Blind Date
- Goldmann
- Erschienen: November 2020
- 11
- OT: All the Wrong Places
- aus dem Englischen von Kristian Lutze
- TB, 480 Seiten
Der Kindergarten und der Killer
Die Frauen, mit denen sich Mr. Right Now trifft, sind begeistert: Nie hätten sie gedacht, dass sich ein so toller Mann auf einer Dating-Plattform herumtreibt, nie hätten sie gedacht, dass er noch besser aussieht als auf dem Foto, dass er so gewitzt und so charmant ist, dass er so phantastisch kochen kann – und dass er sie vergewaltigt und ermordet.
Paige Hamiltons Leben ist gewaltig in eine Schieflage geraten: Sie hat ihren Freund in flagranti beim Sex mit ihrer Cousine erwischt, sie hat ihren Job verloren und zu allem Überfluss musste sie wieder bei ihrer Mutter einziehen. Wie schön wäre es – wenn sonst doch alles schief läuft –, sich einmal neu zu verlieben. Mehr zum Spaß meldet sie sich auf einer Dating-Plattform an und kann ihr Glück kaum fassen, als sie auf einen bezaubernden jungen Mann trifft, mit dem sie sogar im echten Leben ein paar Worte gewechselt hatte und der sie fast umgehauen hätte. Sein Pseudonym Mr. Right Now beschreibt ihn ganz genau, denn ganz bestimmt muss er jetzt der RICHTIGE sein.
Den ersten Roman von Joy Fielding las ich, als ich auf dem Amsterdamer Flughafen auf meinen damaligen Freund wartete, der für mehrere Monate im Ausland gewesen war. Ich hatte mich wochenlang auf diesen Tag und auf seine Rückkehr gefreut, hätte aber bei der Lektüre von „Lauf, Jane, lauf!“ fast seine Ankunft verpasst, weil ich mich aus dieser Geschichte nicht lösen konnte. Diese fesselnde Spannung erhoffte ich mir natürlich auch bei diesem Buch, und tatsächlich ist der Start auch sehr vielversprechend, als wir Mr. Right Now direkt bei zwei seiner Lieblingsbeschäftigungen – nämlich dem Kochen und etwas „Anderem“ – antreffen. Joy Fielding zeigt hier, dass sie ihr Geschäft versteht, dass sie eine normale Szene ganz schnell kippen oder ein Verbrechen fast „normal“ darstellen kann.
Meine Mutter ist meine beste Freundin
Nach diesem fulminanten Start kommt leider ein gewaltiger Absturz. Wir lernen Paige Hailton kennen, eigentlich eine Frau, die im Leben steht, der aber das Schicksal und ihre fiese Cousine Heather gerade ein paar Knüppel zwischen die Beine geworfen haben. Wer aber jetzt glaubt, dass das eine besonders gemeine Sache ist, der hat noch nicht gelesen, dass Paige wieder bei ihrer 70-jährigen Mutter einziehen musste, die – gefühlt – in jeden Satz mindestens einmal das Wort „Schätzchen“ einbaut und mich auf diese Art und Weise massiv an die eine Darstellerin der Golden Girls (die aus Sankt Olaf) erinnerte und entsetzlich nervte. Generell nimmt die Mama eine wichtige Rolle in Paiges Leben ein, und so erfährt der Leser so einiges über das wundervolle Mama-Tochter-Verhältnis und über die Rolle der Sexualität bei 70-Jährigen - ob er das nun will oder (so wie ich) lieber nicht erfahren möchte.
Blind Date bezieht die Beweglichkeit seiner Handlung aus der wechselnden Sichtweise seiner Akteure: Je nachdem wer im Fokus steht, bei dem kennt die Autorin die reale und die Gedankenwelt, und so ist der Leser über deren Seelenleben bestens informiert. Diese Sichtweise ist aber nicht immer geeignet, Sympathien für die handelnden Personen zu entwickeln. So fixiert sich die ursprünglich nette Paige so sehr darauf, wie sie ihrer miesen Cousine beweisen kann, dass sie blitzschnell bei einem tollen neuen Mann landen konnte, dass sie den freundlichen Ben wie einen landläufigen Fußabtreter behandelt:
“Sie sah ihn an, aber nur kurz. Aber er war kein Mr. Right Now. Niemand – am allerwenigsten Heather – würde ihn ansehen und denken, dass Paige einen guten Tausch gemacht hatte. Und hatte sie nicht deswegen einen Begleiter mit zu der Party gebracht?“
Sympathisch macht das nicht, aber hier zeigt sich die spannende Konstruktion des Romans, nachdem nur die Leser wissen, dass es fatal wäre, wenn tatsächlich der tolle Mr. Right Now die Heldin zu der Familienfeier begleiten würde. Natürlich funktioniert das nur bis zu einem gewissen Gradmaß der Zickereien seiner Akteurinnen, und ab einem gewissen Punkt machte sich bei mir eine gewisse „Wie-an-sich-bettet-so-liegt-man“-Haltung breit, die Mr. Right Nows drohenden Einsatz mit einem gewissen Schulterzucken bedachte.
Das gute alte Schwarz – Weiß
Nicht sonderlich spannend sind auch die eingeführten Personen. Fielding folgt hier einem simplen Schwarz-Weiß-Schema: Der charmante, erfolgreiche, eloquente Ehemann, der ständig fremdgeht; die geduldig ausharrende Ehefrau, die engelsgleich ihre Fehler bei sich sucht und sich um die Kinder kümmert; die oberflächliche, egomanische Cousine, die sich alles nimmt, was ihr in den Kram passt und offensichtlich absolut nutzlos in allem ist; und natürlich der absolut böse Triebtäter, bei dem zumindest mir unklar war, aus welchen Mitteln er seinen aufwändigen Lebensstil finanziert. Manchmal fragte ich mich, ob es das Ziel der Autorin war, den Leser dahin zu steuern, dass er dem „Bösen“ ein literarisch finsteres Schicksal gönnen sollte.
Fazit
Wer die letzte Seite von Blind Date hinter sich gebracht hat, fragt sich verwundert, was sich die Autorin bei dieser mehr als eigenartigen Auflösung wohl dachte. Einige Fragen sind geklärt, andere wichtige aber noch offen. Der Leser stellt sich die möglicherweise bange Frage nach einer Fortsetzung und sehnt sich leise weinend nach den tollen Zeiten mit früheren Werken zurück.
Joy Fielding, Goldmann
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