Frostgrab
- HarperCollins
- Erschienen: Oktober 2020
- 8
- OT: Shiver
- aus dem Englischen von Jürgen Bürger
- Broschur, 320 Seiten
Vielleicht etwas für Snowboard-Fans
Allie Reynolds war professionelle Snowboarderin, und mit Platzierungen unter den ersten zehn der Weltrangliste auch ziemlich erfolgreich. 2003 zog sie an die Westküste Australiens und tauschte das Snowboard gegen ein Surfbrett. Frostgrab ist ihr erster Thriller, der zweite ist schon in Arbeit.
Locked-Room-Mystery in den französischen Alpen
Milla trifft nach zehn Jahren ihre alte Clique wieder, zu der sie seit damals keinen Kontakt hatte. Bis auf Heather sind alle ehemalige professionelle Snowboarder, die nun gemeinsam ein Wochenende auf einer hochgelegenen Bergstation verbringen wollen. Doch die Stimmung ist angespannt - denn vor zehn Jahren verschwand an gleicher Stelle ein weiteres Mitglied der Gruppe: Saskia, die ehrgeizigste von allen. Was mit ihr geschah ist immer noch nicht geklärt. Jeder der Anwesenden trägt ein gut gehütetes Geheimnis mit sich herum, und als sich herausstellt, dass sie alleine auf dem Berg sind, die Seilbahn nicht mehr geht und sie keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können, ist Milla klar, dass sie in einer Falle sitzen und alles mit Saskias Verschwinden zu tun haben muss. Mit dieser Konstellation erschafft Reynolds ein typisches Locked-Room-Rätsel - auch wenn der Raum hier mit einer ganzen Bergstation etwas größer geraten ist. Dennoch ist kein Entkommen möglich, und nur eine ganz begrenzte Anzahl an Beteiligten kann hinter all den merkwürdigen Vorkommnissen stecken. Keiner weiß, wer der Gastgeber ist, und was als Spiel angekündigt war wird bald blutiger Ernst: Denn die Handys sind spurlos verschwunden, der Strom kommt und geht, Saskias Parfüm ist allerorts zu riechen - und dann verschwindet einer der Gruppe spurlos.
Ehrgeiz und Beziehungskisten dominieren das Geschehen
Eigentlich sind das beste Voraussetzungen für knisternde Spannung von Anfang bis Ende; doch die ist nur nach dem Prolog zu erahnen und verabschiedet sich danach auf Nimmerwiedersehen. Reynolds verliert sich in ihrer Begeisterung für das Snowboarden und vor allem für die Wettkämpfe in der Halfpipe. Ständig schleudert sie dem Leser Begriffe entgegen, die nur ein Kenner wissen kann: 7:20er, Crippler, Haakon-Flip, 9er ... dürften jedem Nicht-Snowboarder Rätsel aufgeben und sind auf Dauer einfach langweilig. Wenn dann der Rest der Handlung (bis auf wenige Wendungen) fast nur aus Beziehungskisten besteht, ist das Interesse am allerletzten Fitzelchen Thriller bald verloren. Natürlich ist das Beziehungsgeflecht gerade bei einer so begrenzten Personenzahl wichtig, doch Zwischenmenschliches lässt sich auch anders darstellen und besteht aus mehr als der Tatsache, wer mit wem ins Bett ging und geht. Das Snowboard-Stories und Bettgeflüster kann man auf zwei Zeitebenen genießen – vor 10 Jahren, als sich die Gruppe fand und Saskia verschwand; und heute, wenn die Clique wieder zusammenkommt. Beide Sequenzen werden aus Millas Sicht geschildert. Gerade aus dieser begrenzten Betrachtungsweise wäre eine genaue und differenzierte Figurenzeichnung wichtig gewesen, doch die bleibt in der Charakterisierung in groben Zügen hängen: Alle waren Gegner, die halsbrecherisch und ohne Rücksicht auf Verluste gewinnen wollten. In diesem Zusammenhang werden die Marken der Klamotten und der Energydrinks so enervierend oft genannt, dass man sich fragt, ob hier immer noch gesponsert wird. Reynolds glorifiziert die Wettkämpfer als harte Jungs und Mädels, die für ihren Sport das Leben riskieren und im Après-Ski gerne einen kippen, bevor sie mit jemanden auf das Zimmer verschwinden – das war‘s. Heute haben alle der Gruppe etwas zu verbergen und jeder misstraut jedem, aber die Grundkonstellation der Charaktere hat keine Entwicklung erfahren - was allerdings noch einmal der Spannung Vorschub geleistet hätte.
Was ist vor 10 Jahren geschehen?
Diese Frage steht natürlich die ganze Zeit im Raum, denn Saskia ist bis heute verschwunden. Nach und nach kommt heraus, was jeder an diesem Tag gemacht hat, was bisher verschwiegen wurde und wer seitdem mit welchen Schuldgefühlen herumläuft. Und langsam fragen sich alle, ob Saskia vielleicht noch lebt? Doch die Antwort auf diese Frage wird so abstrus und unlogisch beantwortet und der Thriller mit einem ebensolchen Schluss beendet, dass man diesem nur attestieren kann, zum Rest zu passen – ich sage nur Snowboard und Beziehungskisten!
Fazit
Allie Reynolds konzipierte ihr Debüt Frostgrab als Locked-Room-Mystery. Damit hat sie versucht, in die große Fußstapfen von Agatha Christie, John Dickson Carr und Edgar Alla Poe zu treten - doch das ging gehörig daneben: Die Handlung ist ebenso simpel wie der Schreibstil und die Spannung kaum wahrzunehmen. Hoffentlich muss der Leser diese Konstellation nicht auch beim nächsten Werk der Autorin ertragen, wenn vielleicht das Snowboard gegen ein Surfbrett ausgetauscht wird.
Allie Reynolds, HarperCollins
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