Old Bones - Tote lügen nie
- Knaur
- Erschienen: August 2020
- 2
Michael Benthack (Übersetzer)
Knochen, alte Gold-Dollars und gierige Cowboys
Douglas Preston und Lincoln Child gehören zu den Vielschreibern der Spannungsliteratur; vor allem ihre Reihe um den FBI-Ermittler Pendergast hat sie dem deutschen Krimi-Publikum nachhaltig bekannt gemacht. Und so lassen sie ihren langjährigen Protagonisten auch im neuen Serienauftakt Old Bones kurz auftreten - ist er doch der Mentor von Corrie Swanson, der ehrgeizigen und jungen FBI-Agentin, die hier zusammen mit der Archäologin Dr. Nora Kelly im Mittelpunkt steht. Die Autoren lassen die Handlung eher ruhig beginnen, stellen ihre Protagonisten in Ruhe vor und führen den Leser fast schon gemächlich zum Setting der Haupthandlung - die hat es dann aber in sich:
Der Historiker Clive Benton ergattert in einem zum Abbruch vorgesehenen Haus das Tagebuch von Tazmine Donner. Den wesentlichen Inhalt und seine Thesen dazu trägt er Dr. Nora Kelly vor, die nach langem Ringen vom Archäologischen Institut Santa Fe mit einer Grabung in der Sierra Nevada beauftragt wird, um das sogenannte „Lost Camp“ der legendären Donner-Gruppe zu finden. Es handelt sich um eines von drei Camps, in denen die Siedler-Gruppe versuchte, den mörderischen Winter 1846 zu überleben, nachdem der Treck vom Schneefall in den Bergen überrascht worden war. Kelly und ihr Team werden von einem Trupp erfahrener Bergführer begleitet, schlagen nach langwieriger Suche ihr Lager in der Nähe der vermeintlichen Fundstätte auf - und schon bald beginnen die Komplikationen.
„Während sie die Bergluft einatmete und sich umschaute, bekam sie ein Gespür für die Fremdheit, die Isoliertheit, die die Menschen damals empfunden haben mussten. Sie und ihr Team befanden sich zwar nur fünfundzwanzig Kilometer von einem Highway entfernt, und trotzdem hatten sie das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Im Jahr 1847 befanden sich die Siedler weiter von jeder Zivilisation entfernt, als das heute überhaupt vorstellbar war.“
Parallel zu den Ereignissen um Nora Kelly und Clive Benson gibt es mysteriöse Mordfälle: einen in Paris, einen auf einem Friedhof am Gorieta-Pass, in der Nähe eines Schlachtfelds aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Corrie Swanson ist frisch von der FBI-Akademie gekommen und muss sich derzeit mit alten Fällen herumschlagen. Sie wird zu dem Mord auf dem Friedhof geschickt, und zum Widerwillen ihres Vorgesetzten verbeißt sie sich in den Fall. Ihre Recherchen führen sie schließlich zum Archäologen-Team um Nora Kelly und Clive Benson.
Im Lager in der Sierra Nevada herrscht mittlerweile eine mehr als gespannte Atmosphäre: Seit bekannt geworden ist, dass Clive Benson und Nora Kelly auch nach einem Goldschatz suchen, den einer der Siedler bei sich gehabt haben soll, hat sich die Stimmung explosiv entwickelt. Das Erscheinen von Corrie Swanson und ihre Befragungen der Team-Mitglieder sorgen nicht gerade für Ruhe: Artefakte verschwinden, unterschwellige Konflikte brechen auf, es gibt Fragen zum würdevollen Umgang mit den Knochenfunden. Irgendwann eskaliert die Lage - und das gründlich …
„Als sie wieder im Camp waren, reagierte Burleson außer sich vor Wut, als er von Entweihung und Plünderung erfuhr. Der schlaksige Mann stapfte durchs Lager und stieß dabei eine Reihe von Flüchen aus, die selbst Nora schockierten. Er wandte sich um und sagte zu Wiggett: ‚Sattel die Pferde. Wir reiten Peel hinterher, schnappen uns diesen verdammten Vollidioten und holen uns unsere Knochen zurück. Es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, dass der Sheriff für so eine Aktion seinen dicken Hintern in Bewegung setzt.‘“
Der Plot strahlt schon vorab eine hohe Faszination aus. Die Story wird in Ruhe angeschoben, die Protagonisten ausführlich vorgestellt. Und doch werden dem Leser einige Rätsel mit auf den Weg gegeben: der Mord in Paris; der Mord am Gorieta-Pass; der undurchsichtige Background von Clive Benton. So wird die Spannungskurve langsam, aber nachhaltig nach oben gezogen.
Besonders faszinierend ist aber die Hintergrund-Geschichte: das Schicksal der Donner-Gruppe und die Suche nach dem “Lost Camp”. Im Frühjahr 1846 hat die Siedler-Gruppe um George und Tazmine Donner Independence verlassen und sich auf den Weg nach Kalifornien gemacht. Wohlhabende, teilweise reiche Pioniere gehörten zu dem Treck. Wüsten, Indianer-Angriffe und Wassermangel machten der Gruppe zu schaffen, und bei Erreichen der Sierra Nevada lag sie weit hinter dem Zeitplan. Es gab weitere Fehlentscheidungen, und am Ende steckte die Truppe im Schnee in den Bergen fest - ohne Chance auf Hilfe, weitab von jeglicher Zivilisation.
Einer nach dem anderen verhungerte - viele wurden im Zuge des um sich greifenden Kannibalismus von den anderen aufgegessen. Tazmine Donner hat mit Überlebenden des Lost Camp gesprochen, die sich ins Hauptlager geschleppt haben, und schildert all das in ihrem Tagebuch. Das Schicksal der Donner-Gruppe wird von den Autoren als realer Hintergrund ihrer Geschichte genommen, und beim Ausgraben der Knochen im Lost Camp finden Kelly und ihre Mitstreiter eben viele Belege für die furchtbaren Ereignisse. Preston & Child nutzen als routinierte Geschichtenerzähler das Setting, um die Spannung bis zum furiosen und überraschenden Finale immer weiter zu steigern.
Fazit
Wenn Vielschreiber wie Douglas Preston und Lincoln Child einen Roman nach dem anderen “raushauen”, kann auch schnell mal ein weniger überzeugendes Exemplar dabei sein - Old Bones gehört auf jeden Fall nicht zu dieser Kategorie! Ein spannender und gut durchdachter Plot, neue, durchaus vielversprechende Protagonisten und nicht zuletzt ein Setting, das noch zusätzlich für Spannung sorgt: Also mal wieder Kopfkino der allerfeinsten Sorte.
Douglas Preston & Lincoln Child, Knaur
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