Die Rabentochter
- Goldmann
- Erschienen: November 2020
- 2
- OT: The Wicked Sister
- aus dem Englischen von Andreas Jäger
- Broschur, 352 Seiten
Das ist der Wahnsinn – nur nicht im positiven Sinn
Die 26-jährige Rachel lebt seit fünfzehn Jahren freiwillig in einer psychiatrischen Klinik, weil sie glaubt, als Kind ihre Mutter ermordet zu haben. Doch dann kommt alles anders und sie kehrt in ihr einsam gelegenes Elternhaus zurück, das jetzt von ihrer Schwester Diana und ihrer Tante Charlotte bewohnt wird. Dramatische Ereignisse nehmen ihren Lauf - denn Erinnerungen können trügen, und die Wahrheit kann eine ganz andere sein ...
Eine gebeutelte Familie
Karen Dionne hat selbst viele Jahre mit ihrer Familie ein alternatives Leben auf der Upper Peninsula in Michigan geführt. Die dort gemachten Erfahrungen ließ sie schon in ihren ersten Thriller Moortochter einfließen - genauso wie jetzt in ihren zweiten, der auch wieder auf der Upper Peninsula spielt.
Schon in ihrer Figurenzeichnung lässt sich die Autorin sehr durch ihre ganz persönlichen Vorlieben leiten: Die Eltern Jenny und Peter sind Wildbiologen - ein nicht ganz alltäglicher Beruf, auch nicht im ländlichen Amerika. Ihre ältere Tochter Diana ist ein schwieriges Kind, das einen starken Willen besitzt und ihn auch meistens durchsetzen kann. Die zweite Tochter Rachel ist das genaue Gegenteil von ihr und gerät deshalb unter die Fuchtel von Diana. Auch die Tante der beiden, Charlotte, fühlt sich sehr von Diana angezogen und hintergeht die Anordnungen von Jenny und Peter regelmäßig. Die Protagonisten sind eigentlich eine Vorlage für individuelle Charaktere, doch Karen Dionne macht aus den meisten völlig unglaubwürdige Personen. So kann man die Ängste der Eltern, die Diana betreffen, durchaus nachvollziehen, aber ihre Reaktionen nicht - wenn ein Kind so offensichtlich eine Gefahr für seine Mitmenschen darstellt, nützt es nichts, sich mit ihm in die Wildnis zu begeben und dann auch noch weitere Kinder, also potentielle Opfer, zu bekommen. Denn eines ist schon nach den ersten Seiten klar: Diana ist offensichtlich gestört, kennt keine Grenzen und zeigt alle Merkmale einer Psychopathin. Dieser Charakter ist nur schwer zu ertragen, aber als einziger von der Autorin gut gezeichnet. Warum allerdings die erwachsene Charlotte dem Kind so verfällt, wird während des ganzen Buches nicht geklärt. Selbst als auch ihr indirekt Schaden zugefügt wird, reagiert sie nicht. Schwach ist auch die Zeichnung der Hauptperson des Thrillers, Rachel. Selbst wenn diese glaubt, ihre Mutter getötet zu haben, erklärt das nicht, warum sie so lange freiwillig in der Psychiatrie bleibt - vor allem, da ihr dort scheinbar nicht geholfen werden kann. Bei ihr schlägt dann auch wieder die offensichtliche Liebe der Autorin zur Natur durch: Sie macht dem Leser doch allen Ernstes weiß, dass Rachel mit Raben und Spinnen kommuniziert, als Kind einen wilden Bären aus der Hand füttert und sogar mit ihm schmust. Hier schlägt die Unglaubwürdigkeit Purzelbäume!
Die Spannung ist schon auf Seite 41 weg
Selbst für Neueinsteiger in die Thriller-Literatur ist die Lösung nach wenigen Seiten offensichtlich. Was Rachel dann meint gesehen oder getan zu haben, ist nicht mehr interessant. Doch der Leser muss noch gut 300 Seiten durchhalten, bis er den Schluss der Geschichte miterleben darf. Während Rückblenden, die von Mutter Jenny erzählt werden, lernt man das Leben der Familie in der Wildnis kennen. Auch hier hat die Autorin ihre Idealvorstellung eines Lebens im Nirgendwo ausgelebt: ein Blockhaus mit einer Unmenge an Zimmern, extrem luxuriös ausgestattet, zwar ohne Strom und Telefon, aber das macht das ganze doch umso kuscheliger. Die Eltern forschen als unabhängige Wildbiologen auf ihrem eigenen weitläufigen Terrain und die Kinder wachsen frei und ungezwungen auf. Wer glaubt denn so was? Unabhängiges Forschen ohne Drittmittel – völlig aus der Luft gegriffen! Zwei Kinder unbeaufsichtigt im ausgedehnten Wald, wenn eines gefährliche Tendenzen aufweist – ich hoffe nicht! Aber in dem Stil geht es weiter: Rachel muss als Teenager in der psychiatrischen Klinik sehr fragwürdige Therapien ertragen, obwohl sie für die Ärzte lediglich an partieller Amnesie leidet; sie versteckt sich nach ihrer Heimkehr im Elternhaus und meint, von Diana und Charlotte nicht bemerkt zu werden – absolut unglaubwürdig. Die Autorin hat ihr Bestes gegeben, aber herausgekommen ist eine abstruse Geschichte, die zwar flüssig zu lesen ist, aber keine Spannung aufweist und durch ihre Unglaubwürdigkeit auch nahezu jedes Interesse tötet. Das ganze mündet in einem Finale, dass wohl packend und ereignisreich sein soll, aber auch hier völlig ins Unglaubwürdige abgleitet.
Am Schluss sind (fast) alle zufrieden und leben glücklich bis an ihr Ende - selbst der Leser, denn der ist froh, dass alles einfach nur vorbei ist und er das Buch weg legen kann.
Fazit
Das war nichts! Hier ist alles daneben gegangen: Charaktere, Plot, Setting –völlig unglaubwürdig und spannungsfrei. Ich kann für dieses Buch leider keine Leseempfehlung geben.
Karen Dionne, Goldmann
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