New Iberia Blues

  • Pendragon
  • Erschienen: Juli 2020
  • 2

- OT: The New Iberia Blues

- aus dem Englischen von Jürgen Bürger

- TB, 585 Seiten

- Bd. 22 [Dave Robicheaux]

New Iberia Blues
New Iberia Blues
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Jochen König
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2020

James Lee Burkes Robicheaux-Saga geht in die 22. Runde

Dave Robicheaux - der auch bei seinem zweiundzwanzigsten Auftritt immer noch im New Iberia Sheriff‘s Department arbeitet - bewundert den jungen Desmond Cormier ob seiner Zähigkeit und dem unbedingten Willen, sich gegen stärkere Widersacher durchzusetzen: ein Junge mit indianischem Blut in den Adern, ein sogenannter „Redbone“, aufgewachsen in einer schäbigen Baracke im Chitimacha Reservat. Nach dem Schulabschluss verlässt Cormier Louisiana, um in Kalifornien sein Glück im Filmbusiness zu finden.

25 Jahre später kehrt er mit einer Golden-Globe-Auszeichnung und einer Oscarnominierung im Gepäck zurück, um einen großen historischen Film in seiner alten Heimat zu drehen. Dave kommt wieder mit ihm in Kontakt, als er wegen eines vermuteten häuslichen Streits zu Cormiers Anwesen gerufen wird. Das bestätigt sich nicht, doch Robicheaux entdeckt in Sichtweite des Hauses eine ermordete junge Schwarze im Meer, drapiert wie eine Darstellung aus einem Tarotkartensatz. Die Frau wird nicht das einzige Opfer bleiben ...

Die tote Frau und das Meer

Obwohl Dave sich innerlich sträubt, ermittelt er gegen Desmond Cormier und seine Entourage. Da seine Tochter Alafair an dem Filmprojekt mitarbeitet, bleiben familiäre Konflikte nicht aus. Erschwert wird die Arbeit noch durch den Umstand, dass Hugo Tillinger, der wegen des Mordes an Frau und Kind verurteilt wurde, geflohen ist und sich der Filmcrew mit unklaren Motiven nähert. Robicheaux‘ Freund und Ex-Partner Cletus Purcell fühlt sich schuldig, da er Tillinger begegnete und ihn entkommen ließ. 

Noch komplizierter wird es, als Dave sich in seine wesentlich jüngere neue Partnerin Bailey Ribbons verliebt und der selbsternannte Rächer Smiley Kontakt zu Dave und Cletus aufnimmt, um ihnen mitzuteilen, dass er in New Iberia auf der tödlichen Jagd nach Kinderschändern und „bösen Menschen“ (von ihm selbst definiert) ist; er ist so etwas wie Schutzengel und Nemesis für die beiden Hauptfiguren und wird zusätzlich dafür sorgen, dass sich in und um New Orleans die Leichen stapeln ...

Ein Choral von dunklen Träumen

Mit dem Blues in New Iberia nimmt der Schwanengesang um Dave Robicheaux und seinen Kumpel Clete Purcell seinen Lauf. Bereits die stattliche Seitenzahl weist darauf hin, dass es sich nicht um einen Kriminalroman handelt, in dem eine zielstrebige polizeiliche Mordermittlung ohne Abschweifungen im Mittelpunkt steht: Das kriminelle Geschehen ist verzweigt, die Lage oft diffus, stellenweise wanken die Protagonisten zwischen Wahn und Wirklichkeit hin und her, der Text entwickelt sich zu einer elegischen Absage an den amerikanischen Traum, der viel zu oft ein Alptraum ist. Eingehend werden Fragen nach Freundschaft, Vertrauen und Verlust abgehandelt. James Lee Burke zeigt mit bitterer Konsequenz, wie deren Grundpfeiler nachhaltig zerstört werden können.

Burke gibt seinen Protagonisten viel Raum, lässt sie ihren Gedanken nachhängen. Dave Robichieaux bildet dabei das Zentrum und bewegt sich bis in surrealistische Sphären - zumindest so weit, bis Realität auf Magisches trifft, ohne komplett ins Übernatürliche zu kippen. Aber auch Clete und das dunkle (oder eher madige) Gegenstück der beiden Freunde, Smiley, offenbaren den Lesern ihr Innerstes.

Das besitzt einen ganz eigenen Reiz, besonders da James Lee Burke immer noch ein begnadeter Stilist ist, dessen Vergleiche, Bilder und Erläuterungen von treffsicherer Schönheit sind - inklusive einiger launiger Seitenstiche gegen Hollywood und das gesamte Showbiz.

Zeit ist relativ …

Dies führt dazu, dass die Stereotypen, die in Burkes Plots (dem hohen seriellen Ausstoß geschuldet) häufig vorkommen, kaum ins Gewicht fallen beziehungsweise kreativ variiert werden. Dadurch wirkt das Buch aber auch fahrig, zwischen Detailversessenheit und flanierendem Schlendrian schwankend ...

„Mit der Ermüdung des Verstands kommt die Versuchung, alles zu vereinfachen und abzuschließen. Das kollektive Bewusstsein mag keine Einzelheiten und Vielschichtigkeit.“

Doch das passt zu den Figuren, der Landschaft, den Gedanken und Geschichten. Robicheaux hält eine Rückschau auf sein Leben, sein Denken und seine Gefühle, und da nimmt man sich eben ein bisschen Zeit. Wenn man seiner Erzählung folgt (Kinobesuche bereits 1946), müsste Robicheaux etwa im gleichen Alter wie sein Autor sein (Jahrgang 1936); das gibt seinem Verhalten und vor allem der Liebesgeschichte mit der wesentlich jüngeren Bailey Ribbons einen missklingenden Unterton.

… das Altern auch – der Blues hilft manchmal

„Ich war nicht einfach der Ungerechtigkeit der Welt überdrüssig. Ich hatte insbesondere genug von Habgier und der prahlerischen Zurschaustellung von Reichtum, die so kennzeichnend ist für unsre Zeit, und von den Rechtfertigungen für die Ausbeutung der Erde und der Verletzung unserer Mitmenschen. Das große Geschenk des Alters ist die Erkenntnis, dass jeder Morgen ein Segen ist“.

Also stoppen wir den Alterungsprozess etwa mit Mitte 60 und folgen Robicheaux und seinen menschlichen wie tierischen Gefährten (natürlich sind Waschbär Mon Tee Coon und Kampfkater Snuggs wieder mit dabei) durch eine so wehmütige wie brutale Erzählung, die wenig zimperlich mit der Spezies Mensch umgeht und gleichzeitig ein bisschen Raum für Hoffnung lässt.

Fazit

James Lee Burke brilliert hier als ausdruckstarker Schilderer einer permanent dampfenden Sumpflandschaft - wörtlich und im übertragenen Sinn. James Lee Burke hat den Blues, und er beherrscht ihn!

New Iberia Blues

James Lee Burke, Pendragon

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