Die Mächtigen

  • Blanvalet
  • Erschienen: September 2020
  • 0

- HC, 672 Seiten

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Birgit Stöckel
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2020

Spannend, beklemmend, aktuell

Die Globalisierung schreitet unabwendbar voran, auch kontaktloses Bezahlen erfreut sich - insbesondere in der aktuellen Corona-Situation - immer größerer Beliebtheit. Doch die Sorge vor der Manipulierbarkeit aller elektronischen Transaktionen wächst im gleichen Maße; für viele gilt nur Bares als Wahres. Dieses Spannungsfeld greift Lucas Fassnacht in seinem neuen Roman Die Mächtigen auf:

Von der EU gefördert, soll das Unternehmen Fischer Euro Binary (kurz FEB genannt) eine sichere Software entwickeln, mit der der gesamte europäische Zahlungsverkehr abgewickelt werden kann - für den angeschlagenen Konzern eine willkommene Möglichkeit, sich zu stabilisieren. Doch dann läuft einiges schief: Der als IT-Spezialist engagierte geniale Hacker Tamás Varta wird misstrauisch, da er bestimmte Teile des Codes nie zu Gesicht bekommt. Als sein Versuch, das Smartphone eines Vorgesetzten zu hacken, fehlschlägt, taucht Varta unter. Wenig später wird die ehemalige Elitesoldatin Anna-Lena Herbst auf ihn angesetzt. Doch als ein zweiter Killer auftaucht, wechselt Herbst die Seiten, und bald sind sie und Varta gefangen in einem Spiel auf Leben und Tod…

Vereinfacht kann man Lucas Fassnachts zweiten Roman auf den ewigen Kampf von Gut und Böse runterbrechen. Es gibt die typischen Bösewichte z.B. in Gestalt von Ferdinand von Wolfenweiler, frisch ernannter Vorstandsvorsitzender von FEB, der die treibende Kraft hinter der Entwicklung der Software ist. Für ihn ist dieses Projekt die vielleicht letzte Möglichkeit, seine angeschlagene Firma zu retten, er hat also viel zu verlieren. Zudem ist er machthungrig und absolut skrupellos - eine explosive Mischung. Außer ihm gibt es noch ein, zwei ähnliche Charaktere, welche die dunkle Seite der Geschichte repräsentieren. Ihnen gegenüber stehen - wie einst David vor Goliath - die, die den Kampf gegen das Böse aufgenommen haben. Einer von ihnen ist Tamás Varta, ein begnadeter Hacker, in dessen Vergangenheit sich zwar die ein oder andere illegale Aktion findet, der seine Fähigkeiten aber selbstverständlich nur zum Guten eingesetzt hat und noch einsetzt. Ebenso ist hier die Journalistin Carolin Radwitz zu nennen, die nicht an den vermeintlichen Selbstmord einer Freundin glauben will und bei ihren Ermittlungen ebenfalls in die Geschehnisse rund um FEB hereingezogen wird. Trotz erheblicher Qualen und Gefahren für Leib und Leben lässt sie sich nicht von ihrem Weg abbringen.

Hohes Tempo

Dass Die Mächtigen trotzdem weit mehr und sogar verdammt spannend ist, liegt an mehreren Dingen: Zum einen kann Fassnacht schreiben. Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln und aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt - das erzeugt Tempo. Es entstehen eine Menge kleine Fädchen, die zusammenlaufen, sich trennen, sich manchmal zu verheddern scheinen; doch Fassnacht behält stets gekonnt den Überblick, entwirrt alles und lässt es nach und nach zu einem starken Faden zusammenlaufen. Es dauert zwar eine ganze Zeit, bis der Leser ahnt, was eigentlich hinter der ganzen Sache steht und was es ist, das FEB so unbedingt verbergen will, doch der Weg dahin ist unzweifelhaft eines Thrillers würdig. Zudem geht der Autor nicht sonderlich zimperlich mit seinen Personen um: Ähnlich wie in Frank Schätzings Der Schwarm sollte man beim Lesen sein Herz nicht allzu sehr an eine Figur hängen, auch nach nicht an einen „Guten“. Man weiß nämlich nicht, wer auf den letzten Seiten noch dabei ist. So viel sei verraten: Allzu viele sind es nicht!

Eine spannende Protagonistin

Zum zweiten hat Fassnacht glücklicherweise nicht nur Figuren erschaffen, die in das oben beschriebene Schwarz-Weiß-Schema passen. Allen voran Anna-Lena Herbst ist sehr gelungen: Als ehemalige Kampfschwimmerin und Elitesoldatin verdient sie ihr Geld aktuell mit privaten Aufträgen und ist dabei alles andere als zimperlich. Dabei kommt ihr in ihrem Job zugute, dass sie kaum Gefühle empfinden kann bzw. ihre Gefühle nicht wahrnehmen kann. Hier gelingt die schwierige Gratwanderung zwischen glaubhafter Darstellung und Vermittlung von Menschlichkeit. Man spürt beim Lesen nach und nach, dass Anna-Lena eben keine reine Killermaschine ohne Gefühle ist, sondern diese nur so tief in sich vergraben hat, dass sie ihrer nicht gewahr ist. Allerdings muss man bei ihren Fähigkeiten manchmal ein halbes Auge zudrücken: Egal, wie hart sie einstecken muss, sie teilt stets härter aus - und schaltet so ohne Probleme im Alleingang auch zwanzig Gegner aus. Andererseits: Bei James Bond fragt auch keiner, ob das alles realistisch ist, oder? Neben Anna-Lena gibt es noch ein paar andere Charaktere, die, obwohl eigentlich skrupellos, unerwartet die eine oder andere menschliche Regung zeigen. So bleiben doch viele der Figuren spannend und differenziert.

Als letztes sei noch das Thema an sich erwähnt, das sehr beklemmend wirkt und somit für Spannung sorgt: Die digitale Welt, die zunehmende Vernetzung und die Gefahren, die darin liegen - das alles sind brandaktuelle Themen. Man ertappt sich mehr als einmal bei dem Gedanken, dass so eine Korruption oder so ein Handeln in der Wirklichkeit nicht ungestraft möglich wäre, dass es so weit nie kommen würde. Dann fällt einem Wirecard ein oder ein dubioser Beratervertrag aus einem Bundesministerium - und plötzlich ist man sich nicht mehr so sicher. Das macht das Ganze noch dramatischer.

Fazit

Die Mächtigen ist spannend, dramatisch und hochaktuell - ein Thriller der unterhält, beklommen macht und einen nachdenklich zurücklässt. Lukas Fassnacht ist ein Autor, auf dessen weitere Werke man sich definitiv freuen darf.

Die Mächtigen

Lucas Fassnacht, Blanvalet

Die Mächtigen

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