Hungerwinter

  • Knaur
  • Erschienen: Mai 2020
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Carola Krauße-Reim
84°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2020

Ein Krimi der leisen Töne

Mit „Hungerwinter“ legt Harald Gilbers nun bereits den fünften Band seiner Krimiserie rund um den Berliner Kommissar Oppenheimer vor. Ein Fall von scheinbarer Notwehr lässt einige Zweifel aufkommen, und der Fund von gestohlenen Ausweispapieren und Einreise-Genehmigungen nach Argentinien wird zur kniffligen Frage. Als dann auch noch Oppenheimers Kollege Billhardt spurlos verschwindet, tut sich ein Sumpf von Korruption und dunklen Machenschaften vor dem erfahrenen Ermittler auf.

Berlin im zweiten Nachkriegsjahr

1947 waren die Wunden des Krieges noch in ganz Berlin zu sehen und zu spüren. Wohnungsnot und Hunger waren die eine Seite, die Teilung der Stadt in die verschiedenen alliierten Besatzungszonen die andere. Die Rivalitäten zwischen den drei Westmächten England, Frankreich und USA auf der einen, und der Sowjetunion auf der anderen Seite traten immer mehr zu Tage, der Kalte Krieg hatte mittlerweile kräftig an Fahrt aufgenommen.

Gilbers fängt diese beklemmende Atmosphäre gekonnt ein und gibt ihr viel Raum in der Geschichte. Die Enge, der ständige Hunger und die allgemein verbreitete Angst vor der ungewissen Zukunft sind in jeder Zeile des Romans spürbar. Dabei wird die Kriminalgeschichte aber nicht überlagert, sondern interessant ergänzt, glaubhaft und sehr realistisch.

Die Ermittlungen bringen Oppenheimer in große Gefahr

Man muss die Vorgänger zu diesem Buch nicht kennen, um in die Geschichte eintauchen zu können. Für Neueinsteiger werden die Personen hinreichend vorgestellt, und für Kenner der Serie gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Während Oppenheimer und der kettenrauchende Wenzel einen Fall von scheinbarer Notwehr untersuchen müssen, hat es ihr Kollege Billhardt mit einem toten Taschendieb zu tun, der gestohlene Ausweispapiere und Einreise-Genehmigungen nach Argentinien bei sich trägt.

Als Oppenheimer erfährt, dass der argentinische Präsident Juan Perón zahlreichen hochrangigen Nazis Unterschlupf in seinem Land gewährt, verknüpfen sich die beiden Fälle. Doch dann verschwindet Billhardt spurlos - und es wird für Oppenheimer und seine Frau Lisa lebensgefährlich, denn offensichtlich haben unerkannte Nazis verstörenden Einfluss bis in hohe Polizeikreise. Die als „Rattenlinie“ bekannte Fluchtroute über Italien nach Südamerika ist historisch belegt und verleiht dem Krimi viel Authentizität.

Die Spannung nimmt mit jedem neuen Ermittlungsergebnis zu, wobei sie sich hauptsächlich auf Oppenheimers Bedrohungslage konzentriert. Dabei schlägt der Autor allerdings leise Töne an und lässt so der Geschichte viel Zeit, sich zu entwickeln. Der Leser wird immer wieder mit einer sehr ausgewogenen Mischung aus persönlichem Hintergrund und beruflichen Schwierigkeiten unterhalten und an die Geschichte angebunden. Der Schluss ist dann ebenso rasant, wie bleihaltig, passt zum Rest und schließt den Krimi glaubhaft ab.

Fazit:

Gewohnt unaufgeregt, ruhig und dennoch spannend verknüpft Harald Gilbers in „Hungerwinter“ einen Kriminalfall mit einem unrühmlichen Kapitel der deutschen Geschichte. Der Roman ist ein sehr gelungenes Konglomerat aus polizeilichen Ermittlungen und atmosphärisch dichter sowie geschichtlich gut recherchierter Schilderung des Lebens in Berlin 1947. Jedoch frage ich mich, warum der Hungerwinter für den Titel herhalten muss, war er doch 1946/47 und somit im November 1947 schon längst vorbei.

Hungerwinter

Harald Gilbers, Knaur

Hungerwinter

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