die entscheidende Frage: Was will er eigentlich von seinem Leben? Eine Frage, die sicherlich schon manchen vor ein großes Rätsel stellte. Dennoch ist Diemel nicht (mehr) der Mann, der vor solchen existenziellen Problemen davonläuft, und so begibt er sich, wie ganze Legionen anderer Suchenden, auf den Weg der Erkenntnis – namentlich den Jakobsweg. Hier hofft er, seine Fragen in stiller Kontemplation und anstrengendem Fußmarsch zu beantworten. Dennoch muss auch ein Björn Diemel feststellen, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens eine ganz andere Dynamik bekommt, wenn jemand versucht, einem anderen dieses zu nehmen. Auch im frommen Gewand des Pilgers scheint nicht jeder Rechtsanwälte zu mögen, und schon gar nicht diesen Rechtsanwalt ...
In seinem mittlerweile dritten Roman um den Rechtsanwalt, anteiligen Kindergartenbesitzer, Familienvater und nicht zuletzt Gangsterboss lässt Karsten Busse seinen Helden wieder in haarsträubende Situationen stolpern. Dennoch ist vermutlich einiges dazu angetan, gerade seine treuen Leser zu überraschen. So ist es erstaunlich, dass Busse seinen Protagonisten bei seiner Geburtstagsparty (die eigentlich keine sein sollte) ohne jede eigene Meinung ins Chaos stürzen lässt. Diemel ist nun immerhin im richtigen Leben Rechtsanwalt und in seiner Nebenlaufbahn der Oberboss eines Gangsterclans mit besten Kontakten zum Rotlichtmilieu und zudem zu einem florierenden Kindergarten. Mit einer solchen Agenda müsste er eigentlich gewohnt sein, zumindest ab und zu mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Der Ausgangspunkt der Geschichte muss daher mehr als konstruiert erscheinen, ist es doch ein unanständiges Angebot gegenüber einer von Diemels Sexarbeiterinnen, das eine Lawine von Ereignissen in Gang setzt und der der Held hilflos gegenübersteht. Allein hier war ich schon der Meinung, dass „Political Correctness“ in vielen Bereichen eine berechtigte Rolle spielen mag, im Rotlichtgewerbe aber wohl eher nachrangig sein dürfte. Diemels Heft gerät hier aber völlig aus der Hand, und natürlich ist es erneut sein bewährter Therapeut Joschka Breitner, der ihn wieder auf die Bahn bringen soll.
“Ich soll meine Tochter verlassen, um mit Kirchentags-Heinis durch die Gegend zu schlendern?“
Hier wären wir dann auch schon bei einem weiteren Punkt, der mich mittlerweile doch wundert: Auch wenn Breitners Therapien und Hilfestellungen regelmäßig in den höchsten Tönen gelobt werden, scheint eine Weiterentwicklung - oder vielmehr eine mögliche Selbständigkeit seines Klienten - in weite Ferne gerückt zu sein. Denn anders lässt es sich nicht erklären, dass Diemel mittlerweile in drei Bänden Breitners Hilfe in Anspruch nehmen musste, diese Therapien aber offensichtlich in engem Zusammenhang standen, denn noch immer besucht seine Tochter Emily den Kindergarten und ist mittlerweile entweder Deutschlands ältestes Kindergartenkind oder ihr Vater ist in Dauerbehandlung. Ohne mir Björn Diemels Zorn zulegen zu wollen – denn offensichtlich gibt es nichts Schlimmeres als an der kleinen Emily (die auch mittlerweile recht gewieft für ihr Alter auftritt) herumzumäkeln – vermute ich dann doch, dass es eher am Vater liegt. Nichts für ungut, Herr Diemel.
Die übrige Geschichte ist ein routiniert abgewickelter und gut erzählter Krimi, wenn auch mit einigen Konstruktionen, die zumindest mich irritierten. Ob es tatsächlich so einfach ist, im dicht besiedelten Europa ein paar Leichen ganz einfach verschwinden zu lassen, war zum Beispiel eine Frage, die mir nicht so recht behagen wollte. Im Gegenzug wünsche ich mir dagegen schon, dass tatsächlich ein Kind von Dusse auf die Idee kommen möge, ein deutsches Widderkaninchen als Streicheltier in seinem Kinderzimmer zu halten – wie der Held zwischendurch fabuliert. Dieses Ergebnis würde ich gerne an Ort und Stelle bestaunen, wird doch ein solches Karnickel bis zu 9 kg schwer, ist entsprechend groß und dürfte für ein beachtenswertes Geruchserlebnis sorgen. Als ungewöhnlich empfand ich übrigens die Frage, ob ein Mann seine geschiedene Frau nicht darüber informiert, dass ihr neuer Lover eine beachtliche Karriere als Drogenkonsument und –dealer aufweist und mit gestandenen 45 Jahren tatsächlich glaubt, dass der sich ganz bestimmt und auf jeden Fall vom Saulus zum Paulus gewandet hat.
“Wenn „Dickmanns“ nicht ab sofort „Adipös-m/w/divers heißt, esse ich die nicht mehr.“
Dennoch hat Dusse wieder ein paar gute Ideen gehabt - so wie die, wie ein Mitreisender auf dem Pilgerweg seine Taschengeldfrage löst und wie wiederum der Held diese Arbeitsweise bewertet und letztendlich belohnt. Hier endlich fühlt sich der Leser im vertrauen Fahrwasser und spielt gerne das Spiel von unmoralischer Selbstjustiz mit, wird sie doch als berechtigt und notwendig empfunden. Dusse hat auch wieder Szenen entwickelt, die gerade an diesen Punkt andocken und Freude bereiten: So die kleinen Hiebe gegen die Political Correctess und gegen die ständige Moral, die immer weiter eine Rolle spielt. Dennoch werden diese Momente langsam schwächer. Es scheint, dass mittlerweile in drei Bänden fast alles dazu erzählt und vom Leder gezogen wurde - und am Ende des Tages muss das ja auch nicht überraschen.
Fazit
Björn Diemel kommt langsam in die Jahre. Irgendwann muss er schließlich auch „austherapiert“ sein, und das, was zu Beginn seiner Laufbahn frisch, inspirierend und einfach von der Leber weg erzählt wurde, wird langsam mühsamer und konstruierter. Dusse weiß weiterhin zu gefallen oder zum Schmunzeln zu bringen; dennoch zeigt der Pilger deutliche Ermüdungserscheinungen. Aber er ist ja mit dem Leser auch schon ein gewaltiges Stück gegangen.
Karsten Dusse, Heyne
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